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Der Übermedien-Newsletter von Stefan Niggemeier.

Liebe Übonnentin, lieber Übonnent,

zu den vielen unübersichtlichen Diskussionen über die Grenze der Meinungsfreiheit, die Breite des Meinungskorridors und generell, was man wo in Deutschland eigentlich noch sagen darf, ist eine neue hinzugekommen: Darf man im Wutbürgermagazin von Roland Tichy die grüne Außenministerin loben?

Georg Gafron hat es versucht und ist damit gescheitert. Ausgerechnet Gafron! Er war einmal, die Älteren werden sich erinnern, eine schillernde, umtriebige, sehr konservative Figur in der Berliner Medienwelt und üppig bezahlter Berater des Medienmoguls Leo Kirch. Heute schreibt er unter anderem für „Tichys Einblick“ vor allem über den „linken Talkshow-Reigen von ARD und ZDF“, oder besser: Er tat es.

Er hat die Zusammenarbeit nach zwei Jahren beendet, weil die Redaktion eine Besprechung von ihm über eine „Anne Will“-Sendung drastisch umgeschrieben hat: Mehrere lobende Formulierungen über Annalena Baerbock wurden durch vernichtende Kritik an Annalena Baerbock ersetzt. Jan Fleischhauer hat die ganze Sache in seiner Kolumne im „Focus“ aufgeschrieben (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (und mit einigen Girlanden und waghalsigen Interpretationen ausgeschmückt; zwei Seiten im Papierheft müssen gefüllt werden).

Gafron habe demnach erst Tage nach der Veröffentlichung gemerkt, dass sein Text plötzlich ganz anders klang. Fleischhauer kommentiert: „[…] dass man das Geschriebene in sein Gegenteil verkehrt und das Ganze dann publiziert, ohne dem Autor Bescheid zu geben? Das ist mir in 34 Jahren Journalismus noch nicht begegnet.“ Er fügt übertrieben dramatisch hinzu: „Ich dachte, so etwas gibt es nur in Putins Russland.“

Gafron werde für Tichy nicht mehr schreiben, berichtet Fleischhauer: „Ein Publikationsorgan, das seine Leser vor Meinungen, die sie nicht teilen, beschützen will, kann für einen wie ihn keine Heimat sein.“

Die Geschichte hat noch ein paar Bonus-Pointen. Zu dem, was Tichys Redaktion in Gafrons Besprechung einfügte, gehörte auch der Vorwurf, dass Baerbock wegen ihrer „Versprecher“ für ihr Amt „so gefährlich“ sei:

„Da wird Deutschland kurz zum ‚größten Land Europas‘ erklärt und aus Moldawien wird Moldau. So etwas darf eigentlich einer Außenministerin nicht passieren; die Präzision der Sprache und des Denkens sind nicht mehr ihre Privatsache, sondern können über Krieg und Frieden entscheiden.“

Was man in der um präzises Sprechen und Denken so besorgten Redaktion von „Tichys Einblick“ offenbar nicht weiß: Moldawien ist (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Moldau. (Die Sache mit Deutschland als „größtem Land Europas“ ist offenbar schon älter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre); Baerbock meint ganz offenkundig „größtes Land der EU“, bitte schießen Sie nicht gleich.)

Inzwischen ist die Sache mit Moldawien aus dem Text verschwunden (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), stattdessen steht am Ende der Satz: „Hinweis in eigener Sache: Wegen Fehler in der Sachdarstellung wurde der ursprüngliche Text von der Redaktion aktualisiert.“ Das richtet sich aber vermutlich gegen Gafron, dessen Name nun nicht mehr über dem Text steht.

Es gibt auch eine Antwort bei „Tichys Einblick“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) auf Fleischhauers Text und Gafrons Vorwürfe. Alexander Wendt räumt darin ein, dass dessen Text sich nach der Bearbeitung durch die Redaktion „deutlich“ vom Ursprung unterschied, „weshalb man sich darauf einigte, seinen Autorennamen zu entfernen“.

Das klingt, als hätte man sich darauf mit Gafron vor der Veröffentlichung geeinigt. Aber dem widerspricht nicht nur Gafrons Darstellung. Es ist auch falsch: Der Anti-Baerbock-Artikel, den Gafron nicht geschrieben hat, stand mehrere Tage lang unter seinem Autorennamen auf der Seite (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Diese Woche neu auf Übermedien:

Und nun live zur Verlobten des FDP-Vorsitzenden (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) | Der große Interessenskonflikt der neuen Politik-Chefreporterin von „Welt“-TV.  

Märchen der deutschen Regenbogenpresse geht als Falschmeldung um die Welt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) | Nein, Kate und William haben sich nicht getrennt.

Kann es sein, dass es Social Bots gar nicht gibt? (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) | Der Medieninformatiker Florian Gallwitz meint, dass Medien immer wieder auf eine Verschwörungstheorie hereinfallen. (Podcast)

Mehr unbestätigte Gerüchte gleich bei „Bild“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) | Nach einer Gewalttat an einer Schule in Bremerhaven sprach „Bild“ von einem zweiten Täter. Typisch.

„Sekt, Wein und Wasser: Ich glaube, alles ist hier möglich“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) | Fernsehreporter erspüren nach der Wahl in NRW „Euphorie mit angezogener Handbremse“. (Video)

Ich habe in dieser Woche wieder mehrere alte Brieffreundschaften gepflegt. Zum Beispiel mit der Pressestelle des Bauer-Verlages, von der ich gerne wissen wollte, ob die Redaktion der „Neuen Post“ bei ihrer Darstellung bleibt, dass sich Kate und William getrennt haben und die Herzogin schon mit den Kindern ausgezogen ist. Die Geschichte hatte weltweit für Aufsehen gesorgt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Antwort der Bauer-Pressestelle: „Vielen Dank für Ihre Anfrage, wir werden uns zu diesem Thema nicht äußern.“

Ist das nicht toll? Da ist ein Unternehmen, das sich als „Europas größter Zeitschriftenverlag und eines der führenden Medienhäuser weltweit“ bezeichnet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), und wenn man nachfragt, ob eine ihrer Geschichten, die gerade eine große internationale Karriere gemacht hat, überhaupt stimmt, antworten die weder: „Klar!“ noch: „Ups, da ist was schiefgelaufen“, sondern: Also, wir sagen da nichts zu.

(Das ist derselbe Verlag, der gemeinsam mit Axel Springer, Burda, Gruner+Jahr und Funke vor dreieinhalb Jahren eine Initiative „True Media“ gründete (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und sich Sätze zusammenlog wie: „Unsere publizistische Verantwortung nehmen wir sehr ernst – in Print und Digital. Wir recherchieren, wir überprüfen und wir separieren die Wahrheit, auch die unbequeme, von der Falschinformation – ob es um politische, inspirierende oder unterhaltende Inhalte geht.“)

Auch mit den Presseleuten von Axel Springer habe ich in dieser Woche mal wieder gemailt. Von meiner Seite kam ein Katalog von 13 Fragen zu der mir relativ erstaunlich erscheinenden Tatsache (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), dass die Verlobte des FDP-Bundesvorsitzenden im Fernsehen der „Welt“ als Chefreporterin über Politik berichtet, auch über FDP-Politik. Zurück kam eine sehr kurze Antwort, die mit dem Satz begann: „vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir allerdings nicht im Detail beantworten werden“.

Wobei: immerhin. Von der Pressestelle der Funke-Mediengruppe werde ich inzwischen geghostet.

Anfang des Jahres hatte die Unternehmenschefin Julia Becker in einem Interview mit „turi2“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gesagt, dass man „klare Richtlinien“ für die eigenen Regenbogenblätter definiert habe, um etwa bei der kreativen Titelgestaltung die Grenze zur Falschmeldung nicht zu überschreiten. Ich hatte deshalb erstmals am 24. Januar bei der Pressestelle nachgefragt: „Können Sie mir mehr über dieser Richtlinien sagen? Wer hat sie wann definiert und was genau beinhalten sie? Wäre es möglich, diese Richtlinien zu bekommen?“

Ich habe darauf, trotz mehrfacher schriftlicher Nachfragen, zuletzt in dieser Woche, keine Antwort bekommen, nicht einmal die Antwort, keine Antwort zu bekommen. Als ich mal anrief, hieß es, dass Unternehmenssprecher Tobias Korenke leider gerade nicht zu sprechen sei. Er werde sich aber bestimmt bei mir melden.

Schönen Sonntag!
Ihr Stefan Niggemeier

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