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Prävention und Passiv

Der Mann ist für Menschen, die bisher wenig mit Thüringen und Thüringern zu tun gehabt haben, schwer verständlich, aber die eine Aussage (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist eindeutig: „Ab in ein Lager mit den Viechern, ab nach Buchenwald mit die Viecher!“ Das sagt ein Mann, auf dessen Kapuzenpullover eine Friedenstaube mit Ölzweig ziert, über Demonstrant:innen, die gegen Rechtsextremismus protestieren, und er sagt es in die Kamera eines selbst rechten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Livestreamers. Der wiederum ist auf unseren Schreihals aufmerksam geworden, weil der Sekunden vorher „Komm ran du scheiß Antifa-Wichser!“ über die ihn und seine Hand voll Gesinnungsgenossen schützende Polizeikette krakeelt hatte.

Die Polizei in Thüringen hat mittlerweile vollkommen zurecht Ermittlungen gegen den Mann aufgenommen, die Entrüstung ist angemessen groß, der Vorfall ein weiterer Beleg dafür, dass die Radikalisierung der deutschen Rechtsextremen und ihres parlamentarischen Armes eben keine natürliche Grenze kennt, sondern von hier bis zu Konzentrationslagern nicht von sich selbst, sondern nur von uns gestoppt werden kann.

Ortswechsel, ein Bundesland weiter: In Sachsen treffen sich Mitglieder der „Jungen Alternative“ des Landes und fabulieren mit weiteren Teilnehmern über ihre Vorstellung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von der Logistik massenhafter „Remigration“:

„Es gibt dann Arbeitslager und Wohnlager. Da sollen die was zu essen bekommen und dafür, dass sie eine warme Unterkunft haben, müssen sie was leisten.“

Und weiter:

„Ich würde die halt erstmal internieren, in ein Ghetto stecken. Die haben die Pflicht, arbeiten zu gehen. Man könnte so Werkstätten zum Beispiel einrichten. Dafür, dass sie Essen bekommen und ein warmes Dach über dem Kopf, müssen sie selbstverständlich eine Leistung erbringen.“

Dass dieses System funktioniere, habe natürlich Voraussetzungen:

„Es braucht eine gewisse Gewaltbereitschaft im deutschen Volk. […] Als Staat würde ich Freiwillige suchen, die zur Not auch bereit sind, auf Frauen und Kinder zu schießen.“

Man muss kein Historiker sein, um zu verstehen, dass die Menschen, die das hier aussprechen, Konzentrationslager im Sinn haben. Dennoch hat die RTL-Extra-Redaktion aus mir unerfindlichen Gründen ausgerechnet Johannes Varwick, Politologe aus Halle, zu den Aufnahmen befragt. Varwick baut sich seit zwei Jahren mit großem Elan ein Profil auf, über Dinge als Experte zu sprechen, die ihm bei minimaler Fachkenntnis maximale Aufmerksamkeit verschaffen. Das war zunächst die Ukraine, wo man ihm immerhin noch Publikationen zur internationalen Sicherheitspolitik und NATO-Osterweiterung zugutehalten konnte – zur AfD oder auch nur zum Rechtsextremismus findet sich kein einziger Beitrag in seiner Literaturliste.

Und so ordnet Varwick diese Äußerungen dann auch nur als „Ticket in den Bürgerkrieg“ ein, weil eine massenhafte Ausweisung auch von Menschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, ja ein enormes Gewaltpotenzial innehabe. Das menschenverachtende, antidemokratische, verfassungswidrige, faschistische, ja es gehen einem die Attribute dafür aus, an der ganzen Äußerung erfasst Varwick zumindest in den gesendeten Interviewausschnitten nicht: Dass hier Menschen aufgrund ihnen angeborener Merkmale in Lager gesteckt und dort mit Todesandrohung zur Arbeit gezwungen werden sollen. Es braucht ja eigentlich auch für Akademiker:innen wenig Fantasie, was der nächste Schritt in einem solchen Gedanken ist: Dass in solchen Lagern schließlich nur die zur Arbeit selektiert werden, deren Versorgung im Lager durch die eigene Arbeit refinanziert werden kann. Und was mit dem Rest passiert, hat unsere (Ur-)Großelterngeneration schon einmal überlegt und umgesetzt.

Was diese beiden sehr aktuellen Beispiele zeigen, ist dass unsere bisherige Erinnerungs- und Bildungspolitik an manchen Ecken klar gescheitert ist: Es wird nämlich immer Menschen geben, die Geschichtsbücher nicht als Warnung, sondern als Anleitung wahrnehmen. Da hilft dann auch nicht der Reflex, den gerade Landes- und Bildungspolitik immer wieder hervorholen und zuletzt im Stern-Interview auch wieder Josef Schuster vom Zentralrat der Juden in Deutschland: Der allgemeine verpflichtende Besuch einer KZ-Gedenkstätte in der Schulzeit. Denn unser Bildungssystem ist nicht darauf vorbereitet, alle Schülerinnen und Schüler in einer Art und Weise auf diesen Besuch vorzubereiten, dass er nicht auch kontraproduktiv wirken kann, gerade bei pubertierenden Jugendlichen. Der Gedanke, dass eine solche Konfrontation mit der historischen Realität des Holocaust uns immun macht gegen die Verführungskraft von Gewaltherrschaft ist zwar schön, aber weltfremd.

Hinzu kommt, dass wir in KZ-Gedenkstätten die letzte Stufe der Radikalisierung des Nationalsozialismus sehen, den tatsächlichen Abgrund des Menschenmöglichen, das Ende von Zivilisation und Menschenwürde. Das macht es den beschwichtigenden Stimmen leicht, einfach nichts gegen die rechtsextreme Gefahr zu tun: Wo wir mit „Nie wieder“ immer nur Konzentrations- und Vernichtungslager meinen, ist der vom Land Hessen beurlaubte Beamte Björn Höcke ja noch kein Problem. Wenn wir die Anfänge von „Wehret den Anfängen“ erst da sehen, wo die politische Opposition auf Lastwagen mit faulen Eiern beworfen in „Schutzhaft“ gebracht wird, da muss ein Tino Chrupalla natürlich weiterhin ins Fernsehen eingeladen werden.

Am Ende kommt es, und diese bittere Erkenntnis darf sich jetzt bitte mal durchsetzen, nicht auf die historisch-politische Bildung von allen gleichermaßen an, sondern auf die immer noch vorhandenen Multiplikatoren, die zur kopflosen Ritualisierung neigen und unreflektiert die Steigbügel halten. Wir werden nie alle Menschen zu derart überzeugten Demokrat:innen machen können, dass sie nicht eine Herrschaft Ihresgleichen befürworten würden, wenn sich die Gelegenheit bietet. Aber wir könnten, müssten es ihnen so schwer wie möglich machen, Gruppen von Ihresgleichen zu bilden. Denn das sind die Anfänge, und gegen die müssen wir uns nicht erst seit heute wehren.

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