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Über sich trennende Pfade

Wahrscheinlich hat jede*r von uns im Laufe seines (ihres) Lebens bereits die Erfahrung gemacht, dass Freundschaften zerbrechen, man sich auseinanderlebt oder aus den Augen verliert.

Vor einigen Monaten erreichte mich die Nachricht einer Bekannten. Eine ehemalige Freundin ist verstorben.

Uff. Kurzzeitig dachte ich an einen schlechten Scherz. In meiner aktuellen Lebensrealität ist wenig Platz für schlechte Nachrichten. Und dennoch musste ich zwischen Windeln wechseln, in den Kindergarten bringen und Hausaufgaben kontrollieren irgendwo Platz dafür schaffen.

So tat ich, was ich konnte – andere Freunde und Bekannte informieren, Kinderbetreuung für die Beerdigung organisieren und zwischendrin darüber nachdenken, was ich den Eltern der verstorbenen Freundin schreiben könnte. Trost gibt es keinen. Stelle ich mir zumindest vor, wenn ich daran denke, dass eines meiner Kinder stirbt.

Es ist nicht mein Verlust, muss ich an dieser Stelle auch erwähnen. Ich hatte mit dieser Freundin seit über zehn Jahren keinen Kontakt mehr. Und dennoch war sie immer mal wieder in meinen Gedanken. Wir sind nicht im Streit auseinander gegangen – wir haben uns unterschiedlich entwickelt, sind unsere eigenen Wege gegangen und eine Bedingung war offenbar, dass wir uns voneinander lösen.

Was uns verbindet, ist die sensible Zeit, die wir miteinander verbrachten. Kaum eine Zeit nehme ich als so bewusst prägend wahr wie meine Teenagerjahre, welche natürlich auch die Menschen beinhalten, die diese Zeit mit mir erlebt, gestaltet, durchgestanden haben. Wir waren (so klischeehaft das nun klingen mag...) jung, frei, unerfahren und bereit für die große, weite Welt. Niemand konnte uns aufhalten. Wir haben miteinander gelacht, geweint, getrunken, Nächte durchgemacht, Partys gefeiert, Partner*innen kennengelernt und wieder verlassen – kurzum, wir hatten eine unbeschwerte Zeit, in der wir uns ausprobieren, unsere Stärken testen und auch das ein oder andere Horn abstoßen konnten.

Wie gut kann ich mich an die unzähligen Nachmittage erinnern, die wir Tee trinkend im Jugendzimmer meiner Freundin verbrachten, über Lehrer lästerten, die Wochenendpläne schmiedeten und fantastische Geschichten sponnen.

Wir machten gemeinsam Matura, ich begann mein Studium, sie ihres erst etwas später – und während ich meinen neuen Alltag zwischen Büchern, Klausuren und Bibliothek bewältigte, blieb sie für mich gefühlt erst einmal zurück. Was aus heutiger Sicht natürlich völliger Unsinn ist. Sie hatte einen Plan und letztlich kämpfte sie so lange, bis sie ihr Wunschstudium beginnen konnte. Dennoch befanden wir uns plötzlich in verschiedenen Welten, lernten neue Menschen kennen, befanden uns zwar unterm selben Himmel, hatten aber nicht mehr den gleichen Horizont.

Irgendwann verlief sich der Kontakt, mit einem gemeinsamen Freund hatte ich einen großen Streit und mit Anfang zwanzig endete unsere aktive Freundschaft – schmerzlos, ohne Trauer, ohne es ausgesprochen zu haben. Ein stilles Übereinkommen.

In all den Jahren seit unserem letzten Kontakt wusste ich tatsächlich nicht, wo sie ist und was sie macht.

Und dann kam die Nachricht der gemeinsamen Bekannten. Meine Freundin war schwer erkrankt und letztlich an den Folgen der Krankheit gestorben.

Zuerst war ich geschockt, dann traurig – unendlich traurig für ihre Eltern und ihre Freunde.

Ich habe lange überlegt, warum ich traurig bin, warum mich ihr Tod so berührt, obwohl wir doch seit Jahren keinen Kontakt hatten, sie eigentlich nur noch ein Schatten meiner Jugend war. War ich traurig, weil ich es bereute, sie nicht mehr aktiv in meinem Leben gehabt zu haben? Oder war ich einfach so fassungslos, weil es für die Krankheit keine Erklärung gab und es jede*n von uns treffen hätte können?

Schlussendlich schrieb ich ihren Eltern einen Brief, der mir auch bewusst machte, warum mich ihr Tod so berührte.

Wir sind ein wesentliches Stück unseres Lebensweges Seite an Seite gegangen. Haben uns begleitet, gestützt, gelacht und geweint, ohne sie wäre meine Jugend wesentlich weniger bunt gewesen. Ohne sie wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin. Ohne sie hätte mir etwas Wichtiges in meinem Leben gefehlt.

Das Essenzielle ist, es wird im Leben immer wieder Menschen geben, die uns nur auf einem Teilstück begleiten. Das macht diese Menschen jedoch nicht weniger wichtig. Auch wenn sich die Pfade zweier Menschen trennen, bleibt die Vergangenheit bestehen – die Erinnerung bleibt.

Ich werde für immer dankbar sein für die Freundschaft, die wir hatten, den Weg, den wir gemeinsam beschritten haben und die Erinnerungen, die wir schaffen konnten.

Manchmal trennen sich freundschaftliche Wege in Frieden. Auch wenn ich mir gewünscht hätte, meine Freundin noch einmal in diesem Leben zu treffen, Resümee zu ziehen, von ihr zu hören, dass es ihr gut ergangen ist, ihr meine Kinder vorzustellen – so viele Wünsche, doch keiner davon wird sich je erfüllen. Es ist zu spät. Und das ist in Ordnung.

Ihr Tod ist nicht in Ordnung. Wird er niemals sein – niemand sollte so jung gehen müssen. Aber es ist in Ordnung, dass unsere Wege sich getrennt haben, lange bevor sie starb.

Für I. - ich hoffe, wir sehen uns im nächsten Leben!

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