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Plötzlich und unerwartet: Die Tode russischer Eliten

Ein Mann hält im Schatten einem anderen eine Pistole an den Kopf

Dieser (lange) Beitrag ist bereits am 02. März 2023 auf der Homepage (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) erschienen. Ich habe ihn aus Service-Gründen hier kopiert.

Es hat in Russland Tradition, unliebsame Personen aus dem Weg zu räumen. Was auch in der Vergangenheit häufig als Unfälle oder Selbstmorde getarnt wurde.
Doch seit dem Krieg in der Ukraine hat das eine neue Qualität erreicht. Was auch westliche Nachrichtendienste wohl noch nicht so recht einordnen können.

Um einen Eindruck zu vermitteln, werde ich im Folgenden zeigen, was vor dem Überfall auf die Ukraine in Russland bereits üblich war. Im zweiten Teil werde ich – vermutlich unvollständig – auflisten, wer seit dem Überfall auf die Ukraine plötzlich, unerwartet und unter merkwürdigen Umständen verstorben ist. Und im dritten Teil werde ich zwei mögliche Szenarien erklären, was da in Russland wahrscheinlich los ist.

Dass ehemalige russische Geheimdienstleute oder Feinde auch im Ausland mal der plötzliche Tod dahinraffen kann, ist bekannt. Das hat Tradition. Zu Sowjetzeiten hat sich der Begriff des Dissidenten eingebürgert.

Der bekannteste Vorfall dieser Art, der auch in Filmen und Büchern häufig verwendet wurde, war der Mord an Georgi Iwanow Markow.
Am 07. September 1978 ging der nach London geflohene bulgarische Schriftsteller über die Waterloo Bridge und wurde versehentlich von einem Passanten mit einem Regenschirm am Unterschenkel verletzt.

Wie sich später herausstellte war der Passant der in Italien geborene Däne Francesco Gullino, der im Auftrag des bulgarischen Geheimdienstes das Attentat verübt hatte. Bei dieser „zufälligen“ Verletzung wurde Markow eine winzige Kugel mit Gift injiziert. Welches Gift es war, konnte nie nachgewiesen werden. Der ehemalige Generalmajor des KGB Oleg Kalugin bestätigte jedoch später, dass sowohl Gift als auch Kugel vom KGB kamen.
Markow starb vier Tage später. Der Vorfall ging als „Regenschirmmord“ in die Geschichte der Geheimdienste ein.

Etwas ähnliches passierte am 15. Juli 2011 dem deutschen Informatiker Christoph Bulwin in Hannover. Bulwin verfolgte den Täter, konnte ihm die Spritze entreißen, der Täter entkam jedoch.
Da Bulwin aber keinerlei Verbindungen zu Russland oder Nachrichtendiensten hatte, dachte er sich wohl, es habe sich um einen Angriff eines psychisch Gestörten gehandelt.

Er bekam Kopfschmerzen, seine Haut schälte sich ab. Später konnte Dimethylquecksilber nachgewiesen werden. Da die Erkenntnis zu spät kam, kam auch jede Hilfe zu spät. Er fiel später in ein Wachkoma und verstarb im darauffolgenden Jahr an einem epileptischen Anfall.
Man geht inzwischen von einer Verwechselung aus. Geklärt wurde der Fall nie. Zeugen hatten den Täter aber zuvor schon häufig auf der Straße gesehen.

Der Überläufer, der Putin zu nah kam

1999 waren Bombenanschläge auf zwei Wohnhäuser in Moskau verübt worden. 367 Menschen kamen ums Leben und über 1000 wurden verletzt.
Gemäß der offiziellen Ermittlungen waren dafür tschetschenische Separatisten verantwortlich. Was Wladimir Putin die Möglichkeit gab, sich als starker Mann zu präsentieren. Die im In- und Ausland angezweifelte Version wurde als Grund genommen, den zweiten Tschetschenienkrieg zu beginnen. Im gleichen Jahr wurde Putin zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt.

Der Abgeordnete Sergei Kowaljow gründete eine Untersuchungskommission. Die kam zu dem Ergebnis, der Inlandsgeheimdienst FSB stecke hinter den Bombenanschlägen. Zu der Zeit war Putin Direktor des FSB. (Федеральная служба безопасности Российской Федерации, Federalnaja sluschba besopasnosti Rossijskoi Federazii, Inlandsgeheimdienst)
Die Lebenserwartung der führenden Kommissionsmitglieder verringerte sich daraufhin rapide. Einer starb an einer allergischen Reaktion, einer wurde wegen Waffenbesitzes vor Gericht gestellt, der Vorsitzende wurde vor seiner Wohnung von einem Unbekannten erschossen.

Alexander Litwinenko war ursprünglich ein Offizier des KGB und des Nachfolgers FSB und 2003 zum britischen MI6 (Military Intelligence, Section 6, Auslandsnachrichtendienst) übergelaufen. Er veröffentlichte unter anderem ein Buch, in dem er die Verantwortung für diese Bombenanschläge dem FSB zuschrieb.

Am 1. November 2006 wurde Litwinenko in der Bar des Millennium Hotel vergiftet. Mit Polonium in einem grünen Tee.
Wer das Gift letztendlich in den Tee getan hatte, konnte nie geklärt werden. Der untersuchende Sir Robert Owen kam zu dem Schluss, der Mord musste vom Leiter des FSB Nikolai Patruschew abgenickt worden sein. Einem Silowiki aus dem Umfeld Putin, der mit hoher Wahrscheinlichkeit selber Kenntnis hatte.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schloss sich dem an.

Beseitigungen von Dissidenten und anderen

04.03.2018 Sergeij Skripal
Der ehemalige Oberst des Militärnachrichtendienstes GRU und Informant des britischen MI6 wurde mit seiner Tochter auf einer Parkbank in Salisbury bewusstlos aufgefunden. Später konnte nachgewiesen werden, dass sie mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet wurden, das vermutlich an der Türklinke des Hauses angebracht worden war. Das Gift konnte nach Russland zurückverfolgt werden. Verantwortlich war der GRU-Agent und Militärarzt Alexander Mischkin.
Etwa 130 Menschen kamen mit dem verschleppten Gift in Kontakt. Es war auch auf verschiedenen Objekten angebracht worden.
Eine Frau starb daran, weil sie eine kleine Parfüm-Flasche aus dem Müll genommen hatte, die Nowitschok enthielt. Ihr Mann überlebte knapp.
Skipal und Tochter überlebten.

12.03.2018 Nikolai Alexejewitsch Gluschkow
Der ehemalige stellvertretende Direktor der staatlichen Aeroflot wurde bereits einmal mit Sekt vergiftet. An dem Tag, an dem er bei einem Korruptionsprozess aussagen sollte, wurde er in seiner Londoner Wohnung stranguliert aufgefunden.

20.08.2020 Alexei Anatoljewitsch Nawalny
Nawalnys Maschine musste in Omsk zwischenlanden, weil der Kreml-Kritiker, Jurist und Blogger an Bord zusammengebrochen war. Die russischen Ärzte stellten offiziell keinen Hinweis auf eine Vergiftung fest. Nach politischem Ringen, u.a. mit der damaligen Bundeskanzlerin Merkel, wurde er nach Deutschland geflogen und behandelt. Die Berliner Charité bestätigte schnell, dass die klinischen Befunde auf eine Vergiftung hindeuten.

In einem später abgehörten Telefonat bestätigte der FSB-Agent Kudrjawzew, der sich als Sekretär des Sicherheitsrates ausgab, dass das Gift über die Unterhose verabreicht worden war. Die war jedoch im Krankenhaus in Omsk mehrfach gereinigt worden.
Nawalny überlebte und sitzt nach einem Schauprozess in Haft.

13.02.2004: Selimchan Jandarbijew, Präsident der tschetschenischen Republik Itschkerien, getötet durch eine Autobombe in Katar
07.10.2006: Anna Politkowskaja, Journalistin, überlebt Giftanschlag mit Tee, später vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen
13.01.2009: Umar Israilow, tschetschenischer Menschenrechtsaktivist, von drei Männern in Wien erschossen, vermutlich durch Kadyrow angeordnet
30.03.2009: Sulim Jamadajew, ehemaliger tschetschenischer Offizier, in Dubai erschossen
23.03.2013: Boris Abramowitsch Beresowski, Oligarch, protegierte Putin in den 1990ern, nach mehreren Attentaten in den 90ern wurde er erdrosselt in seinem Haus in England aufgefunden
30.10.2017: Amina Wiktorowna Okujewa, Ärztin und Aktivistin beim Euromaidan, wurde bei einem Attentat auf ihren Ehemann in der Ukraine erschossen
23.08.2019: Selimchan Changoschwili, tschetschenischer Offizier, im Berliner Tiergarten erschossen

Eine neue Qualität

Diese Praxis hat seit dem Überfall auf die Ukraine eine neue Qualität erreicht. Auch Menschen, darunter viele Manager aus dem Energiesektor und Oligarchen, begehen in letzter Zeit Selbstmord oder werden tot aufgefunden. Menschen, die man mit laienhaftem Blick von außen eher auf der Seite Putins gesehen hätte.

Hinweis: Die Informationen sind häufig sehr schwer zu recherchieren. Da sie meist auf offiziellen Berichten russischer Behörden oder staatlicher Medien beruhen und dann in englischsprachigen Medien berichtet wurden. Daher ist auch die Transkription der Namen nicht immer eindeutig.

30.01.22 Leonid Shulman (60)
Der Leiter der Transportabteilung von Gazprom begeht im Badezimmer eines Landhauses Suizid.

25.02.22 Alexander Tjuljakow (61)
Der stellvertretende Generaldirektor von Gazprom (Schatzamt) erhängt sich in seinem Haus. Verschiedene Berichte sprechen von Zeichen massiver Gewalt auf seinem Körper.

25.02.22 Mikhail Watford (geb. Tolstoscheja, 66)
Der russische Oligarch, der sein Vermögen vor allem mit Öl-Raffinerien gemacht hatte, erhängte sich in der Garage seiner Villa im britischen Surrey.

24.03.22 Wassili Melnikow (61)
Der Chef des Medizin-Konzerns MedStom ersticht zuerst seine Frau (41), seine beiden Söhne (10, 4) und anschließend sich selbst.

18.04.22 Wladislaw Awajew (51)
Der kurz zuvor entlassene Vizepräsident der Gazprom Bank und frühere Mitarbeiter Putins hat in einem Moskauer Apartment zuerst seine Frau (47), seine Tochter (13) und dann sich selbst erschossen. Allerdings berichten Quellen, dass auf der Waffe keine Fingerabdrücke gefunden wurden.

19.04.22 Sergej Protosenja (55)
Der Manager des russischen Energieunternehmen Novatek (größter nicht-staatlicher Energiekonzern Russlands) erhängte sich im Garten seines Ferienanwesens im spanischen Lloret de Mar, nachdem er seine Frau (53) und seine Tochter (18) erstochen hatte. Nur einen Tag nach Avayew.

02.05.22 Andrej Krukowski (37)
Der Chef des Gazprom-Skiressorts Krasnaja Poljana stürzt bei einer Bergwanderung von einem Felsvorsprung. Im Zuge der Olympischen Winterspiele 2014 waren Milliarden in den Ort geflossen.

08.05.22 Alexander Subbotin (43)
Der Milliardär und Ex-Vorstand bei Lukoil unterzog sich einer Behandlung gegen Alkoholsucht durch einen „Schamanen“. Unter anderem wurde er mit Krötengift behandelt und erlitt in der Moskauer Wohnung des Behandelnden einen Herzstillstand.

27.06.22 Jevgeny Palant (47)
Der Manager des Mobilfunkanbieters A-Mobile, mit guten Kontakten zu Gazprom zum Kreml, wird von seiner Tochter Polina (20) gemeinsam mit seiner Frau (59) erstochen in seinem Anwesen gefunden.

04.07.22 Juri Woronow (61)
Der Chef eines Transportunternehmens, das lukrative Verträge mit Gazprom über den Transport bei Projekten in der Arktis geschlossen hatte, wird erschossen im Pool eines Hauses bei St. Petersburg aufgefunden.

14.08.22 Dan Rapoport (52)
Der lettische Manager, der in verschiedene Projekte in Russland involviert war, und bekannte Kritiker Putins stürzt in Washington aus einem Luxus Appartement.

31.08.22. Rawil Maganow (67)
Der Vorstandsvorsitzende des Öl-Giganten Lukoil stürzte aus einem Krankenhausfenster. Russische Medien berichten, er sei beim Rauchen gestolpert. Lukoil hatte sich im März öffentlich für ein Ende des Krieges in der Ukraine ausgesprochen.

10.09.22. Iwan Peschorin (39)
Der Chef der Russischen Gesellschaft für die Entwicklung des Fernen Ostens und der Arktis war auch für die Erschließung von Bodenschätzen in der Arktis verantwortlich. Bei einem Bootsausflug stürzte er von seiner fahrenden Privatjacht nahe Wladiwostok. Seine Leiche wurde erst Tage später geborgen. Sein Vorgänger Igor Nosow verstarb im März im Alter von 43 an einem Schlaganfall.

14.09.22. Wladimir Sungorkin (68)
Der Chefredakteur der russischen Boulevardzeitung Komsomolskaja Prawda („Lieblingszeitung Putins“) galt als wichtigster Propagandist Moskaus. Während einer Recherchereise in der abgelegenen Region Primorje, hunderte Kilometer von Wald umgeben, erlitt er einen Schlaganfall.

22.09.22 Anatoly Gerashchenko (73)
Der Leiter des Moskauer Luftfahrtinstituts (MAI) rutschte im Hauptsitz des Instituts aus und stürzt mehrere Treppen hinunter. Das MAI gehört zum Verteidigungsministerium und ist u.a. für die Entwicklung von Drohnen zuständig.

24.12.22 Alexander Buzakow (70)
Der Generaldirektor der JSC Admiralitätswerft, verantwortlich für den U-Boot-Bau, ist „plötzlich verstorben“, wie das Unternehmen mitteilte.

25.12.22 Pavel Antov (65)
Der russische Abgeordnete fiel während einer Indienreise aus Fenster seines Hotels. Nur zwei Tage zuvor starb sein Begleiter Vladimir Budanov an einem Schlaganfall.

25.12.22 General Alexei Maslov (70)
Der frühere Befehlshaber der russischen Bodentruppen in der Ukraine verstarb in einem Militärkrankenhaus. Er war zuvor Sonderbeauftragter des Militärunternehmens Uralwagonsawod LINK, dem größten Hersteller von Panzern.

13.02.23 Generalmajor Wladimir Makarow (72)
Der stellvertretender Leiter der Hauptdirektion für Extremismusbekämpfung des Innenministeriums war einen Monat zuvor von Putin entlassen worden. Er wurde in einem Vorort von Moskau erschossen aufgefunden, man geht von Suizid aus.

15.02.23 Marina Yankina (58)
Die Leiterin der Finanzabteilung des westlichen Militärbezirks des russischen Verteidigungsministeriums war auch für die Finanzierung des Kriegs in der Ukraine verantwortlich. Laut verschiedener Quellen ging sie der Frage nach, warum so viel Geld für Instandhaltung ausgegeben wurde, obwohl offenbar wenig instandgehalten wurde. Sie wurde vor einem Hochhaus in St. Petersburg gefunden. Ihre persönlichen Dokumente seien laut Polizei auf einem Balkon im 16. Stock gefunden worden.

Hinweis: Erstechen ist eine ungewöhnliche Tötungsart. Und für Selbstmord noch ungewöhnlicher.
Professionelle Tötungen verwenden diese Form jedoch häufig. Werden bestimmte Adern getroffen, sackt das Blut so schnell aus dem Gehirn, dass das Opfer in wenigen Sekunden ohnmächtig wird. (Sepuku, Hannibal Lecter) Wird die Lunge punktiert, kann das Opfer schockbedingt nicht mehr Luft holen und damit auch nicht schreien oder fliehen. Es erstickt sehr schnell am eigenen Blut, das in die Lunge läuft.
Schusswaffen machen Lärm, können forensisch leicht zurückverfolgt werden, sind schwer zu beschaffen. Strangulieren setzt eine große Körperkraft voraus, das Opfer kann sich lange wehren, häufig kommt es zu einem Kampf. Daher wird von Trainierten bei unbedarften Opfern häufig ein Messer bevorzugt.

Der Konflikt innerhalb der Eliten

Es gibt zwei Szenarien, die von Analysten derzeit für möglich gehalten werden. Um das einordnen zu können, muss man jedoch einige russische Perspektiven zumindest ansatzweise verstehen.

Die russische Führung steht seit Iwan dem Schrecklichen in einem Spannungsverhältnis mit dem niederen Adel, den so genannten Bojaren. Es ist bekannt, dass Putin nur seinem direkten Umfeld und den durch ihn selber an die Macht gebrachten Seilschaften aus Militär und Nachrichtendiensten vertraut. Diese nennt man Silowiki.

Aus diesem Spannungsverhältnis ergibt sich, dass nach russischem Verständnis die Führung unfehlbar ist. Und wenn etwas schiefläuft, die niederen Bojaren dafür verantwortlich sind. Weil sie den Willen der Führung nicht korrekt umgesetzt haben.

In den 90ern ist Putin selber durch diese Bojaren groß geworden. Viele Industrielle sind mit zum Teil mafiösen Strukturen zu sehr viel Reichtum gekommen.
Putin selber verdient gut. Hat aber ein Vermögen von vielen Milliarden angehäuft, das er mit legalen Mitteln nicht hätte verdienen können. Da sein Vermögen jedoch anonym und getarnt ist, kann man nur schätzen. Der US-amerikanische Hedgefonds-Manager und Autor Bill Browder geht von 200 Milliarden aus, was Putin zu einem der reichsten Menschen der Welt machen würde.

Zwischen den Oligarchen und der Führung besteht also eher eine Beziehung von gegenseitigem Nutzen als wirkliche Freundschaft. Was man auch immer wieder an Schauprozessen ausmachen kann, die den Top-Managern gemacht werden.

Die Korruption in der Kleptokratie

Zudem gibt es kulturbedingt ein stillschweigendes Einverständnis, dass Korruption bis zu einem gewissen Grad duldet. Wieviel jemand stehlen darf ist jedoch von seinem Rang innerhalb der Pyramide abhängig.
Deshalb bezeichnet man das System auch als Kleptokratie.

Nun hat Putin in den vergangenen 20 Jahren aber nicht nur den Silowiki zur Macht verholfen. Sondern auch vielen Oligarchen. Indem er viele Konzerne wieder verstaatlicht hat und sie dort in hohe Posten gehoben wurden.
Das erklärt auch, warum Militärs dann beispielsweise „Sonderbeauftragte“ für Unternehmen sind oder bei Gazprom und Aeroflot im Management sitzen.

Und dort wurde wohl alles geklaut, was nicht niet- und nagelfest ist (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Beispielsweise musste 2020 eine Ilyushin Il-80 gewartet werden, eine der von den Medien dramatisch „Weltuntergangsflugzeuge“ genannten Maschinen. Dabei wurde so viel Elektronik geklaut, dass das Flugzeug nicht mehr flugfähig ist, anstatt repariert zu sein. Und da keine Elektriker mal eben einen Monitor da rausschleppen können, geht man davon aus, dass die Maschine gezielt und von hoher Stelle koordiniert ausgeschlachtet wurde.

Putin war nicht informiert

Und das macht es sicher auch erklärlich, wovon viele Analysten bereits in der ersten Phase des Überfalls ausgegangen sind: Dass Putin gar nicht über den tatsächlichen Zustand der Streitkräfte unterrichtet war.

Denn nicht nur, dass man den Soldaten erzählt hatte, sie würden in Kiew als Befreier mit Blumen empfangen werden. Es zeigte sich, dass LKW auf alten Reifen aus Sowjet-Produktion liegenblieben, Essensrationen seit Jahren abgelaufen waren und die Soldaten Supermärkte plündern mussten, um an Toilettenpapier und Instant-Kaffee zu kommen.

Bereits nach wenigen Wochen war auf Videos zu sehen, wie Helikopter im Flug nach oben zogen und Raketen abfeuerten. Weil sie keine Präzisionsmunition mehr hatten und so schossen wie mit Feldhaubitzen.
Von den Hyperschallraketen und hochmodernen Panzern abgesehen, von denen bekannt war, dass sie – wenn überhaupt – nur in geringer Stückzahl vorhanden waren.

Wenn das Geld geklaut wurde, ist naheliegend, dass die Verantwortlichen nach oben gemeldet haben „Alles in Ordnung“.

Die zwei Szenarien

Daraus ergeben sich nun die zwei anzunehmenden Szenarien.

Das erste Szenario ist, dass der Kreml unter denen aufräumt und sich rächt, die sich über Jahre hinweg an diesen Konzernen und öffentlichen Geldern bereichert haben. Gelder, die jetzt fehlen.
Das zweite Szenario ist, dass diejenigen, die sich bereichert haben, versuchen Spuren zu verwischen.

Für letzteres sprechen Todesfälle wie der von Marina Yankina, die offenbar der Frage nachgegangen ist, wo das Geld für die Instandhaltung abgeblieben ist. Oder das Ableben von Woronow und Peschorin, die in die Erschließung von Energien in der Arktis involviert waren.

Für das erste Szenario sprechen die vielen Todesfälle unter Verantwortlichen und vor allem ehemaligen Verantwortlichen im Energiesektor.
Spannend sind die Verbindungen zwischen Rüstungskonzernen (Drohnen, Panzern) und der aktuellen Lage in der Ukraine allemal. Doch auch der Wanderunfall eines 37-jährigen Managers eines Ski-Ressorts, in das zu den olympischen Spielen 2014 Milliarden staatliche Gelder gepumpt wurden, ist bemerkenswert.

Auch wenn in einigen wenigen Fällen ein Selbstmord tatsächlich naheliegend erscheint, ergibt sich doch ein Gesamtbild.

Wir wollten es nicht wissen

Dass die russische Führung tief mit mafiösen und korrupten Strukturen unauflösbar vernetzt ist, war Analysten schon länger klar. Und spätestens an dieser Stelle muss man sich eingestehen, dass Unternehmen wie BASF und Politiker wie Merkel mit genau diesem Netz Deals gemacht haben.
Die meisten von uns hatten dieses System Putin im Tank und in der Heizung. Und es war uns egal, solange wir die Augen davor verschließen konnten. Wir wollten es nicht wissen, es war weit weg.
Verantwortungsdiffusion: andere müssen sich darum kümmern.

Die Bilder aus der Ukraine öffnen unsere Augen schmerzhaft. Während andere sie noch entschlossener zukneifen.
Die Bilder der zerlumpten Rekruten ohne vernünftige Ausrüstung, die Jahrzehnte alten Panzer und die geplatzten Reifen entstammen genau dem System, bei dem wir so gerne preiswert Energie gekauft haben.
Das jahrelange Wegsehen hat es überhaupt möglich gemacht, die russische Kriegskasse zu füllen. Man muss fast dankbar sein, dass einige über Jahre hinweg ihre Finger darin hatten.

Und nun frisst die Kleptokratie ihre Kinder.

Sujet Krieg

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