Malte & Meloni
Liebe Leute, liebe Antifaschist*innen,
es wird Euch aufgefallen sein: die faschistische Welle beginnt, Europa zu überrollen - & ich habe nicht den Eindruck, dass “wir” (von der antifaschistischen Linken bis hin zu den genuin antifaschistischen Teilen der Mehrheitsgesellschaft) darauf adäquat vorbereitet sind. In diesem Text, der vermutlich wieder einen Mehrteiler einleitet (wie die zu Energiepreisen und Verdrängungsgesellschaft) werde ich wieder versuchen, meine strategischen wie taktischen Überlegungen weg von der Klimafrage im engeren Sinne wegzuorientieren, in Richtung einer inhaltlich wie politisch kohärenten antifaschistischen globalen Gerechtigkeitspolitik (obwohl: da die Klimafrage keine Grenzen mehr hat, und die Klimakrise natürlich auch die faschistische Offensive mitbedingt, wird der Schritt wohl kein allzu großer sein).
Samstag, 27.8.22: Christopher Street Day in Münster. Was hierzulande der CSD ist andernorts “Pride”: eine Parade, eine Demo, ein Marsch, aber auf jeden Fall ein Ort, an dem wir Queers uns sicher und stark fühlen können, sein, wer und was wir sind. Unser safe space.
An diesem Tag, an diesem Ort wird eine Gruppe Lesben von einem Mann homofeindlich beschimpft. Malte, ein junger trans Mann, greift ein, will sich schützend vor die Frauen stellen, und wird daraufhin vom Angreifer brutal niedergeschlagen, schlägt mit dem Kopf auf den Asphalt, liegt daraufhin im Koma.
Freitag, 2.9.: Malte stirbt im Krankenhaus. Ein Schock geht durch die Trans- und breitere queere Community Deutschlands. Wenn diejenigen, für die unsere bloße Existenz ein derartiger Affront zu sein scheint, dass sie uns beleidigen, anspucken, angreifen müssen, um ihre brüchige Männlichkeit zu verteidigen, uns in unseren safe spaces angreifen und töten können, dann ist kein Ort sicher. Dann ist keine*r von uns sicher. Nirgendwo.
An diesem Tag schreibt mir eine trans Freundin: “Ich resigniere. Sollen sie mir die Kugel geben. Ich habe schon 3 Mal dem Tod ins Gesicht geblickt. Was soll ich in so einer Gesellschaft? Wenn, dann sollen sie ehrlich mir die Kugel, diesmal aber richtig, geben. Ich weiss nicht mehr wohin mit meinen Gefühlen. Ich bin seelisch kaputt. Ich habe soviele trans Menschen in den tot gehen sehen, ich kann einfach nicht mehr.”
Die meisten, die diese Zeilen lesen, werden vermutlich kurz bestürzt sein, dann aber wieder zum Tagesgeschäft übergehen. “Ein queerhassender Irrer hat eine von diesen plötzlich überall auftauchenden trans Menschen totgeschlagen. Hässlich, natürlich. Strafbar? Sicherlich! Aber im Vergleich mit Ukraine, Energiekrise und Inflation kaum der Rede wert.” So dachte zumindest die Tagesschau, die am Freitag zwar 2-3 Minuten über eine Elektronikmesse berichten, aber nichts über Maltes Tod sagen konnte.
Ich gehe mal wohlwollend davon aus, dass diese thematische Auswahl nicht das Resultat akuter Transfeindlichkeit war, sondern aus einer bedauernswerten Ignoranz der besonderen gesellschaftlichen Relevanz der Tatsache entspringt, dass ein trans Mann in einem queeren Safe Space totgeschlagen wurde. Man muss nicht Niemöller zitieren, um zu verstehen, dass der Hass auf alles Queere – und derzeit sind es unter uns Queers unsere trans Geschwister, die den meisten Hass auf sich ziehen – weder dort anfängt, noch dort endet.
Sonntag, 11.9.22: Sverigedemokraterna, die Schwedendemokraten, sind der eindeutige Gewinner der Parlamentswahlen in Schweden. Eine Partei, die von den meisten Medien beschönigend als “rechtspopulistische Partei” geframed wird, aber in Wirklichkeit dem Knobelbecher-Skinhead-Neonazismus der 80er und 90er Jahre entspringt – kurz: eine Neonazi-Partei – wird zur mächtigsten politischen Kraft eines Landes, das lange als Sinnbild einer kulturell und sozial progressiven Sozialdemokratie galt. Entweder werden sie in einer Mehrheitsregierung die stärkste Partei stellen, oder aber eine Minderheitsregierung tolerieren, d.h., kontrollieren. Mit Ausnahme der Großstädte haben sich alle gesellschaftlichen Räume und Großgruppen nach rechts bewegt: Männer wählten rechts; die “Jugend” wählte rechts, die “Generation Klima” (oder auch Generation Greta erwies sich als schwach bis nichtexistent). Ländliche Räume sind weitgehend rechte Hochburgen. Im Kern wurden alle Parteien (bis auf die Grünen & Linken) ein Bisschen zu Schwedendemokraten.
Sonntag, 25.9.22: Parlamentswahlen in Italien. Giorgia Meloni, “Postfaschistin” und äußerst populäre Anführerin der Fratelli d'Italia, wird mit großer Wahrscheinlichkeit in die Position gewählt, sich zur 1. rechtsradikalen Ministerpräsidentin eines der alten EU-Kernländer aufschwingen zu können.
Aber wer ist diese Meloni eigentlich, was repräsentiert, wofür steht sie? Die mit Abstand dominante Strömung innerhalb kontemporärer faschistischer Bewegungen ist der Klerikalfaschismus (Opens in a new window), also weniger der in Teilen sozialrevolutionäre Faschismus Mussolinis Italien oder der frühen Nazizeit, mehr der iberische Faschismus von Franco und Salazar. Andere Beispiele dafür sind Indien, Ungarn und Bolsonaros Brasilien.
Die zweite Strömung ist ein... how to put this... sagen wir mal, Weidel'scher neoliberaler Faschismus, aber diese ist deutlich schwächer. Also zurück zu Meloni: auf die Frage "Wie würden Sie Melonis Grundhaltung beschreiben?" antwortet eine italienische Soziologin (Opens in a new window): “Sie ist reaktionär und revolutionär: In ihrem Buch (Ich bin Giorgia) plädiert sie für ein mittelalterliches Gesellschaftsmodell, mit der Familie als Grundeinheit, dann das Dorf, dann die Korporationen, die Berufsstände. Ihr schwebt eine organische Gesellschaft im Sinne eines reaktionären Katholizismus vor."
Ein derartige Rückbesinnung auf "die Familie" - die in vielen dystopischen Kulturprodukten (Serien, Bücher...) zu beobachten ist, macht (im philosphischen Sinne) materialistisch gedacht auch Sinn als Reflexion der Tatsache, dass wir sehenden Auges auf eine gesamtgesellschaftliche Katastrophe zusteuern. Die intakte traditionelle Familie als das, was die Katastrophe überdauern wird, mit der stabilen Mann/Frau (stark/schwach; gut/schlecht; Jagen/Kümmern...) als mythologisch-konzeptionelle Basis der fetischistischen Illusion.
Als in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nun trans Menschen sich in gesellschaftlichen Diskursen Sichtbarkeit und Rechte erkämpften – vor allem, das Recht, offen als trans Menschen zu leben, wird das zum Problem für die Klerikalfaschisten, deren zentraler Antriebsaffekt nunmal eine ressentimentgeladene, traditionelle (mithin imaginierte) “Männlichkeit” ist. Der massive Hass, die tägliche Gewalt gegen trans Menschen deutet darauf hin, dass es einen ans exterminatorische grenzenden Hass gegen trans Menschen gibt: da die Dichotomie Mann/Frau den Kern des klerikalfaschistischen Weltbildes darstellt, darf es keine Männer mit Muschi, oder Frauen mit Schwänzen geben. Geht nicht. Weil, wenn dem so ist, wenn also die konzeptionelle Grundkategorie eines Weltbildes infrage gestellt oder, genauer, zerstört wird, müsste das Gerüst ja in sich zusammenfallen. Das wiederum bedeutet, dass die Existenz von trans Menschen verdrängt werden muss, ergo trans Menschen epistemologisch wie ontologisch “ausgemerzt” werden müssen. Also wollen die Faschisten ausrotten, was nicht sein darf: trans Menschen.
Schaut nach Russland, wo Putin sich zum Generalissimo Supremissimo der globalen, klerikalfaschistischen Offensive machen will (vgl. Seine Verteidigung der transfeindlichen Autorin J.K. Rowling); nach Ungarn oder in die USA, nach Brasilien, in den Iran. Überall, wo der Klerikafaschismus an der Macht ist, oder starke Truppen hat, greift er zuerst und am symbolträchtigsten uns Queers an, aber es sind die Transmenschen, denen er abspricht, überhaupt zu existieren. Weil Queers im allgemeinen, und Transmenschen im Besonderen, die mythologisch-ideologische Basis des neuen Faschismus infrage stellen: eine imaginierte traditionelle Männlichkeit, in der Privilegien, Macht, Reichtum dort liegen, wo sie hingehören. Bei weißen, bürgerlichen cishet-Männern.
Mist. Jetzt tu ich's doch:
Als die Faschos die Transmenschen totschlugen,
habe ich geschwiegen,
ich war ja nicht trans.
Als sie die Queers einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja nicht queer.
Als sie die PoCs deportierten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein PoC.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.
Diese Situation müssen wir verhindern. Die deutsche Polizei hat in den vergangenen Wochen und Monaten, hat diese “Pride Season” gezeigt, dass sie nicht in der Lage, und in manchen Fällen auch nicht gewillt ist, unsere safe spaces, die Pride Paraden, die CSDs, vor rechten Angriffen zu schützen. Es stellt sich die Frage: müssen wir in die queere Selbstverteidigung gehen? Mehr dazu in zwei Wochen.
Euer Tadzio