In aller Frühe, zu spät
Johann Nepomuk Hummel: Klavierkonzert Nr. 2 in a-moll (1816)
In den Schleichwegen zur Klassik stelle ich regelmäßig Musikstücke vor, die ich sehr mag. Ich schreibe ein paar Zeilen dazu, mit dem Ziel, dir den Zugang zu erleichtern. Ich hoffe, dass du nach dem Lesen und Anhören sagst: Ich bin froh, diese Musik kennengelernt zu haben. Sie hat mein Leben etwas reicher gemacht. Wenn mir das gelingt, freue ich mich über deine freiwillige Unterstützung auf Steady. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)
Es gibt nicht viele Menschen, die Mozart, Beethoven, Haydn und Schubert persönlich kannten – und von all diesen auch noch hoch geschätzt wurden. Einer, auf den das aber zutrifft, ist Johann Nepomuk Hummel.
Geboren 1778 in Bratislava, war schon früh klar, dass man es mit einem Wunderkind am Klavier zu tun hatte, woraufhin der junge Johann Nepomuk von keinem Geringeren als Wolfgang Amadeus Mozart unterrichtet wurde, der ihn auch kostenlos in seinem Haus wohnen ließ. Joseph Haydn komponierte eine Sonate für den jungen Hummel, der sie auch aufführte (wofür er von Haydn eine Guinee-Goldmünze erhielt). Später wurde Hummel ein guter Freund (und wohl auch finanzieller Förderer) Beethovens, der sich gewünscht hatte, Hummel möge auf einem Konzert zu seinem Tode am Klavier improvisieren. Es kam tatsächlich dazu. Und auf diesem Konzert lernte Hummel Franz Schubert kennen, der seine ersten drei Klaviersonaten dem großen Klaviertalent widmete. Hummel war ein hervorragender Pianist, bestens vernetzt und hinterließ etliche Kompositionen, vor allem für Klavier. Er geriet aber nicht erst über die Jahrhunderte in Vergessenheit, sondern hatte nie nennenswerten Nachruhm.
Warum? Hummels kompositorischer Stil orientiert sich zu Beginn seiner Karriere sehr an Mozart, aber er kommt zu spät, um der Wiener Klassik, dieser hochformalen, gefassten Musik, noch etwas hinzufügen zu können. Mozart und Beethoven schienen alles gesagt zu haben, was man in diesem formalen Rahmen sagen kann. Hummel wählte also einen anderen Weg zur Weiterentwicklung der Musik, er will zeigen, was er noch aus dem Klavier herausholen kann. Seine Musik soll nicht nur der Form nach, sondern auch technisch beeindrucken, mit schwierigen, virtuosen Passagen, die einen Stil vorweggreifen, den man später Romantik nennen wird.
Und das ist Hummels Problem. Er gehört nicht mehr richtig zur Klassik, aber auch noch nicht zur Romantik. Er war zu spät für die zu Ende gehende Epoche und zu früh für die kommende. Natürlich sind dies Zuschreibungen aus heutiger Perspektive. Hummel selbst wusste nicht, dass sein Klavierkonzert in a-moll den Weg bereiten würde für die romantischen Klavierwerke von Robert Schumann (der erwog, Hummels Schüler zu werden) und Frédéric Chopin, der Hummels Arbeit studiert hatte. Da aber der Publikumsgeschmack dem neuen romantischen Stil den Vorzug gab, verschwand der Wegbereiter dieser freieren, virtuoseren Musik von der Bildfläche. Zu gefasst, zu formell klang seine Musik, wenn man sie sich aus romantischer Perspektive anhört.
Für mich macht aber gerade diese elegant eingehegte Emotionalität den großen Reiz von Hummels Musik aus. Hier ist jemand, der die Form wahrt, aber dennoch zu großen Gesten im Stande ist. Das ist eine Eigenschaft, die man auch an einem Menschen schätzen kann, nicht nur an einer Musik.
Ich empfehle euch jetzt den letzten Satz aus Johann Nepomuk Hummels proto-romantischem 2. Klavierkonzert von 1816. Ganz klassisch wird in den ersten fünf Sekunden das Thema vom Klavier solo vorgestellt. Diese kurze Melodie wird uns dann durch den ganzen Satz begleiten (neben einigen anderen, die wir jetzt mal beiseite lassen). Versucht euch das Thema einzuprägen, vielleicht spielt ihr die ersten fünf Sekunden ein paar Mal ab. Bei 0:54 kommt es nochmal. Bei 4:21 auch – und bei dieser Wiederholung des Themas, das hört man in der folgenden Aufnahme sehr gut, verzögert Stephen Hough am Klavier ein ganz kleines bißchen, genau bei 4:29. Wir sind akkurat eingestiegen, aber in der Mitte des Stücks dürfen wir uns ein bisschen (ein ganz kleines bisschen) locker machen.
Im Finale schließlich macht Hummel ein letztes Mal Platz für das Thema vom Anfang, bei 9:56, in der Flöte. So passgenau, so zwingend scheint diese Melodie ein letztes Mal auf, also wollte Hummel sagen: Trotz all dem virtuosen Schaulaufen (wie bei 9:01) habe ich das große Ganze noch im Blick, ich habe nicht vergessen, wie das alles angefangen hat, ich lasse das hier nicht ausufern. Für diesen Spirit liebe ich Hummel.
Hört es euch an:
https://www.youtube.com/watch?v=0iE9qyp2CVc&list=PLYTgTQ2F5u4S9I16v0oFKV1BMs1yKE8Fn&index=3 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Hier die Aufnahme im Streaming (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Schöne Grüße aus Berlin
Gabriel
P.S.: Empfindest du meinen Newsletter als Bereicherung? Dann freue ich mich über deine freiwillige Unterstützung auf Steady (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Vielen Dank!