Angespielt: Book of Hours (PC)
Eigentlich wollte ich nicht der Versuchung erliegen, zu viel parallel zu spielen. Aber da mich ein lautes Ungetüm aus Metall und Stahl gerade zum Innehalten in Armored Core VI zwingt, weiche ich mal kurz an dieses ruhige Kaminfeuer aus. Denn Book of Hours (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), das kürzlich für knapp 20 Euro für den PC erschienen ist, könnte für Freunde stimmungsvoller Mystery, Kartentaktik und narrativer Rollenspiele ein Geheimtipp sein.
Noch habe ich lediglich den Einstieg erlebt: Man landet ohne Gedächtnis an einer englischen Küste, bewegt dort keinen Charakter aktiv, sondern wird in eine rätselhafte Oberfläche entlassen, die neben dem gezeichneten Strand aus interaktiven Landmarken, verschlossenen Gebieten sowie Rahmen und Flächen für Karten besteht. Das Ziel: Man soll im Jahr 1936 eine uralte Bibliothek in einem Herrenhaus wieder aufbauen, in der vor sieben Jahren ein Brand wütete. Aber wie kommt man dorthin? Wie spielt man überhaupt?
Von Beginn an liegt ein nebulöser Schleier über der Spielmechanik und der Story, so dass man tatsächlich wie ein Gestrandeter mit der Maus umher irrt, um erstmal einen Weg aus der Bucht in den Küstenort zu finden. Ich mag dieses Gefühl, wenn man sich Stück für Stück in eine Welt hinein bewegen kann. In diesem Fall läuft das Karte für Karte, denn in Book of Hours repräsentieren sie von der Gesundheit, der Neugier, den Bewohnern über das Wetter bis hin zu den wichtigen neun Weisheiten nahezu alles. Man kann sogar das Geld bis zum Penny über Karten wechseln!
Man fühlt sich angesichts all der Symbole, Bereiche und Prinzipien wie in einer Art von strategischem Tarot, das einen dazu animiert, seine Geheimnisse zu lüften. Und hinter allem verbirgt sich eine kleine Geschichte, eine Metapher oder ein Zitat. So entsteht schon vor dem Erwerb der ersten Bücher eine gewisse bibliophile Atmosphäre, in der das Wort etwas bedeutet.
Man findet z.B. eine Karte namens "Wolf Stories", die mit "Sometimes we eat the wolf, sometimes the wolf eats us." beschrieben wird und fünf gezeichnete Symbole mit Namen trägt: Moon, Scale, Skill, Birdsong, Skolekosophy. Moment, was bedeutet Skoleko...? Genau: Dieses Spiel animiert dazu, sich mit den Begriffen zu beschäftigen. In diesem Fall geht es um das Studium von Dingen, die man nicht studieren sollte - und damit um eine der neun Weisheiten.
Natürlich hilft es, wenn man angesichts der eher statischen Oberfläche grundsätzlich Brettspielflair mag. Aber im Gegensatz zum abstrakten Cultist Simulator gelingt dem Team von Weather Factory diesmal eine bessere Symbiose aus Spielwelt und Karten, es gibt einen Tag- und Nachtwechsel und Sonne oder Nacht wirken sich aus, so dass eine durchaus stimmungsvolle Atmosphäre entsteht. Nicht zu vergessen: Alexis Kennedy hat auch das eindringliche Sunless Sea designt, das ich sehr schätze.
Schon bald öffnen sich auch hübsch illustrierte Gebiete, man sieht also die Taverne im Ort oder den düsteren Ort im Moor. Erst wenn man es mit etwas Knobelei und Experimentierfreude schafft, die Brücke über den Fluss zu reparieren, öffnet sich die Karte. Und das ist ein toller Moment! Denn jetzt zoomt die Ansicht heraus und man sieht endlich das riesige Herrenhaus, das Hush House mit all den leeren Räumen, in dem man sich als Bibliothekar austoben soll.
An diesem Punkt hatte ich gerade mal an der Oberfläche eines Spiels gekratzt, das mich so richtig neugierig macht, insbesondere auf die Auswirkung der neun Weisheiten, die in einem riesigen Rad voller Verflechtungen dargestellt werden. Dort legt man im Zentrum eine Karte, dann weitere bis hin zu neun Stufen und entwickelt so seinen Charakter - neben Skolekosophy warten dort Illumination, Hushery, The Bosk, Preservation, Birdsong, Nyctodromy, Horomachistry und Ithastry.
So kann man quasi in unterschiedliche Rollen vom Archäologen bis zum Esoteriker schlüpfen, während sich die Art der Büchersammlung auf die Story und Begegnungen mit Besuchern auswirken soll. Auch wenn sich die Lektüre in Grenzen hält, braucht man gute Englischkenntnisse für Book of Hours. Ich habe jedenfalls schon angefangen, ein kleines Wörterbuch anzulegen und freue mich sehr darauf, dieses Herrenhaus mit Büchern zu füllen.
(Bilder: Book of Hours (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), PC, Weather Factory, eigene Aufnahmen)
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