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Erfolgreich erfolglos

Ich hatte einige Monate App-Detox gemacht. Aus meinem Handy Instagram, Twitter, Tiktok, Facebook deinstalliert. Ich wollte mich vor dem toxischen Glück, dem ich da ausgesetzt worden war, schützen. Es war notwendig.

Twitter nutze ich eh lange nicht mehr wie früher. Aber Instagram schon. Und jedes Mal, wenn ich auf Instagram ging, sah ich auf meiner Timeline mindestens einen der vielen, vielen feministisch schreibenden Menschen, wie er den Erfolg mit einem Buch feierte. Entweder ist es eine große Zahl an Veranstaltungen gewesen, oder eine große Medienecho, oder eine neue Auflage, die erreicht wurde. Manchmal konnte man sogar einer Auszeichnung begegnen, was ich im Prinzip feiere. Aber all das löst auch unangenehme Neidgefühle aus. Und dann mache ich mir Vorwürfe, dass ich mich nicht für andere freuen kann und neidisch bin. Dass ich all das nicht neutral beobachten kann, ohne alles auf mich zu beziehen. Dabei bin ich jeden Monat in Dispo und weiß nicht, wie ich mich über den Erfolg anderer freuen kann, ich weiß nicht wie es unter diesen Bedingungen überhaupt geht.

Mit dem Schreiben als Beruf in einem traditionellen Sinne erfolgreich sind nur die wenigsten. Aber wenn man auf Instagram geht, bekommt man den Eindruck vermittelt, dass es alle sind. Allen geht’s super gut mit der Karriere in der Buchbranche.

… allen außer mir.

…wenn man Instagram glaubt. Das ist natürlich Unsinn.

Ich schrieb ein Buch (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Es dauerte zwei Jahre. Während dieser zwei Jahre bin ich einmal fast gestorben und hatte zwei chirurgische Eingriffe. Und dann eine sehr große private Krise. Es ist ein kompromissloses Buch – fordernd und konsequent. Ich recherchierte viel, dachte viel nach, nahm radikale Veränderungen vor, damit dieses Buch entstehen kann. Ich verließ meine eigene Wohnung, mein eigenes Leben. Ich wechselte die Stadt, in der ich lebte, sogar das Land. Ich musste mich 2.500 Kilometer von meinem alten Leben entfernen, damit dieses Buch ist. Es erschien endlich im September vergangenen Jahres und ich bin sehr glücklich darüber. Ich bin stolz. Das lange Schreiben änderte mein Leben. Und die Umstellungen, die ich gemacht habe, führten dazu, dass ich jetzt zum ersten Mal im Leben sagen kann: Ich bin glücklich. Das bin ich auch tatsächlich, ich bin sehr glücklich. Aber erfolgreich bin ich nicht. Ich verdiene kaum Geld.

Vom Erscheinungstermin bis März 2024 hatte ich ganze zwei (2) Veranstaltungen mit meinem Buch. Jetzt ist es März, und wegen Women’s History Month ist bisschen was los. Ich habe plötzlich fünf öffentliche und eine geschlossene Veranstaltung in diesem Monat. Aber danach ist erstmal wieder fast nichts geplant. Mein Buch ist bis heute in der ersten Auflage. Ich kann weder von den Verkäufen noch von den Veranstaltungen leben. Ich verdiene mein Geld aktuell nur mit diesem Newsletter und der Kolumne für Campact Blog – das sind die einzigen zuverlässigen, regelmäßigen Einnahmen, die ich habe. Ihr könnt euch vorstellen, dass es nicht viel ist.

Ab und an schreibe ich journalistische Texte und manchmal werden sie auch veröffentlicht und bezahlt. In Antalya wohne ich mietfrei und freiwillig und gerne, aber wegen der Hyperinflation sind die Lebenshaltungskosten gar nicht so niedrig wie man denkt. Ich kann mir zwar noch gar nicht vorstellen, zurück nach Deutschland zu kehren. Aber mit dem Geld, das ich aktuell verdiene, könnte ich mir eh keine Miete in Deutschland leisten. Und, liebe Branche, ich sehe es nicht ein, irgendeiner anderen Arbeit wie Kellnern nachzugehen, so wie ich es früher gemacht habe. Irgendwann reicht’s.

Meine Erfahrung ist keine Ausnahme. Dass Menschen vom Schreiben kaum leben können, ist die Regel. Schon vor wenigen Tagen hörte ich die Sprachnachricht eines Freundes ab, in dem er u.a. sagte: “Habe ich eigentlich die richtige Entscheidung getroffen, als ich angefangen hab, Bücher zu schreiben?” Als ich diese Stelle hörte, musste ich laut lachen, weil ich es so sehr nachempfinden konnte.

Aber auf Instagram siehst es irgendwie so aus, als ginge es allen super gut. Sonnendurchflutete Wohnungen, Reisen, Designer-Kleidung, ein Meilenstein nach dem anderen. Warum? Warum bekomme ich auf Instagram dein Eindruck, dass ich die einzige bin, der es beruflich nicht gut geht? Warum sprechen nicht mehr Menschen über die Erfahrung, erfolglos zu sein, sich kaum über Wasser halten zu können, jeden Monat Dispo zu haben? Können wir es bitte normalisieren, darüber zu sprechen, wenn es uns finanziell nicht ganz gut geht?

Es ist ziemlich interessant, dass, wenn eine Person Erfolg hat, sie dadurch mehr Erfolg hat. Wenn eine Person viel durch die Gegend reist und viele Veranstaltungen hat, bekommt die Person noch mehr Einladungen. Es ist genauso wie ein Mensch mehr Geld hat, wenn er Geld hat – mit dem Geld kann er mehr Geld machen, ist die gleiche Logik. Wenn ein Mensch einen guten Job hat, bekommt er einen noch besseren Job. Während ich diese Zeilen schreibe, spüre ich die Angst, die mir der Gedanke einjagt, dass ich jetzt, wo ich öffentlich zugebe, kaum Geld zu verdienen, noch schlechtere Voraussetzungen haben würde, um für gute Honorare zu verhandeln. Das ich jetzt dadurch, dass ich sage, kaum Geld zu verdienen, noch weniger Geld verdienen könnte. German dream.

Unsere Gesellschaft belohnt diejenigen, denen es eh schon gut geht, was dazu führen kann, dass diejenigen, die sich gerade über Wasser halten können, ertrinken. In der Buchbranche führt es dazu, dass immer wieder die gleichen Perspektiven sichtbar werden, während viele nicht gehört werden.

Ich kenne den Wert meiner Arbeit, dafür brauche ich keine externe Bestätigung. Mir ist klar, dass Bücher wie meins keine Blockbuster sind. Mein Buch wird sehr lange Jahre relevant bleiben und gut altern. Meine Priorität beim Schreiben war nämlich, die Debatte mitzugestalten, und nicht, heute zu überleben und morgen dann wieder zu gucken, was ich mache. Meine Priorität war genau so wenig, Gefühle zu schonen. Man kann keine Gefühle schonen, wenn man das weiße Selbstverständnis angreift. Meine Priorität war, die Wahrheit zu erzählen, und die ist eben unbequem.

Meine Beobachtung ist, dass die Branche Menschen wie mich dazu bringen will, uns moderat auszudrücken. Nett und lieb um Gleichberechtigung und Menschenwürde zu bitten, und dabei Dankbarkeit ausdrücken. Hier werden feministische Grundsätze mit Füßen getreten: Feminist*innen sollten nämlich nie nett sein, bis nicht-weiße Feminist*innen plötzlich unbequem wurden. Was ich erlebe, und da bin ich nicht allein, ist ein stillschweigendes Maßregeln in Form von geschlossenen Türen, das zu Armut führt. In vermeintlich emanzipatorischen Kreisen. Ich dachte das gibt es hier nicht? Habe ich mich getäuscht?

Kann sein, dass ich mich bitter anhöre. Aber es ist eben überhaupt nicht einfach.

Screenshot aus sibelschick.net/termine (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Heute fahre ich nach Bremen, am Samstag nach Dortmund. Am 28. März lese ich in Hamburg und dann kehre ich zurück nach Hause. Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder in meinem Bett zu schlafen, in meinem eigenen Zuhause zu sein, mit meinen Liebsten gemeinsam. Ich freue mich auf die strikt strukturierten Tage des Schreibens, mit vierzehn Weckern am Tag. Ich freue mich auf meine Eckcouch und das Lesen spannender Gedanken, die mich zum Nachdenken bringen. Ich freue mich auf den Schwarztee mit Nelken und Zimt. Ich freue mich auf das Sonnenlicht und das Meer und bald auf Sommergemüse. Mir geht’s gut. Vor allem wenn ich nicht täglich auf Instagram gehe.

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Bis demnächst
Sibel Schick 🍋

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