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Türkei will Straßenhunde töten

Hallo liebe Leute,

entschuldigt die Verspätung. Diesen Monat komme ich weniger auf mein Leben und meine Verantwortungen klar. Aber hier bin ich, schreibe euch über eine Entwicklung, die mich sehr traurig und wütend macht: Im türkischen Parlament in Ankara wird heute (23.05.2024) über einen Gesetzentwurf entschieden, das vorsieht, dass Straßenhunde gesammelt und in Heime gebracht werden sollen. Werden diese Hunde innerhalb 30 Tagen nicht adoptiert, sollen sie getötet werden. In die Plätze, die durch die Tötungen frei werden, sollen weitere Straßenhunde nachrutschen. Wenn der Entwurf heute grünes Licht bekommt, wird er zur Abstimmung an das Parlament gebracht und wird dort, mit den Stimmen der Rechten, die in der Mehrheit sind, zum Gesetz.

Diese Heime darf man sich nicht so vorstellen wie die Tierheime in Deutschland. Es sind überfüllte Käfige, meist mit Betonboden, in denen die Tiere fast aufeinander stehen, auf Dreck und Kot sitzen müssen. Tierschutzorganisationen betonen, dass sie dort auch vom Personal misshandelt, sogar gefoltert und getötet werden. Dass diese Tiere vor lauter Stress außer sich sind, ist praktisch, weil man sie dann als aggressiv abstempeln und erst recht töten würde. Zudem sollen bloß 200 von insgesamt 1.400 Verwaltungen überhaupt ein Tierheim haben. Es ist die Rede davon, dass manche Verwaltungen Tiere sammeln und in abgelegenen Orten freilassen, um sie dort ihrem Schicksal zu überlassen.

Kontext: In der Türkei leben Millionen Hunde und Katzen auf der Straße. Laut dem Tierschutzgesetz sind die Verwaltungen für ihre Kastration und Impfung zuständig. Dazu sind sie verpflichtet, die Tiere, die geimpft und sterilisiert wurden, wieder dort, wo sie gefunden wurden, freizulassen. Eine Großzahl der Verwaltungen geht dieser Verantwortung nicht nach, was der Grund dafür ist, dass sich die Straßentiere unkontrolliert vermehren.

Wenn überhaupt, werden sie vereinzelt und willkürlich sterilisiert. Die Hunde, die sterilisiert sind, bekommen einen “Ohrring”, Katzen einen Schlitz am Ohr. Auf Social Media gibt es Accounts zahlreicher Menschen, die sich um Straßentiere kümmern. Nur vor wenigen Tagen sah ich ein Video von einem solchen Account über eine abgemagerte, dazu noch schwangere Straßenhündin, obwohl sie sterilisiert sein müsste, weil sie einen solchen Ohrring trug. Ob die Angestellten der Verwaltungen mit einer Ohrring-Pistole durch die Städte laufen und Hunden willkürlich Ringe verpassen?

Die Tiere sorgen für Content auf Social Media, negativ wie positiv. Es gibt dazu einen Dokumentarfilm über die Straßenkatzen in Istanbul, weil sie wortwörtlich überall sind. Dass es so viele sind, ist aber an sich nichts Gutes. In den Städten führen diese Tiere nämlich kein sehr schönes oder naturnahes Leben. Sie haben kaum grüne Flächen, weil die Städte durchbetonniert sind. Hinzu kommen die Asphaltstraßen und rasenden Autos. Sie sind Hitze und Kälte ausgesetzt, sie hungern. Sie führen permanent Revierkämpfe, weswegen vor allem Kater verletzt und völlig gestresst durch die Gegend laufen. Aufgrund von Krankheiten haben Straßenkatzen eine Lebenserwartung von sechs Monaten. Hunde sehen oft übergewichtig aus, obwohl die Nahrung knapp sein durfte, was in meiner Vermutung daran liegt, dass sie sehr ungesund essen (vor allem Brot und Essensreste, die für Hunde zu ölig sein durften). Hunde hungern ohnehin vermutlich noch mehr als Katzen, weil sie einen größeren Bedarf an Energieeinfuhr haben als Katzen, aber nicht annähern so gut jagen, so schnell agieren und reagieren, oder gut klettern können. Es sind arme Socken, die mir wirklich sehr leid tun.

https://www.instagram.com/p/CnXb6uvMnqT/?igsh=MXZqNnhqMXE2MnRiYQ== (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Viele Menschen bemühen sich, die Straßentiere zu unterstützen und zu beschützen. Viele nehmen welche zuhause auf, es gibt Menschen und Organisationen, die Tiere innerhalb und außerhalb der Türkei zur Adoption vermitteln. Meine Freundin Çağrı Sert verkaufte ihre Eigentumswohnung in Istanbul, mietete mit dem Geld in Antalya ein Einfamilienhaus mit Garten, auf dessen Grundstück sie sich um knapp 130 Katzen und Hunde kümmert, über 80 dieser Tiere sind behindert. Um diese Arbeit zu finanzieren, gründete sie eine Stiftung namens “Engelli Hayvanlar (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)” (“Behinderte Tiere”), das soll die kleine Werbungsanekdote sein. Es gibt viele Menschen, die sich mit all ihren Möglichkeiten kümmern. Wer all das nicht kann, geht mit Futter in der Tasche raus und verteilt es, oder stellt einfach eine Tasse Wasser vor die Tür.

Ab und zu greifen Straßenhunde Menschen an. Sie jagen sie bellend, sie beißen sie manchmal auch. Vor wenigen Wochen soll eine Frau, die von Hunden bellend gejagt wurde, panisch auf die Straße gegangen und von einem Auto überfahren worden sein. Das Gerücht, das ein Kind totgebissen würde, kursiert immer wieder, es ist für mich nicht möglich, es zu verifizieren. Tierschützler*innen sagen, es seien manipulative Gerüchte, die Stimmung gegen Tiere machen sollen, um von der vernachlässigten Verantwortung der Regierung und Verwaltungen abzulenken. Die Journalistin Nevşin Mengü bringt die Feindseligkeit gegenüber Straßentieren mit dem Islamismus in Verbindung: “Alles, was mir nicht gleicht, soll zerstört werden”, schreibt sie auf X, ehemals Twitter.

Selbst wenn sich die Straßenhunde aggressiv verhalten, liegt es nicht daran, dass Hunde feindselig gegenüber Menschen sind, sondern an ihren Lebensbedingungen. Sie sind entweder krank, oder gestresst, oder sie hungern – meistens erleben sie all das gleichzeitig. Wir dürfen nicht vergessen, dass Menschen auch nicht immer wohlgesinnt sind gegenüber Straßentieren, das heißt sehr viele Tiere sind von Menschen traumatisiert worden und sind misstrauisch oder haben wenig für Menschen übrig. Am Ende zeigen sie eine gesunde Reaktion auf sehr ungesunde Umstände, weil sie leben wollen. Die politische und nachhaltige Lösung hier ist, für ein friedliches Zusammenleben zu sorgen, sie zu sterilisieren, zu behandeln, zu impfen, zu füttern, sie in Ruhe leben zu lassen. Sie zu töten kann gar keine Lösung sein, dazu ist es schlicht und ergreifend unmoralisch.

Also, falls du etwas dagegen machen möchtest, dann poste diesen Newsletter auf Social Media, leite ihn per Mail weiter und kritisiere das unmenschliche Vorhaben der AKP-Regierung. Dazu findest du auch eine Meldung auf BBC Türkçe (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die du ggf. mit einer Browser-Erweiterung ins Deutsche übersetzen lassen könntest. Sorge für internationale Aufmerksamkeit – es kann Wirkung zeigen und wertvolle Leben retten.

Falls du vorhast, dieses Jahr in der Türkei Urlaub zu machen, überlege dir bitte ernsthaft, ob du das lieber absagen und dies öffentlich ankündigen möchtest. Boykottieren ist ein sehr wichtiger Hebel und kann einen enormen Druck auf Regierungen ausüben, dazu gibt es zahlreiche Beispiele.

Wenn du meine Arbeit finanziell unterstützen möchtest, kannst du das ab 3 Euro im Monat über Steady (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und Patreon (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) machen. Gerne kannst du auch mein Buch “Weißen Feminismus canceln (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)” bestellen. Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit.

Fragen, Anfragen, Anmerkungen bitte an: contact@sibelschick.net

Liebe Grüße,
Sibel Schick

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