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Denkst Du auch manchmal, dass Du einer riesigen Verschwörung aufgesessen bist? Dass das mit dem Klimawandel doch eigentlich gar nicht sein kann? Würden sonst nicht alle pausenlos darüber reden? Wären Titelseiten und TV-Sendungen nicht voll davon?
So, wie in den Medien darüber (nicht) geredet wird, klingt es jedenfalls, als wäre alles überhaupt kein Ding. Das ist ein Problem, wir stecken knietief in einer Klima-Medienkrise. Zeit, dass wir da rauskommen.
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#27 #Klimajournalismus #Essay
Aufwachen, liebe Medien, die Welt geht unter
Die Klimakrise bedroht den Fortbestand unserer Zivilisation und die Medien sehen weg. Wir brauchen eine neue Berichterstattung, bei der alle Medienleute Klimajournalist°innen sind. ~ 5 Minuten Lesezeit
Zusammen mit einem alten Bekannten sitze ich beim Vietnamesen, es gibt gebratene Reisbandnudeln und wir plaudern über die gemeinsame Zeit früher bei der Zeitung. Die Frage, die er mir dann stellt, ist eigentlich harmlos, trotzdem stutze ich.
Er habe gesehen, sagt er, dass ich ein Projekt gestartet habe, diesen Newsletter mit dem sonderbaren Namen. Das finde er spannend, aber warum ausgerechnet das Thema Klimawandel? Ich runzle die Stirn. Über welches Thema sollte ich denn sonst schreiben, denke ich. Kann es jetzt überhaupt noch Wichtigeres geben?
Guckt man täglich Tagesschau und auf die Titelseiten von SZ, Focus und Co. scheint die Antwort eindeutig: Ja, kann es, eigentlich so gut wie alles ist gerade wichtiger als diese Krise. Vom Klima ist in den Massenmedien selten etwas zu sehen, zumindest nicht an prominenter Stelle.
Das ist erstaunlich und beunruhigend, denn Wissenschaftler°innen sprechen seit Jahrzehnten eine ganz andere Sprache. Hört man ihnen zu, weiß man, dass die Klimakrise den Fortbestand unserer Zivilisation bedroht.
Große Medien aber sehen weg, während sich überall auf der Welt längst Katastrophe an Katastrophe reiht. Forscher°innen stellten kürzlich fest, dass 20 bis 40 Prozent der globalen Landflächen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zu Steppen und Wüsten verkommen und niemand spricht darüber. In einer anderen neuen Studie warnen Wissenschaftler°innen, dass wir die planetare Grenze für Süßwasser (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) bereits überschritten haben und die meisten Medien können sich nicht mal zu einem Dreizeiler unter dem Witz der Woche durchringen. Immerhin: Über die Hitze, die gerade die Menschen in Indien und Pakistan in die Knie zwingt, wird viel gesprochen. Aber wird uns hierzulande klar, dass extreme Hitzewellen schon jetzt auch in Europa immer häufiger und intensiver werden?
https://twitter.com/GeorgeMonbiot/status/1518868730083786752 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Als Menschheit stehen wir vor einer riesigen Herausforderung, wenn wir die Klimakrise eindämmen wollen. Wir müssen unsere Lebens- und Wirtschaftsweise radikal transformieren oder sollten es zumindest versuchen, bevor die Auswirkungen der Klimakrise uns ohnehin dazu zwingen. So oder so, radikaler Wandel ist gewiss.
Darüber müssen wir reden. Das geht aber nur, wenn uns die Dringlichkeit der Krise voll bewusst ist und wir über mögliche Auswege Bescheid wissen. Medien wie ARD, SPIEGEL, FAZ und Co. vermitteln aber: Alles nicht so schlimm. Dabei bestimmt ihre Themensetzung immer noch maßgeblich, was wir Menschen als wichtig und dringlich erachten.
Wir brauchen endlich eine mediale Berichterstattung, die der Dimension des Problems gerecht wird. Es gibt keine Bereiche des Lebens mehr, die nicht von der Klimakrise betroffen sind. Also sollte es auch keine Berichterstattung mehr geben, die die Krise nicht mitdenkt. Das heißt nichts anderes als: Alle Journalist°innen müssen Klimajournalist°innen sein. Auch mein alter Kollege, der mich gefragt hat, warum ich über den Klimawandel schreibe. Und auch jemand wie, sagen wir, Frank Plasberg.
Medien sehen die Klimakrise als siebtes Problem von sieben
Zugegeben: Es gibt ausgezeichnete Klima-Berichterstattung – und nicht zu knapp. Jeden Tag flattern vier, fünf Newsletter zum Thema in mein E-Mail-Postfach, meine Lieblings-Podcasts könnten 24 Stunden am Tag füllen. Viele Journalist°innen in lokalen wie überregionalen Medien leisten seit Jahrzehnten hervorragende Arbeit, aber auch sie können nicht wettmachen, was strukturell falsch läuft.
Die allermeisten Medienschaffenden wissen von der Klimakrise, aber viele verstehen wohl nicht wirklich, wie bedrohlich sie tatsächlich ist und wie wenig Zeit zum Handeln bleibt. Anders lässt sich nicht erklären, dass aus den Chefetagen von ARD und ZDF tönt, mit Berichterstattung zum Klima würde man Politik machen und Klimaschutz wäre ein parteipolitisches Interesse. Da ist der Vorwurf nicht mehr weit, dass Klimajournalist°innen eigentlich nichts anderes wären als Aktivist°innen.
Anders lässt sich auch nicht erklären, dass der Leiter der ZDF-Umweltredaktion vor laufender Kamera behauptet, im IPCC-Bericht stehe, dass es angewandter Klimaschutz wäre, „modernste Kohlekraftwerke nach Indien oder Südafrika zu liefern“ – das ist völliger Unsinn. Der IPCC warnt schon seit Jahren, dass sich die Menschheit schnellstmöglich von der Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas lösen muss.
Die mediale Berichterstattung über die Klimakrise ist total entkoppelt vom wissenschafltichen Diskurs. Es gibt einen überwältigenden Konsens unter Wissenschaftler°innen zu den Ursachen und Lösungen der Klimakrise. In Medienberichten über Themen wie Gas als Brückentechnologie, Tempolimit oder Fleischkonsum wird das aber oft völlig ausgeblendet. Dann werden die Ansichten verschiedenster Akteur°innen gleichberechtigt wiedergegeben, obwohl die Fakten auf dem Tisch liegen und Meinungen an dieser Stelle keine Rolle mehr spielen sollten. So schaffen Redakteur°innen eine vermeintliche Ausgewogenheit (auch false balancing genannt). Im schlimmsten Fall glauben Menschen am Ende an einen wissenschaftlichen Dissens, den es gar nicht gibt.
https://twitter.com/ClimateHuman/status/1513053660128825348 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Wenn sich die mediale Berichterstattung auf diesem Niveau abspielt, ist klar, dass viele Redaktionen blind bleiben für ihr verheerendstes Versäumnis: Medien behandeln die Klimakrise, als wäre sie einfach nur ein weiteres Problem neben vielen anderen. Schlimmer noch: Medien sehen die Klimakrise als siebtes Problem von sieben. Da warnt der Weltklimarat der UN davor, dass wir auf einen unbewohnbaren Planeten zusteuern und Redaktionen denken sich: Nö, bringen wir nicht – und wenn doch, dann als kleine Meldung, ganz unten auf der Seite, nach Berichten über Krieg, Corona und Will Smiths Ohrfeige bei den Oscars.
Klimaberichterstattung passt nicht in ein gesondertes Ressort
Klar: Wenn russische Panzer die Ukraine überfallen, dominiert das die Schlagzeilen. Genauso, wenn eine Pandemie den Alltag aller einschränkt. Da bleibt nicht mehr viel Aufmerksamkeit übrig für noch mehr Krisen. Aber genau hier liegt das große Missverständnis: Die Klimakrise ist nicht einfach nur ein weiteres Problem, sie ist allumfassend.
Man kann Überschneidungen in allen gesellschaftlichen Bereichen sehen, angefangen mit den genannten Krisen: Wie sehr hat unsere Abhängigkeit von Kohle, Gas und Öl den Russland-Krieg ermöglicht? Wie sehr begünstigt die Zerstörung von Ökosystemen die Ausbreitung von Zoonosen und die Entstehung einer Pandemie? Aber auch bei sozialer Ungerechtigkeit, globalen Migrationsbewegungen, dem nächsten Bauprojekt ums Eck – irgendwie spielt die Klimakrise immer eine Rolle.
Das zeigt sich auch dann, wenn wir versuchen, die großen Fragen zu beantworten, die die Krise aufwirft. Die beschränken sich nämlich nicht nur auf CO₂-Messung und Klimamodellierung. Da wäre etwa das Mysterium, warum so viele Menschen die Augen vor einer Katastrophe verschließen, die sie selbst betrifft. Die Antwort darauf müssen wir in allen möglichen Bereichen suchen. Welche Rolle spielen zum Beispiel nationalistische Tendenzen bei verschlepptem Klimaschutz? Wie versperren Fake News die Sicht auf das Problem? Wie trägt fehlende Diversität in wichtigen gesellschaftlichen Positionen dazu bei, dass wir keinen adäquaten Diskurs führen können?
https://twitter.com/lorz/status/1511225030767751171 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Ich könnte diese Liste noch ewig weiterführen. Der Punkt ist: Klimaberichterstattung passt nicht in ein gesondertes Ressort. Und sie darf sich schon gar nicht darauf beschränken, gewissenhaft zu vermelden, wo schon wieder ein Temperaturrekord geknackt wurde, welcher Gletscher für immer verloren ist und wie stark die globalen Treibhausgas-Emissionen zuletzt gestiegen sind. Das wird der Dimension des Problems nicht im Geringsten gerecht.
Natürlich brauchen wir auch diese explizite Klima-Berichterstattung. Aber Medien können das ganze Ausmaß der Krise nicht abbilden, wenn sie nur punktuell berichten und sich schlimmstenfalls in Detailfragen verrennen. Medien sollten die Klimakrise in jeglicher Berichterstattung mitdenken, von Stadtratssitzung bis Formel 1.
Ich möchte nie wieder über die EU-Agrarpolitik lesen, nie wieder über die Jahresbilanz von VW und auch nicht über die Oscars, ohne auch zu erfahren, was das alles für die Einhaltung der Pariser Klimaziele bedeutet. Klingt radikal? Soll es auch. Denn wie gesagt: Keine°r von uns wird ein Leben nach dem Fahrplan des letzten Jahrhunderts gemütlich zu Ende leben können. Radikalen Wandel wird es geben, so oder so.
Drei Dinge, die jetzt passieren müssen
Aber wie kommen wir von fehlendem Krisenbewusstsein zu einer Medienwelt, die versteht, dass sich die Klimakrise nicht in ein Ressort verpacken oder sogar nur mit ein paar Meldungen abfertigen lässt? Keine einfache Frage, denn die Gründe für das mediale Versagen in der Klimafrage sind vielfältig. Besonders drei Dinge sind jetzt besonders wichtig.
Erstens, Austausch unter Journalist°innen über die Dringlichkeit der Krise und über das eigene Selbstverständnis, damit wir uns bald verabschieden können von Problemen wie false balancing und Aktivismus-Vorwürfen.
Zweitens, Fortbildungen in Redaktionen, damit auch leitende Redakteur°innen, der Konzertkritiker und die Fußball-Kommentatorin über die grundlegenden Fakten Bescheid wissen und in ihren Berichten den Aspekt der Klimakrise aufgreifen können, wenn das nötig ist. Frank Plasberg zum Beispiel könnte in seiner Sendung damit anfangen, aufzuhören, renommierte Wissenschaftler°innen ständig zu unterbrechen und auf den Faktencheck hinzuweisen.
„Wir haben jetzt ein bisschen was für den Faktencheck gesammelt, Frau Kemfert.“ – Frank Plasbergs Beitrag zur Klima-Medienkrise. 📸: Superbass / CC-BY-SA-3.0 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Drittens, Diversität. Der typische Journalist in Deutschland (besonders in Leitungspositionen) ist männlich, über 50 Jahre alt, hat einen Uni-Abschluss und keinen Migrationshintergrund. Als ich meine ersten Schritte im Journalismus gemacht habe, bin ich diesem typischen Journalisten sehr oft begegnet.
Meistens saß er im Chefsessel, hat nach meinem Studium gefragt und dann müde gelächelt. Mit Kommunikationswissenschaft müsste ich gar nicht erst versuchen, Journalist zu werden, ich solle es doch mit Luft- und Raumfahrttechnik probieren. Ich kann nur ahnen, wie er über Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund urteilt. Da wundert es nicht, wenn Redaktionen lähmend homogen sind. Ohne diverse Besetzung fehlen dort wichtige Perspektiven, die nötig wären, um vernünftig über große gesellschaftliche Themen wie die Klimakrise zu diskutieren.
Diversität in Leitungspositionen ist im Journalismus so ausgeprägt wie das Rückgrat von Gerhard Schröder. Quelle: Neue deutsche Medienmacher*innen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Fridays for Future hat die Medien wachgerüttelt
Es gibt sie schon, die Leuchttürme, die die Medienlandschaft erhellen und zeigen, wie guter Klimajournalismus aussieht. Da ist zum Beispiel die Initiative KLIMA° vor acht, die sich für tägliche Klimaberichterstattung im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk zur besten Sendezeit einsetzt (und übrigens gerade erst das Buch Medien in der Klimakrise (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) veröffentlicht hat). Erst Ende April haben außerdem die beiden Klimajournalismus-Netzwerke aus Deutschland und Österreich gemeinsam eine Charta veröffentlicht (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) – insgesamt haben schon mehr als 300 Medienschaffende unterzeichnet. In anderen Ländern ist der Diskurs sogar schon weiter: 2019 formierte sich die Initiative Covering Climate Now (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), inzwischen setzen sich dort über 450 Medien gemeinsam für angemessene Klimaberichterstattung ein.
Überhaupt regt sich etwas in den Redaktionen seit dem großen Auftritt von Fridays for Future vor drei Jahren. Viele Medien rüsten in Sachen Klimaberichterstattung inzwischen auf. Die Süddeutsche Zeitung beschäftigt sich schon in allen Ressorts mit der Klimakrise, momentan veröffentlicht sie etwa eine Artikel-Serie über Wandel deutscher Unternehmen hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft. Die österreichische Wochenzeitung Falter hat seit einem Jahr ein großes Natur-Ressort. Und der Recherche-Zusammenschluss CORRECTIV (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) führt künftig gemeinsam mit hunderten Lokaljournalist°innen deutschlandweite Recherchen zur Klimakrise durch.
Es sind solche Projekte, die den Weg nach vorne zeigen. Von ihnen brauchen wir viele, viele mehr – die Zeit drängt.
Vielen Dank, dass Du bis hierhin gelesen hast! Wir werden Dir weiter Klima-Berichte liefern und Dich daran erinnern, dass Du keiner Verschwörung aufgesessen bist, versprochen.
Dafür brauchen wir aber auch Dich, damit Treibhauspost noch mehr Leute erreicht. Wir freuen uns riesig, wenn Du diese Ausgabe an zwei Freund°innen weiterleitest – oder auf Twitter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Facebook (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und Instagram (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) teilst. Vielen Dank!
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Viele Grüße
Manuel
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