VH15 Die deutsch-polnischen Beziehungen, 1939-2023: Massenmord, Annäherung, Kooperation, Misstrauen
Fritz Behrendt, Ein neues Blatt, 1971
Die Verbrechen, die die nationalsozialistischen Besatzer zwischen 1939 und 1945 in Polen begangen haben, sind horrend – und heute doch vielfach aus dem Bewusstsein der öffentlichen Erinnerung verschwunden oder zumindest von den vielen anderen Untaten des Dritten Reiches überlagert. Allerdings: Diese Beobachtung gilt nur für die kollektive Erinnerung der Bundesrepublik; in Polen selbst sind die Jahre der deutschen Besatzung bis heute nicht vergessen.
Nach 1945 sollte es mehr als zwei Jahrzehnte dauern, bis die deutsch-polnischen Beziehungen langsam besser wurden. In der Ostpolitik der sozialliberalen Koalition der frühen 1970er Jahre spielte die Aussöhnung mit Polen eine herausgehobene Rolle; dafür steht ikonisch das Bild von Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal der Opfer des Warschauer Ghetto-Aufstands (von dem die Öffentlichkeit im sowjetischen Herrschaftsbereich aus den staatlichen Medien übrigens nie etwas erfuhr).
Erklärte Absicht der Bonner Regierung war es, in den deutsch-polnischen Beziehungen ein „neues Kapitel“ aufzuschlagen – hier brillant von Fritz Behrendt visualisiert. Deutschland und Polen knüpften in der Folge – insbesondere nach dem Fall der Mauer 1989 – immer engere Beziehungen. Ähnlich dem Deutsch-französischen ermöglicht das deutsch-polnische Jugendwerk die Begegnung von jungen Menschen.
Allerdings ist die Aufarbeitung der Besatzungszeit zwischen 1939 und 1945 zumindest für die rechtsnationalistische PiS-Regierung heute keineswegs abgeschlossen. Ganz im Gegenteil, seit einiger Zeit machen Vertreter der Partei mit teils wahnwitzigen Reparationsforderungen gegen die Bundesrepublik Stimmung. So werden Oppositionspolitiker als „Freunde der Deutschen“ und „Verräter“ diffamiert. Kommt es im heraufziehenden Wahlkampf zu einer weiteren Radikalisierung der PiS, geraten die in den letzten Jahrzehnten mühsam gekitteten deutsch-polnischen Beziehungen erneut in Gefahr.