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Zerstreut und verbunden

Es fängt an mit Notizbüchern ... irgendwie fängt alles an mit Notizbüchern. 

So auch die Ausstellung "Steppen und Seidenstraßen" im MARKK, Museum am Rothenbaum. Und natürlich ist es das erste, was mich in der Ausstellung anzieht, neben dem Heimweh …

Ein Teil der uralten Handelsroute ging auch durch meinen Heimatort, Turar Ryskulow, im Süden Kasachstans. Denn es gibt nicht DIE Seidenstraße – es ist mehr eine Verzweigung und Verwirrung vieler kleinen Routen die aus China bis nach Europa, Afrika und Indien führen und wieder zurück. Auf diesen Routen wurden nicht nur Güter transportiert – Geschichten, Sprachen, Kunst, Ideen, alte Handwerktechniken, Staub, Krankheiten und Konflikte.

Mit dem Begriff Seidenstraße sind hierzulande viel Sehnsucht und Exotik verbunden. Ich habe von der Ausstellung Bilder von oder Erinnerung an meine alte Heimat erwartet. Die Erwartung wurde  nicht enttäuscht, sondern durch  Kunstwerke, Interviews und Feldnotizen nochmal erweitert. So enstand eine Verbindung zwischen Jetzt und Damals. 

Der Ausstellungsraum war überraschend klein. Und so war ich aber auch erstaunt über die Fülle an Exponaten und vor allem Geschichten, die durch Objekte, Videos, Texte, zeitgenössische und alte Kunst erzählt wurden. In einer Ecke klang leise das Spiel einer kaukasischen Halslaute. Dieser Klang jagt mir immer wieder Gänsehaut ein. Bilder von Bergen und Wüsten entstehen dann in meiner Vorstellung und der imaginäre Geruch des Bergthymians strömt durch meine Nase. Ich bin überrascht, wie ein Klang, ein Bild, oder ein Geruch so lebhafte Erinnerungen hervorrufen kann.

Dieses traditionelle Gewand wurde von einer usbekischen Künstlerin 2019 erstellt. Die Anlehnung an den Horrorfilm "Scream" ist beabsichtigt. Es stellt eine Verbindung zwischen der kolonialen Politik und traumatischen Erinnerungen bis heute. Der schmale Wandteppich oberhalb erzählt diese Geschichte nochmal in kleinen, auf einander folgenden Bildern. 

Usbekistan liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kasachstan. In meinem Heimatort lebten neben Kasachen viele unterschiedliche Nationen: Deutsche, Griechen, Russen, Türken, Uiguren, Turkmenen, Koreaner, Kirgisen, Usbeken und noch viele mehr. Nach dem Zerfall der Sowjetunion strömten sie alle in Richtung ihrer Herkunftsländer. So schrumpfte die schon so kleine Bevölkerung Kasachstans Mitte der 90-er von 17 auf 15 Millionen. Dabei ist dieses Land fünf Mal so groß wie Deutschland! Mittlerweile ist sie wieder auf fast 19 mln. angewachsen. 

Kopfbedeckungen aus unterschiedlichen Regionen. So eine ähnliche in Schwarz-Weiß habe ich auch zuhause.

Handelsgüter aus China: handbestickte Stiefel, Teegefäße, ein Musikinstrument und wunderschön gearbeitete Papierblumen.

Ein klappbares Reisebett unter der tradizionellen Dachvorrichtung für eine Jurte.

Es ging nicht nur um Seide, Reichtümer und Kriege. Viel mehr habe ich von der Ausstellung das Gefühl von Unterwegssein mitgenommen. Der Ausstellungsraum ist als eine imaginäre Route gestaltet. Auf dem Boden sind Wege und Landschaften verzeichnet, die man von einer Geschichte zur nächsten durchlaufen kann. Und es gibt immer noch, obwohl sie weiter Richtung Wien gezogen ist, einen digitalen Durchgang auf der Website von MARKK.

Besonders lang bin ich vor einem Monitor stehen geblieben, auf dem Michael Taussig – ein Antropologe – über Notizbücher sprach. Er misst Notizbüchern eine wichtige Rolle bei. Für ihn sind es Medien, die eine subjektive, emotionale Erinnerung in sich tragen, weil sie unmittelbar während eines Erignisses dokumentiert wurde. Man muss sich nur ein altes Notizbuch, oder in meinem Fall Zeichenblock, anschauen, um sich sofort in die geschilderte Situation versetzen zu lassen. Es klingt etwas esoterisch, aber für mich ist es eine chemische bzw. optische Verknüpfung, die durchaus biologisch erklärt werden könnte. 

Vielleicht irre ich mich und ich weiß auch nicht, wie viele meiner Leser:innen Notiz- oder Skizzenbücher führen … Es würde mich wirklich freuen, wenn Du Deine Erfahrung diesbezüglich mit mir teilen könntest. Mich würde nämlich sehr interessieren, wie meine Skizzen auf Dich wirken? Hast Du dann Deine eigene "Erinnerungen" dazu, oder ist das eher ein Gefühl von etwas Fremden. Ist das informativ oider eher unterhaltend?  Ich habe oft auf meinen Ausstellungen Zeichenblöcke zur Ansicht hin gelegt. Ganz selten wollte sie jemand kaufen (das wäre auch unmöglich gewesen – sowas verkaufe ich nicht), aber sehr viele Besucher:innen haben sich dafür interessiert.

Jedenfalls war das Interview mit dem Wissenschaftler ein Schlüsselerlebnis für mich in dieser Ausstellung. 

Die Ausstellung ist, wie gesagt, nach Wien ins Weltmuseum gezogen. Auf der Seite vom Projekt "Dispersed and Connected" findest Du viele Exponate der Ausstellung wieder, sowie weitere Infos und das Interview mit Michael Taussig.

Es gibt noch ein Buch, das ich Dir zu dem Thema empfehlen kann. "Im Schatten der Seidenstrasse" von Colin Thubron. Ein britischer Historiker reist teilweise per Anhalter von China nach Kurdistan. Voll mit Begegnungen, Gefahren, Wissen über die Geschichte und persönlichen Erfahrungen. Fließend und verständlich geschrieben. Ich habe das 460-seitige Buch verschlungen. Gern hätte ich seine Feldnotizen gesehen …

Habe ein schönes Weihnachtsfest!

Julia Zeichenkind

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Mit freundlicher Unterstützung von:

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