Logbuch 2025, Teil 9
GrüGo allerseits! Ist schon wieder Sommerloch? Die letzte Maiwoche war heiter bis wolkig. Israelkritik! Work-life-balance! False Balance! Lanz! Schlussstriche! Rollkrägen! Und ein Pulli. Wir gehen rein:
Thema israelbezogener Kokskonsum:
Friedrich Merz hat es gewagt, die Kriegsführung der israelischen Regierung zu kritisieren (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Wirklich! Julian Reichelts milliardärsfinanzierte Selbsthilfegruppe für rechtsradikalisierte Journalismusausfälle witterte direkt Antisemitismus und warf dem Antisemitismusbeauftragten, Felix Klein, direkt selbst Antisemitismus vor. Der beanstandete, vor Judenhass nur so strotzende Satz (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): “Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, die Sicherheit Israels und der Juden weltweit zu bewahren. Aber wir müssen auch klar sagen, dass das keine Rechtfertigung für alles ist. Die Palästinenser auszuhungern und die humanitäre Lage vorsätzlich dramatisch zu verschlimmern, hat nichts mit der Sicherung des Existenzrechts Israels zu tun. Und es kann auch nicht deutsche Staatsräson sein.”

Thema Kinderschokolade:
Das ehemalige Milchschokoladentestimonial ist nunmehr auch ehemaliger Tagesschausprecher – “So ein bisschen aus Trotz auch (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)” wechselte Constantin Schreiber zu Axel Springer und kann dort fortan als “eine Art Welterklärer, nein, das klingt zu groß, eher Weltwegweiser” seine Opferrolle in islamkritische “Podcasts, TV-Dokumentationen, ein[en] eigenen Talk, multimedial” einbinden. Oder wie er auch sagt: “Journalismus pur”!Ach du liebe Zeit:
Im Politikteil lag ein Hufeisen quer – unter dem Titel “Sind Rechte die besseren Linken? (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)” fragten der normalerweise recht wache Robert Pausch und die zuletzt mit Verklärung Poschardts und Mischkes aufgefallene Anna Mayr, was es denn nun mit dem Rechtsruck auf sich habe. Behauptung: “Ideologie-Fasching [...] – vieles von dem, was sich Linke bloß zu flüstern trauten, sprechen die Rechten offen aus.” Wer bspw diese Linken sind, genauere Untermauerungen, der Umstand, dass Globalisierungs- und Konsumkritik mitnichten links sind und dass Fragen in Überschriften stets mit nein beantwortet werden können schafften es nicht in den nicht gekennzeichneten Meinungsbeitrag. “Grund genug, einmal zu fragen, was hier [bei der Zeit] eigentlich im Gange ist.”
Thema Sweatshirts:
Das wichtigste Ereignis der Woche war ein Pulli. Nicht irgendeiner, es muss der mächtigste Pulli der Nation sein. Am Tag, als Deutschland stillstand, trug Jette Nietzard einen übergrößen Crewneck in equipment green, einem satten Petrolgrün. Das an die dreistreifige Weltmarke angelehnte Logo stilisiert einen Mittelfinger, der gestickte Schriftzug trägt die Buchstabenfolge a.c.a.b. Nietzards Haupt wird von einer Kappe bedeckt, auf der die kleine Raupe Nimmersatt “eat the rich” propagiert. Das Problem: Jette Nietzard ist zufällig auch Vorsitzende der Grünen Jugend und fragt keck auf der Plattform Instergram, was Julia Klöckner wohl schlimmer finde – Pulli oder Cap?

Nun herrscht seit einer Woche Staatskrise. Hitlerfreaks dot com (ehemals twitter) dreht frei, die Erzeugnisse des Axel-Springer-Verlags blasen zum Halali auf die Jungpolitikerin, ihre Partei zeigt offen, dass sie sich die Ermangelung eines Rückgrats von der SPD entlehnt hat, die Parteivorsitzende sagt wahrheitsgemäß (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), dass ein kritischer Umgang mit Sicherheitsbehörden (und mutmaßlich eine angemessene Besteuerung von Überreichen) nicht mit der Partei konform gehe, irgendein mittiger Markus Marke Hauptstadtkorrespondent (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) fordert Nietzards Rücktritt, Cem Özdemir rennt davon inspiriert zur BILD und fordert ihren Parteiaustritt, sich als links verstehende Kolumnisten stimmen Plädoyers für mehr Respekt vor der Staatsgewalt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) an, vergleichen das Tragen eines a.c.a.b.-Pullis allen Ernstes mit Hitlergrüßen und “Ausländer raus”-Gegröle auf Sylt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), in der Zeit attackiert eine viel über ostdeutsche Benachteiligung schreibende ostdeutsche Frau (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) die ostdeutsche Frau mit Pulli, die ja auch wirklich ständig provoziert! Man stelle sich vor, die kombiniert sogar Adidas mit Nike! Und Rot mit Leo. In einem Outfit!
Also ja, klar ist das ne plumpe Provokation. Das Outfit damals. Und ja, dieser Pulli erst! A.C.A.B. – das steht für… Annalena Charlotte Alma Baerbock? All Cats are beautiful? All cheesecakes are beautiful? All Christdemokraten are Bohnenjockel? All Cops are Bastards? Oder All Cops are Beautiful, wie die Bundespolizei selbstironisch riesig in Berlin plakatierte? Jedenfalls ein Angriff auf die Grundpfeiler unseres Staates, Julia Klöckner will deshalb präventiv Nietzards Hausausweis schreddern (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) wie damals Küken. Was, im Bundestag hüpfen 151 Rechtsextremist*innen rum, die teils stramme Neonazis beschäftigen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die wiederum auch mal entsprechende Symbolik tragen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)? Egal!
Nun muss eigentlich nicht weiter auf die bewusste Provokation eingegangen werden und auch nicht auf die Frage, ob da nun systemische Kritik angebracht wurde oder nicht. Parolen erfassen selten allumfassend den Kern eines Problems, sind plakativ, oftmals stumpf, und ja, latürnich ist diese Parole verletzend. Aber sie richtet sich nunmal gegen eine bewaffnete Gruppe mit Gewaltmonopol, die sich aus Menschen zusammensetzt, die sich freiwillig für diesen Beruf entscheiden und in der Regel Korpsgeist über das Anprangern von strukturellen Missständen stellen. Und während Gerichte sich uneins sind, mal eine strafbare Beleidigung beanstanden und mal Kritik an einer unbestimmten Gruppe (siehe auch: Soldaten sind Mörder (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)), zeigen sich in dieser lauwarm aufgewärmten Debatte vor allem wieder: ein verschobenes Overtonfenster, rechte Dünnhäutigkeit und große Lust daran, sich an einer Frau abzuarbeiten. In diesem Sinne herzlichen Glückwunsch, während wir hier noch Stöckchenspringen spielen, wurde bekannt, dass beim Prozess um den mutmaßlichen Mord an Oury Jalloh entscheidende Beweismittel durch die zuständige Generalstaatsanwaltschaft zurückgehalten wurden (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Thema Verfassungsschutz:
Die Junge Union fordert wegen des Pulli-Gates eine Verfassungsschutz-Beobachtung der grünen Jugend (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Die Junge Union, auf deren Mönchengladbacher Weihnachtsfeier 2024 “Deutschland den Deutschen, Ausländer raus gesungen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) wurde. Die Junge Union, deren Pinneberger Mitglieder 2024 fleißig AfD-Content auf Instagram herzten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Die Junge Union, deren Ortenauer Verband 2024 den längst völlig in den Rechtsextremismus abgedrifteten Julian Reichelt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) für einen Vortrag einluden. Die Junge Union, deren damaliger Berliner Vorsitzender 2024 Merkel mit Hitler verglich (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Die Junge Union, bei der 2023 ein Düsseldorfer Mitglied den Hitlergruß zeigte und entsprechende Reden hielt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Die Junge Union, deren Rheinberger Vorsitzender 2021 auf einer Geburtstagsfeier den Hitlergruß zeigte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Die Junge Union, deren Limburger Mitglieder 2018 auf Sauftour in Berlin gegen “Schwuchteln” hetzten und Wehrmachtslieder sangen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) – am Tag der Reichsprogromnacht. Die Junge Union, deren Münsteraner Verband 2012 auf der Weihnachtsfeier mit einer Reichsflagge posierte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Die Junge Union, deren Münchner Mitglieder 2011 immer wieder durch rechtsextreme Facebook-Posts auffielen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Wie immer gilt auch hier bei dieser Auswahl: Sicherlich alles bedauerliche Einzelfälle.

Ferner liefen:
Carsten Linnemann fand, dass “ganz konkret” Rentner zu wenig arbeiten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und Menschen sich im Bürgergeld ausruhen. Linnemann selbst ruht sich kontinuierlich seit fast 20 Jahren auf Zuwendungen aus Steuergeldern aus. Hendrik Streeck – bekannt durch Corona – wird Drogenbeauftragter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Wenn Cannabis kein Broccoli ist, ist dann Heroin auch kein Impfstoff? Streecks guter Freund Jens Spahn wurde für seine Steuergeldverschwendung als Gesundheitsminister gerügt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), heigottseidank ist er als CDU-Fraktionsvorsitzender nur in der Nähe von Macht und Verantwortung. Die Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz findet, man solle nicht so hart mit Nazis sein und zeigt Verständnis (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), wenn diese bei ihrer ersten Bundestagsrede etwas ungehobelt auftreten. CDU-Fraktionsvize Günther Krings findet, man solle die Menschenrechtskonvention noch mal überprüfen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), weil ihm zu viele Ausländer kommen. Doppelter Beobachtungsfall: Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident und die vorsitzende gesicherte Rechtsextremistin machen freudestrahlend Fotos zusammen. Sie bedankt sich bei ihm, dass er sie damals nicht beobachtet hat (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Und Gabor Steingart zieht im Focus den Schlussstrich: “Deutschland war Gefangener der Hitlerzeit (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)”, schreibt er, aber: “Statt Unterwerfung demonstriert Deutschland nun Selbstbewusstsein”. Endlich. Ähnlich brisant: Sebastian Tigges verwandelt die Trennung direkt in einen Podcast (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Und Markus David Precht und Richard Lanz fürchten das Ende der Meinungsfreiheit (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) oder so, jedenfalls hat Böhmermann damit zu tun und die Linken sind schuld an der ~Wokeness von rechts~.

Das wars.
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