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Seien Sie beunruhigt!

Veith Selk erzählt eine Geschichte, die leider nicht ganz unplausibel klingt: Mit der Demokratie wird das nichts mehr.

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Einige Meldungen aus den vergangenen Tagen: Ein amerikanischer Komplexitätsforscher sieht eine 50-Prozent-Wahrscheinlichkeit für einen US-Systemkollaps nach den kommenden Präsidentschaftswahlen, also für Chaos, Unregierbarkeit und den Zerfall der Vereinigten Staaten. Österreich Bundesheer präsentierte anderntags seine offizielle Risikoanalyse unter dem Titel „Die Welt ist aus den Fugen“.

Es kracht an allen Ecken und dass auch die Demokratie schon einmal bessere Zeiten gesehen hat, ist eine Binsenweisheit. Legitimationsprobleme und populistische oder rechtsextreme Revolten, dazu Handlungsschwäche und Autokraten, die Blut lecken und ihre Chance sehen. Die üblichen Beschwörungsvokabel lauten, dass die pluralistischen, liberalen Demokratien diese „Herausforderung“ annehmen, sich selbst als „reformfähig“ erweisen oder „wehrhaft“ werden müssen.

Veith Selk, Forscher für politische Theorie und Politikwissenschaft an der TU Darmstadt geht aber den einen, konsequenten Schritt weiter: Was, wenn die heutigen Strukturprobleme der Demokratie nicht einfach reparaturwürdige Defekte sind, sondern auf ein baldiges Ende der demokratischen Ära hindeuten? „Demokratiedämmerung“ heißt das Buch, die „Zeit“ nannte es eine „brutale Niedergangsdiagnose“, die sich „schon bald als prophetisch erweisen“ könnte.

Die Phänomene: massiver Vertrauensverlust etablierter Politik, Zerfransung von Diskursen, Herrschaft der Fake-News, demokratische Parteien, die nur wenig zuwege bringen, extremistische Radauparteien, die aufsteigen (sodass die demokratische Politik noch weniger zuwege bringt). Wir kennen diese Erscheinungen alle. Aber sie sind, so Selk, nicht bloß Symptome für ein paar lösbare Probleme.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk hat schon vor einigen Jahren in seinem Buch „Der Zerfall der Demokratie“ ein paar unerfreuliche Gedanken vorgetragen, nämlich, dass womöglich die liberale Demokratie des Westens, die bei allen Schwächen eine der großen Erfolgsgeschichten war, von drei Voraussetzungen abhing: Erstens, einem raschen Anstieg des Lebensstandards, zweitens einer relativen ethnischen Homogenität und drittens einer Struktur von Öffentlichkeit, die dazu führte, „extreme Ansichten an den Rand zu drängen“. Jetzt gibt es ökonomischen Stress, einen Verlust an Optimismus, ethnische Diversität und eine Struktur von Öffentlichkeit, die das Laute, das Extreme belohnt und das Verbindende als faden Eliten-Mainstream abwertet.

Während der Common Sense lange – und sei es auch nur halbbewusst – davon ausging, dass gesellschaftliche Entwicklung, Fortschritt und mehr Demokratie und Partizipation miteinander einher gehen, dreht Veith Selk in „Demokratiedämmerung“ die Sache um und urteilt, dass „die Fortentwicklung moderner Gesellschaften und ihrer politischen Verhältnisse einen Niedergang der Demokratie mit sich bringt“. Gewissermaßen: Der Niedergang der Demokratie ist eine innere Tendenz moderner Demokratien. Man schluckt da, besonders wenn Selk lapidar konstatiert: „Eine Umkehr dieser Entwicklung ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen unwahrscheinlich.“

Die ausgebreitete Indizienkette für die These ist jedenfalls ziemlich beeindruckend.

Die Pluralisierung selbst schafft die Dynamiken, die Pluralisierung und Liberalität in Gefahr bringt.

Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft und die Individualisierung untergräbt traditionelle Parteibindungen und führt zu einer Zersplitterung der politischen Landschaft und Hauen und Stechen der Politiker. Sachliche Politik wird von berufsmäßigen Experten der Politik betrieben, eine „Nähe“ zu den Vertretenen ist nicht hinzubekommen. Die damit einhergehenden Frustrationen machen Populisten stark. Politik wird immer komplexer und komplizierter, sodass auch durchschnittlich informierte Bürger die meisten Verfahren nicht verstehen. Früher sprach man von zwei Legitimationsquellen von Politik, nämlich der „Input-Legitimation“ – wenn also die Bürger die Verfahren, die zu Entscheidungen führen, als legitim ansehen –, und die „Output-Legitimation“, wenn also das Ergebnis von Entscheidungen den Leuten nützt, was üblicherweise für Zustimmung sorgt. Beides funktioniert nicht mehr, weil die Verfahren selbst beanstandet werden und außerdem viele Menschen Erfahrungen von Verlust machen. Dazu: Der Niedergang eines Kapitalismus, der die Wohlfahrt aller hob. Dazu auch noch: Komplexe supranationale Institutionen wie die EU, in denen nichts weiter geht, weil sich alle gegenseitig blockieren. Nicht zu vergessen: der Strukturwandel der Öffentlichkeit mit seinen Aufganselungs- und Fake-News-Schleudereien. Die Politik reagiert darauf oft hilflos, indem man die eigenen Entscheidungen durch Wissenschaft begründet, aber in einem Zustand allgemeiner Politisierung wird dann auch die Wissenschaft „politisiert“ – also zum Gegenstand politischen Streits –, sodass auch das „Expertenwissen“ als Legitimationsquelle unterminiert wird.

Und das sind nur ein paar kurze Pinselstriche von Selks beeindruckender Indizienkette. Besonders fröhlich lässt einem das Buch nicht gerade zurück. Die Frage steht im Raum: Was, wenn er recht hat? Was, verdammt, tun wir dann?

Veith Selk: Demokratiedämmerung. Eine Kritik der Demokratietheorie. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Berlin, 2023. 328 Seiten. 23,70.- €

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