Einer dieser Tage
„One of these days I’m going to cut you into little pieces“, raunt Nick Mason mit verzerrter Stimme im fast gleichnamigen Song von Pink Floyd. Was klingt wie die Ankündigung eines Amoklaufs, ist in Wirklichkeit ein gängiges Gefühl im Alltag der allermeisten Menschen. Hier wird heute bestimmt niemand in kleine Stücke geschnitten - aber es ist einer dieser Tage, an denen ich schon morgens weiß, dass mir das Universum heute mit Anlauf in die Weichteile treten wird.
Kind krank. Rotznase. Das Riechorgan, meine ich, nicht das Kind. Die benutzten Taschentücher türmen sich wie ein Faltengebirge. Die Kleine bekommt kaum Luft, hat in der Nacht schlecht geschlafen. Als verantwortungsvolle Eltern beschließen wir, sie heute nicht in den Kindergarten zu bringen. Das alte Lied: Beide Eltern berufstätig, keine Betreuung in der Nähe. Mama muss zur Arbeit, also bleibe ich im Homeoffice.
Laptop auf dem Schreibtisch, Kind mal auf dem Schoß, mal vor Hörspiel und Puzzle geparkt. Es läuft so halbwegs – bis ich dieses Geräusch höre. Dieses Würgen. Es kommt nicht von meiner Tochter, die brav neben meinem Schreibtischstuhl auf dem Boden sitzt. Noch bevor ich begreife, warum, springe ich auf, sprinte in den Flur und sehe den Verursacher des ominösen Geräusches: die Katze. Schnell buxiere ich sie die Treppe hinunter, durchs Wohnzimmer in den Garten - bevor sie mir ihr halbverdautes Katzenfutter mit einem Grashalm garniert auf dem Parkett hinterlässt. Gerade noch mal gut gegangen.
Ich habe mich gerade wieder an den Schreibtisch gesetzt, um weiter zu arbeiten - da klingelt es. Natürlich. Mit dem Kind auf dem Arm öffne ich die Tür. Vor mir stehen zwei Frauen, freundlich lächelnd, Flyer in der Hand, die sie sofort verraten: Zeuginnen Jehovas. Sie wollen mit mir über Jesus sprechen.
„Das hätte ich nie gedacht", hätte ich gerne gesagt. Die Zeugen sind bekanntlich eher monothematisch unterwegs.
Was ich noch gerne gesagt hätte: „Wo ist dieser Jesus jetzt? Hätte er vielleicht Zeit, auf mein Kind aufzupassen?“
Was ich dann tatsächlich sage: „Vielen Dank, sehen Sie, ich bin gerade etwas im Stress mit Kind und Job. Ich schaue mir den Flyer später in Ruhe an“. Verständnisvoll drücken mir die Damen ein Flugblatt in die freie Hand und verabschieden sich.
„Wer war das?“, fragt meine Tochter neugierig und nasal, noch bevor ich die Tür ganz geschlossen habe.
„Zeuginnen Jehovas“, sage ich. „Das ist eine Religion“, ergänze ich auf ihren fragenden Blick hin - erleichtert, die Situation für alle gesichtswahrend gelöst zu haben. In Gedanken eile ich schon wieder die Treppe hinauf zu meinem Laptop.
Da trifft mich eine scheinbar beiläufige Frage meines Kindes wie ein Hammerschlag: „Was ist Religion?“
Was folgt, ist ein theologischer Crashkurs in fünf Minuten.
Von Göttern, an die man glauben kann, aber nicht muss.
Von Gemeinschaften, die Halt geben – und solchen, die von Tür zu Tür gehen.
Von der Frage, ob es einen Himmel gibt – und ob die Menschen dort oben Handys haben, um mit ihren Lieben hier unten zu telefonieren.
Apropos, ich erwarte noch einen Anruf! Hektisch schaue ich auf mein Handy. Zwei Dinge gefallen mir nicht: Zum einen sehe ich einen Anruf in Abwesenheit, zum anderen ist es noch nicht einmal 10 Uhr.
Einer dieser Tage eben. Aber man soll am Tag nicht vor dem Abendessen toben. Oder so ähnlich.