“Wir werden nicht gemütlich sein”
Mein Rede bei der Demonstration „Demokratie braucht Dich“ vor 320.000 Teilnehmern am vergangenen Samstag, 8. Februar, in München.
Wenn Sie über neue Postings informiert werden wollen, bitte hier klicken:
Wenn Sie einen freiwilligen Beitrag in Form eines kleinen Abos leisten möchten, dann freut mich das sehr:
Hallo München!
Sie stehen heute hier, weil Sie Verhältnisse, wie sie in meinem Land herrschen, verhindern wollen.
Ich wiederum stehe heute hier, weil ich Ihnen von den Geschehnissen in meinem Land berichten will.
Aber ich verstehe diese Einladung, hier zu sprechen, auch als einen Akt der Solidarität.
Dass Ihr nicht wegseht, bei dem, was bei uns passiert.

So wie wir auf unsere Freundinnen und Freunde in der Slowakei schauen, wo eine nationalistisch-autoritäre Regierung die Freiheit und die Vielheit der Zivilgesellschaft zerstören will.
So wie in Ungarn, wo unsere Freundinnen und Freunde kaum mehr Luft zum Atmen haben, weil Viktor Orban das Land in eine Halb-Diktatur umgebaut hat.
So wie in den USA, wo sich in diesen Tagen in atemberaubender Rasanz buchstäblich ein Staatsstreich von Oben vollzieht.
Liebe Freundinnen und Freunde, wir leben in einer nicht ganz erfreulichen Zeit:
Über ganze Nationen senkt sich heute wieder ein eiserner Vorhang der Unfreiheit und der Angst, die in alle Poren kriecht.
Und eine Herrschaft der Niedertracht breitet ihre Macht aus.
Wenn Sie mich fragen, wie Demokratien sterben, dann kann man darauf vielleicht eine Antwort geben:
Allmählich, und dann plötzlich.
In meinem Land ist es sehr wahrscheinlich, dass wir demnächst einen Rechtsextremen Bundeskanzler haben werden – Herbert Kickl, Chef der FPÖ, der seine Partei in den vergangenen Jahren noch einmal radikalisiert hat. Es ist etwa so, als würde Björn Höcke bei Ihnen Bundeskanzler werden.
Aber wie kommt ein Land an so einen Abgrund?
Wieder: Allmählich, und dann plötzlich.
Dem vorausgegangen sind bei uns dreißig Jahre der Vergiftung des Klimas und der Vergiftung der Sprechweisen, der Sprache. Ein Wir-gegen-Sie. Bis dann jeder Migrant als Krimineller hingestellt wird, jeder Flüchtling als Messerstecher.
Die Vergiftung des Klimas, sie geschieht mal schleichend, in kleinen Dosen, dann rasant, eine Rutschpartie ins Fiasko.
Dem vorausgegangen ist jedoch auch, dass der Konservatismus kippt, dass die Kooperation mit den Extremisten als Normal hingestellt wird.
Erst ist es ein Tabubruch, dann wird es langsam zur gewohnten Übung – und dabei bleibt es dann nicht.
Es ist, das ist die Lehre aus meinem Land, so unschätzbar wichtig, dass Sie genau jetzt, genau bei den ersten Versuchen, den ersten Tabubrüchen, schon aufstehen und sagen: Halt, stopp, hier geht’s steil bergab, da lauert der Abgrund!
Was einen rechtsextremen Bundeskanzler in Österreich zuletzt zu einer solchen gefährlichen Realität, oder besser, realistischen Gefahr gemacht hat, war eine Abfolge von Fehlhandlungen, unverzeihlichen Fehlern. Die Rechtsextremen haben 28,8 Prozent erhalten. Parteien, die allesamt eine Koalition mit Herbert Kickl ausgeschlossen haben, haben 71 Prozent der Stimmen erhalten, also eine überwältigende Mehrheit. Doch dann sind diese Parteien daran gescheitert, eine Regierung zuwege zu bringen. Sie haben ihre Wählerinnen und Wähler verraten.
Es ist ein irrwitziger, ein unverzeihlicher Fehler.
Und am Ende haben die Konservativen den Rechtsextremen die Tür zur Macht aufgestoßen.
Schande über alle, die ihrer staatspolitischen Verantwortung, der Verantwortung der Demokraten nicht gerecht geworden sind.
Wir müssen uns in meinem Land auf ungemütliche Zeiten einstellen, auch wenn man über uns ja sagt, wir hängen an der Gemütlichkeit.
Nein, man soll sich keinen Illusionen hingeben: Die Demokraten, die bunte Zivilgesellschaft, die vielfältigen Milieus heutiger moderner Gesellschaften, wir werden zähen, entschlossenen, auch mutigen Widerstand leisten müssen.
An jeder Stelle. Tag für Tag. Jeder und jede an ihrem Platz. Um an jeder Stelle, an der der autoritäre Umbau vollzogen werden wird, mit Opposition und Gegenwehr aufzutreten.
Wir werden nicht gemütlich sein.
Wenn es denn so kommt: Denn noch können die Konservativen umkehren in Österreich und eine Regierung der Mitte bilden. Deswegen sage ich den Protagonisten auch von hier das, was ich seit einem Monat immer wieder sage: Kommt runter von diesem Horrortrip!
Aber wenn es nun so kommt, dass eine rechtsextreme Regierung gebildet wird, dann ist klar:
Wir werden jeden Zentimeter der liberalen, pluralistischen Demokratie verteidigen.
Wir werden Korsare der Freiheit und des Rechts sein, und wenn es im Augenblick auch eher unerfreulich aussieht, werden auch andere Tage kommen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Sie aber, sie stehen heute hier, weil sie sagen: Wir wollen, dass es in Deutschland gar nicht erst so weit kommt. Weil sie sagen: Es reicht schon jetzt, mit einer Ideologie, die mit Hass, mit Hetze, mit dem Gegeneinander, mit dem Schüren von Wut und dem Aufstacheln der niedrigsten Leidenschaften operiert, dass es reicht damit, dass aus den Menschen das Schlechteste rausgekitzelt wird.
Weil sie mit Schrecken sehen, was anderswo schon möglich geworden ist und weil sie laut sagen:
Der Aufstieg dieses neuen Faschismus, er ist aufhaltbar.
Weil Sie sagen: Es reicht. Es reicht längst!
Und sie haben recht! Und wie sie recht haben!
Es reicht, es reicht längst! Genug ist genug.
Aber ich denke, wir alle wissen auch, und hier stehen heute die bunte Breite der Gesellschaft zusammen, Schulter an Schulter: Schriftstellerinnen und Metallarbeiter, Klimaaktivistinnen und Gewerkschafter, grauhaarige Boomer und blauhaarige Last-Generation-Kids, Parteifunktionäre und Unabhängige, Straßenbahnerinnen und Schwarzfahrer, Deutsche und Einwanderer, Feministinnen und Machos, Vegetarier und Bratwurstliebhaber, syrische Kunststudentinnen und fränkische Bauern, deutschtürkische Gymnasiastinnen und oberbayrische Opas…
die ganze bunte Breite der Bevölkerung, wo man üblicherweise sagen würde „wir sind das Volk“
Die Demokratie braucht Dich, sagen sie hier. Wie wahr das ist. Aber das bedeutet auch: Es geht nicht nur darum, das Schlimmste zu verhindern, sondern unsere Gesellschaften auch zu verbessern. Weil die Klimavergifter und Menschenaufhusser auch von der berechtigten Unzufriedenheit leben, weil sie vom Pessimismus leben, weil sie von der Stimmung des Depressiven leben und von den Unzulänglichkeiten und auch den Fehlern einer Demokratie, von der vielen Leute fragen: Funktioniert die noch so für mich, wie sie sollte?
Die Profiteure des Ungeistes, sie sind die Parteien der Hoffnungslosigkeit, buchstäblich, weil sie von der Hoffnungslosigkeit leben. Sie sind verliebt in die Hoffnungslosigkeit. Sie sind durchdrungen vom Negativismus. Sie sind die Hoffnungslosigkeits-Parteien.
Wo es bisschen glüht, werfen sie Brandbeschleuniger hinein, wo es schon brennt, kippen sie auch noch Öl ins Feuer.
Aber, und diese Frage geht an die, die angesteckt sind von diesem Geist und dieser Ideologie: Wisst ihr, was passiert, wenn es brennt? Wer mit dem Feuer spielt, der sollte niemals vergessen, dass Feuer brennt.
Und wenn man alles niedergebrannt hat, sitzt man in rauchenden Ruinen, und das ist meist keine allzu bequeme Sitzgelegenheit.
Bedenkt das rechtzeitig!
Und noch ein Letztes: Die Wortführer von Hass und Ressentiment nennen sich ja gerne „Patrioten“. Aber wer sein Land liebt, der spaltet es nicht. Der echte Patriotismus, das hat die Geschichte gezeigt, ist nicht bei denen, die immer ganz laut den Patriotismus vor sich her brüllen, sondern bei denen, die ihr Land verbessern. Die, in ihrer Zeit, an ihrem Ort, dafür sorgen, dass ein Land besser dasteht. Wie es so schön heißt: Weil wir dieses Land verbessern, beschützen und beschirmen wir’s.
Besser machen, und sei es in kleinen Schritten, das ist es, was Gesellschaften weiter bringt. Und nicht der falsche Patriotismus der Schreihälse.
Weshalb wir, ich, sie und sie und sie, wir dieser Lust an der Zerstörung auch mit einer Orgie des Besser-Machens begegnen müssen.
Wir begegnen der Verhärtung mit Sanftheit,
die Verbiestertheit mit der Weltverbesserung
und den Hass mit der Hoffnung.
Wir überwinden das Gegeneinander mit dem Glück des Gemeinschaftlichen,
das Geschrei mit dem Zuhören und dem Ins-Gespräch kommen,
die Böswilligkeit mit dem Respekt vor dem Gegenüber.
Wir bekämpfen die Raserei mit der Vernünftigkeit
den Egoismus mit dem Geist der Gerechtigkeit und der Solidarität,
oder,
wie das unser slowakischer Freund Matej Drlicka sagte: We beat the fascists with the Power of Love!
Wir überwältigen die Faschisten mit der Macht der Liebe!