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Game Studies: Das ewig neue Medium

Was denken Historiker, Soziologen, Philosophen und Kulturwissenschaftler über Spiele? Über was wird in den Game Studies diskutiert? Ich habe diese Reihe mit "Auf Abwegen - Folk horror, Videospiel und das Problem der Natur" von Daniel Illger begonnen. Mittlerweile gibt es dazu unter Berichte eine eigene Kategorie (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), in der alle Erkundungen und Podcasts über Game Studies einsortiert werden.

Was kann eine nicht enden wollende Vielfalt schöner Dinge anderes sein als ein Segen? Man kann seine Zeit je nach Stimmung mit Filmen, TV-Serien, Büchern, Comics, Brettspielen oder Videospielen verbringen. Allerdings ist da der Pile of Shame. Und der ständige Appetit auf mehr. Oder kann die Flut auch ein Fluch für all jene sein, die sich beruflich mit der Unterhaltungskultur beschäftigen? Denn wie soll man innehalten, nachdenken und einordnen, wenn ständig etwas Neues die Diskussion bestimmt?

(S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

In seinem Aufsatz "Das ewige neue Medium -Die Geschichtslosigkeit der Computerspielgeschichte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)" beschäftigt sich Tobias Unterhuber mit dem schnellen Voranschreiten des Mediums, das sich auch in der Forschung widerspiegelt:

"Spiele, die älter als circa fünf (und jünger als 15) Jahre sind, fallen aus Listen, Aufzählungen und sogar als Forschungsgegenstand immer mehr aus der Wahrnehmung heraus. Neuartigkeit oder Novität scheint eine der zentralen und bestimmenden Elemente des Spieldiskurses zu sein."

Unterhuber sieht einen Zusammenhang zwischen der daraus resultierenden "Geschichtslosigkeit" sowie der "fehlenden kulturellen Anerkennung" des Mediums. Dabei zieht er einen Vergleich zwischen Film und Videospiel:

"Denn auch der Film hatte Probleme mit seiner künstlerischen und kulturellen Anerkennung und löste dies durch eine Bestenliste, die lange Zeit eben von Citizen Kane angeführt wurde, der somit »zum Meilenstein des Kinos und absoluten Kritikerliebling« gemacht wurde."

Ich würde ja einwenden, dass es zumindest innerhalb der Spielepresse stets Meilensteine gab, die über Jahre in der höchsten Gunst der Kritiker standen. Allerdings benutze ich den Plural und deute damit schon an, dass digitale Spiele von System Shock zu System Shock 2, von Half-Life zu Halfe-Life 2, von Baldur's Gate zu Baldur's Gate 2, von Demon's Souls bis Dark Souls etc. rasten, die sich (meist) qualitativ überholten - während Citizen Kane von 1941 an bis weit in unsere Zeit als Meilenstein (ohne direkten Nachfolger) regelrecht verwittern konnte.

"Durch den Fokus auf Novität aber kann die Liste nicht den gleichen Zweck für das Computerspiel erfüllen. Der Spieldiskurs kann sich durch seine ständige Ausrichtung auf das Neue nicht stabilisieren, aber eben diese Stabilisierung genauso wie eine Historisierung wären für eine Anerkennung des Mediums nötig."

Aber was heißt Geschichte in Bezug auf das Videospiel? Wer schreibt sie und denkt sie? Unterhuber benennt und erläutert drei Formen: eine vom Fortschrittsglauben geleitete Technikgeschichte, eine von Nostalgie geprägte Retrosichtweise und eine sich selbst als Subkultur begreifende Generationengeschichte. Dabei geht er zurück zu den Anfängen der Geschichtsschreibung über das Medium, dessen Geburt meist irgendwo zwischen Tennis for Two (1958) und Pong (1972) verortet wird - und sieht u.a. Problem in der Perspektive der Autoren:

"Mit der Geschichte der Computerspiele beschäftigen sich vor allem Amateur:innen und Fans, die dabei aber eher deskriptive, journalistische Chroniken entwerfen, denen die kritische Distanz zum Medium fehlt und die dabei problematische Metanarrative bedienen. (...) Überspitzt formuliert handelt es sich nicht um ›game histories‹, sondern ›his gamer stories‹. (...) Dies gilt sowohl für Spielhistorien in den Game Studies, aber noch viel mehr für solche aus dem populärwissenschaftlichen oder Amateurbereich. In allen drei bricht sich dabei eine teleologische Perspektive Bahn, die ältere Spiele immer nur als frühe Stadien gegenwärtiger oder zukünftiger Spiele versteht und die einen sogenannten Fortschritt als unausweichlich betrachtet:"

Aber wie soll das funktionieren, wenn die Verjüngung und damit (manchmal) einher gehende qualitative Verbesserung zum Wesen der Videospiele gehört? Auch in der Selbstwahrnehmung der Forschenden scheint das akzeptiert zu sein. Für Unterhuber ergibt sich daraus auch ein Problem für die Game Studies.

"Auch die Disziplin selbst versteht sich als permanent junges Feld. Dies zeigt sich in den (Ursprungs-)Mythen des Feldes, dem fehlenden Interesse an und dem ständigen Vergessen der eigenen Fachgeschichte sowie der schon ritualisierten Rhetorik und dem Selbstverständnis als eben junges Feld. Dies hat auch Konsequenzen für die Game Studies, die von der schleppenden Institutionalisierung bis hin zur Exklusion marginalisierter Forscher:innen,die nicht dem eingeforderten Selbstverständnis der Game Studies anhängen, reicht."

Und die Lösung? Kann man irgendwo einen Deckel drauf machen, obwohl immer wieder Neues dampft und kocht? Diese Archivierung nimmt man als Spielejournalist meist erst dann vor, wenn es um eine Bestenliste für ein Jahr, ein System oder um einen Kanon für eine Epoche geht. Dann schaut man nur zurück auf das Vergangene. Unterhuber geht es natürlich nicht um Journalismus, sondern um eine andere Perspektive und Form der Geschichtsschreibung über Spiele. Er fordert zum Abschluss:

"Es wäre an der Zeit, durch eine Historisierung des Gegenstandes als auch der Forschung diesen Kreislauf aufzubrechen und damit die Grundlage für eine kritische Reflexion zu schaffen."

Tobias Unterhuber lehrt und forscht an der Universität Innsbruck zu Literatur und Medien, insbesondere zu Computerspielen. Sein frei verfügbare Aufsatz Das ewige neue Medium -Die Geschichtslosigkeit der Computerspielgeschichte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist 2024 erschienen im Sammelband Spiel*Kritik - Kritische Perspektiven auf Videospiele im Kapitalismus (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), hrsg. von Thomas Spies, Seyda Kurt, Holger Pötzsch.

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Sujet Erkundung

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