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Hoffnung

Der politische Backlash ist enorm. Rasen wir auf eine Katastrophe zu? Ja, aber. Es gibt viele Dinge, die Hoffnung machen.

Als ich die Ergebnisse der Europawahl erfuhr, saß ich gerade in einem vollen ICE – und musste heulen. Fieberhaft las ich die Berichte, versuchte, die Analysen zu verstehen und die Fakten in meinen Kopf zu bekommen. Es hat ein paar Tage gedauert, bis sich die Taubheit bei gelegt hat. Nach Verzweiflung über Verleugnung der Fakten bis hin zum schlichten Ignorieren habe ich jetzt alles durch, und ich habe sie wieder, Hoffnung. Mein heutiger Newsletter soll daher von Hoffnung handeln. Was können wir tun in diesen Zeiten? Rasen wir auf eine Katastrophe zu? Es gibt so viele Dinge, die trotz dieser Wahlkatastrophe Hoffnung machen, und einige von ihnen, die mich aktuell beschäftigen, möchte ich mit euch teilen.

Thematisch passend war ich kürzlich zu Gast im Pod der guten Hoffnung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), dem Klima-Podcast von der Heinrich-Böll-Stiftung und Treibhauspost (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), einem Newsletter von Julien Gupta und Manuel Kronenberg. Das Konzept des Podcast ist, Personen unterschiedlicher Kultursparten und Branchen zu ihrem Blick auf die Klimakrise, zu Lösungswegen und hoffnungsvollen Entwicklungen zu befragen. Dabei stellen die Hosts Jonas Wirsch und Anna Brehm auch immer wieder Gefühle in den Vordergrund, die wir mit, wegen und trotz der Klimakrise haben. So ist eine schöne Runde von Podcastgästen entstanden, die mit einem positiven Grundtenor sprechen, zum Beispiel die Schauspielerin Pheline Roggan oder der Veganer Aljosha Muttardi. Ich habe mich sehr gefreut, die Perspektive Architektur und Feminismus einzubringen – insgesamt zeigt der Podcast, dass es viele gute, stetige und konsistente Wege in allen Branchen gibt, etwas Positives beizutragen.

Dies entspricht zu 100% meiner Haltung. Jede*r einzelne kann etwas tun, an seinem*ihren Ort, Arbeitsplatz, in der Familie oder als einzelne Person. Zusammen sind wir eben doch viele. Und es ist so befriedigend, sich einzubringen, und das meine ich im Wortsinn, es bringt einem*einer Frieden und das selbstwirksame Gefühl, auf einem sinnvollen Weg zu sein.

Wandinstallation: auf drei gleich große weiße Plakate sind goldene Punkte gedruckt. Jeweils rechts unten steht Ja, Oui, Sí.

Wandinstallation im Kaffeehaus und Kulturimpuls Unternehmen Mitte in Basel. Auf der Internetseite des UM steht: “Das Unternehmen Mitte ist Ermunterung zur Selbstermächtigung: Wer nicht muss, der kann!”

Aber nicht nur in dem eigenen Umfeld, auch in einem ganz anderen Maßstab gibt es Grund zur Hoffnung – und so viele Möglichkeiten, des Handelns. Für ein Projekt lese ich gerade sehr viel, und hier ist mir das Buch Männer, die die Welt verbrennen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Christian Stöcker in die Hände gefallen. Auf den ersten Blick kein besonders empowerndes Buch, handelt es schließlich von dem Einfluss von Öl- und Gaslobbyisten (gendern unnötig) auf den Klimakrise. Christian Stöcker erzählt wunderbar flüssig und nachvollziehbar, wie die Öllobby über Jahrzehnte dazu beigetragen hat, die Klimakrise zunächst zu leugnen, dann zu verschleiern und schließlich Klimaschutzmaßnahmen immer wieder zu verzögern und in Zweifel zu ziehen. Anders als vielleicht erwartet erläutert Stöcker nicht nur, wie Regierungshandeln von Lobbyist*innen stark beeinflusst wurde, sondern vor allem die manipulativen Narrative, die sie über Jahrzehnte gestrickt und weiterverbreitet haben, mit eklatanten Auswirkungen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass die Kilowattstunde Strom aus erneuerbaren Energien konkurrenzlos günstig ist im Vergleich zu der aus fossilen Brennstoffen? Wusstet ihr, dass grüne Maßnahmen nun bewusst als „woke“ gelabelt werden, um ihnen einen verrückten Anstrich geben und ihnen damit die Ernsthaftigkeit und Notwendigkeit abzusprechen?

Nun, sicher fragt ihr euch schon, was diese Buchempfehlung dann in einem Newsletter zum Thema Hoffnung zu suchen hat. Alle diese gestreuten Botschaften, sind Verzweiflungsmaßnahmen - denn erneuerbaren Energien sind längst auf dem Vormarsch und stellen sogar in Deutschland schon über 50% der Energiequellen. Das meistverkaufte Auto weltweit ist längst ein E-Auto. Sogar im rusty belt in den USA, den Bundesstaaten in denen vorwiegend die Republikanische Partei gewählt wird, haben Unternehmer*innen entdeckt, dass die Abwertung von Erneuerbaren durch die Republikaner nicht länger ihren Interessen dient – denn in Bundesstaaten wie Texas wird in Zukunft sehr viel Sonne scheinen und so ist die Gewinnung von Energie aus Sonne ein extremer Wachstumsmarkt.

Stöcker vertritt die These, dass das laute Getöse der Öllobbyisten, das eng mit den Diskursstrategien der Rechten (und auch der FDP in Deutschland) verwebt ist, deshalb immer aggressiver wird, weil ihnen längst ihre Felle davonschwimmen. Es ist ein letztes Aufbäumen - der Markt entscheidet es aktuell gegen die Vorlieben der Lobby. Allein durch die Abwendung der Verbraucher*innen von fossiler Energie wird sich der CO2-Ausstoß senken – egal, wieviel Öl noch im Boden ist (und dort ist leider noch ein Vielfaches von dem, das wir noch verbrauchen dürfen). Stöcker liefert eine Erklärung, warum die Dinge in Bezug auf die Klimakrise so sind wie sie sind - und dass diese Erzählung bröckelt. Das Buch möchte ich allen ans Herz legen – ich blicke anders auf die Welt, seitdem ich es gelesen habe.

Warum brauchen wir eigentlich Hoffnung? Ich bin davon überzeugt, dass wir nur aus einem positiv erlebten Möglichkeitsraum heraus handeln können. Diesen Raum müssen wir erst mal spüren, dafür brauchen wir Zeit und die Möglichkeit. Wenn wir an einem Ort keine Hoffnung mehr haben, gehen wir, oder wir resignieren. In meinen Vorträgen sage ich oft, dass Frauen* die Architektur aus einem Gefühl heraus verlassen. Aus einem Gefühl heraus? Ich denke nicht, dass sie sich eine Pro- und Contra-Liste machen und rational abwägen. Sie gehen, wenn die Atmosphäre nicht mehr stimmt, wenn sie sich nicht willkommen fühlen, wenn die negativen Erlebnisse überhandnehmen, wenn sie keine Zuversicht mehr haben, ihre Vorstellung einer Arbeitsatmosphäre in der Architektur leben können oder wirksam zu werden.

Als Teil meiner Claiming*Spaces Gastprofessur an der TU Wien 2023/2024 habe ich genau dies zum Thema gemacht. Nachdem Inge Manka und ich mit den Studierenden die gesamte Gemengelage der strukturellen Diskriminierung zusammen erarbeitet hatten, haben wir die Frage gestellt: Was braucht ihr eigentlich, um zu bleiben? Im laufenden Sommersemester erarbeiten wir hierzu eine Publikation und ich sage mal, es wird schön. Ich freue mich sehr auf das Buch.

Schließen möchte ich mit eine paar lose Ideen teilen, wie jede*r von uns über die Zeit Einfluss nehmen kann, um der Klimakrise und auch den bedrückenden Ergebnissen der Europawahl etwas entgegenzusetzen. Oder einfach um Sachen zu machen, die Spaß machen in einer manchmal so bedrückenden Gegenwart.

  • endlich Mitglied in der Lieblingspartei werden

  • zu Ökostromanbieter*in wechseln

  • Verbrennerauto verkaufen

  • ehrenamtlich engagieren

  • Klimainitiativen im Viertel unterstützen

  • einem Frauen*netzwerk beitreten

  • Balkonkraftwerk anschaffen

  • Sachen auf dem Flohmarkt verkaufen

In meinen letzten Texten in der Bauwelt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und in meiner neuen Kolumne #überarbeit in die architekt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) habe ich es schon genannt, aber der Vollständigkeit noch einmal:

Als Architekt*innen haben wir 196mal mehr Möglichkeit, auf den Klimawandel einzuwirken, als durch eine Veränderung unseres Lifestyles – das hat Anna Highfield in ihrem Artikel (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) im Architects‘ Journal herausgearbeitet – und zwar unabhängig von dem Maßstab, in dem wir arbeiten. Ist das nicht wunderbar? Was kann eine einzelne Person schon gegen den Klimawandel ausrichten? Nicht so viel - es sei denn, sie ist Architekt*in. ☺️ Ich liebe es.

für heute hoffnungsvolle Grüße
und auf bald,

Karin

Empfehlungen

Mein Gespräch mit Anna Brehm von der Heinrich-Böll-Stiftung im Pod der guten Hoffnung findet ihr hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) oder bei den gängigen Plattformen wie z.B. Spotify.

Christian Stöcker’s Buch Männer, die die Welt verbrennen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist 2024 bei Ullstein erschienen.

Manuel Kronenberg und Julien Gupta geben in einem straffen 2-Wochen-Rhythmus (^^) ihren Klima-Newsletter Treibhauspost (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) heraus. Lesenswert!

Für alle, die sich über den Stand der Klimakrise informieren möchten: Das Buch von Friederike Otto, eine der wenigen deutschen Klimaforscherinnen, die am IPCC Report mitarbeiten, kann ich sehr empfehlen: Klimaungerechtigkeit. Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Der Artikel von Anna Highfield Architects have ‘196times’ more power to cut carbon through work than lifestyles (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist im März 2024 auf der Seite des Architects’ Journal erschienen.

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Hier sind die nächsten Veranstaltungen mit mir:

19.06.2024, Wuppertal
Key Note und Podiumsdiskussion anlässlich der Vernissage zu Frauen, die bauen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Universität Wuppertal, Campus Haspel

28.06.2024, München
Impuls und Gespräch mit Alexandra Wolf, Festival der Zukunft (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Deutsches Museum

03.07.2024, Köln
Input zur Claiming*Spaces Gastprofessur WHOSE TIME(S)? Gekommen, um zu bleiben, Technische Hochschule Köln

25.09.2024, St. Gallen
Gespräch mit Anna Jessen und Wiebke Ahues, Ostschweizer Fachhochschule

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