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Ein Themenplan, eine Linksammlung, Materialien in der Cloud: Diese Woche sollte sich dieser Newsletter professionalisieren. Die angekündigte Beschäftigung mit @ichbinsophiescholl war durch die erschöpfende Behandlung im ZDF Magazin ja schon weitgehend überflüssig, aber ein paar Gedanken hätte ich schon noch dazu gehabt. Und dann klingelt um 6:40 Uhr der Wecker (setzt den Schulstart endlich auf 9 Uhr, ihr Deppen) und es ist Krieg in Europa.

Es ist genug geschrieben worden dazu wie absurd die Tweets über „70 Jahre Frieden in Europa“ sind, obwohl wir Mittdreißiger ja schon sehr konkret eine gute Hand voll Kriege in unserem Leben von Ferne mitansehen mussten. Es fühlt sich für mich dieses Mal aber anders an, tiefschneidender, hoffnungsloser, auf eine zynische Art weniger „aufregend“. Ich glaube das liegt daran, dass ich in diesem Krieg Kinder habe. Gestern Morgen stand ich am Bett meines Sohnes um ihn für die Schule zu wecken und überlegte, ob ich ihm noch beim Frühstück erklären muss was Krieg ist oder ob es auch am Nachmittag reicht. Er hat Klassenkamerad:innen die in Kiew und Moskau geboren sind, über kurz oder lang wird das ein Thema werden. Und wenn ich höre, was die Kinder seiner Klasse manchmal über Banalitäten wie Pupse, Autos und Impfungen als elterliches Halbwissen weitertragen, werde ich sicher auch bald korrigierend beim kindlichen Bild von Krieg eingreifen müssen.

Aber wie redet man mit Kindern über Krieg? Krieg ist ja letztlich die totale Niederlage der Menschlichkeit, der Kommunikation, der Regelsysteme, die wir uns für das gemeinsame Leben täglich neu geben. Es ist die Kapitulation von Argumenten, von Ausgleich und Verhandlung, von Zugeständnis und Forderung, die komplette Reduktion des Menschen darauf ob er in der Lage ist, einen anderen Menschen zu töten bevor dieser Mensch ihn töten kann. Und es ist die Erkenntnis, dass all unsere friedlichen Aushandlungsprozesse hinfällig sind, wenn nur einer von uns bereit ist, andere zu töten. Es ist also genau das Gegenteil von dem, was wir unseren Kindern beibringen müssten, aber es ist die Realität. Es ist das Eingeständnis von uns Erwachsenen, dass wir selbst nicht können, was wir von Kindern erwarten.

Und so brachen am Ende des ersten Tages dieses Krieges in einem Nachbarland unseres Nachbarlandes vielleicht auch die vererbten Kriegstraumata auf, die in unterschiedlichen Stärken und Dringlichkeiten irgendwo in uns liegen. Ob wir sie bemerkt haben oder nicht, sie waren ja immer da. Der Vater meines besten Freundes bekam Wutanfälle, wenn der Kühlschrank nicht voll war, weil er echten Hunger kennengelernt hatte. Mein Englischlehrer erstarrte um die Jahrtausendwende einmal für fünf Minuten im Klassenraum, nachdem Bundeswehrpanzer der nahen Kaserne vorbeigefahren waren. Wir hatten nur das Dröhnen der Motoren gehört und dieser mitunter jähzornige, ansonsten unheimlich souveräne Mann verlor die Fassung. In den 90ern lebte für eine Zeit, die mir wie Jahre vorkam, eine bosnische Familie bei uns. Mittlerweile haben sie in den USA ihr Glück gefunden. Der Blick des Sohnes, etwas jünger als ich, als einmal ein Hubschrauber tief über unser Haus flog, ist mir nach fast 30 Jahren noch eingebrannt. Es gibt Angst, und es gibt Angst.

Dementsprechend ist es ein Glücksfall für die Bundesrepublik, dass sie gerade in der Bundesregierung einen Generationswechsel vollzogen hat, denn was wir hier vorgeführt bekommen, ist die große Lebensniederlage der politischen Generation nach dem Kalten Krieg: Die Idee, dass eine globalisierte Welt so voneinander abhängig wird dass Kapitalströme Territorialkriege verhindern, ist endgültig zu beerdigen. Sie war immer naiv, zu hoffnungsvoll, dafür muss man nicht einmal das postulierte „Ende der Geschichte“ hervorholen: Liberale Gesellschaften sind nur so lange stark, wie dieses Liberale für alle gilt; wenn sich jemand nicht an die liberalen Grundregeln hält, müssen sie entsprechend reagieren. Das lange Lavieren um Sanktionen gegen Russland (und ich maße mir keinerlei Expertise dazu an, was da sinnvoll ist) zeigt, dass wir uns mit dieser Reaktion schwertun. Ich glaube, das ist vollkommen normal, dieses Schwertun sollte nur nicht Teil der Tagesroutine werden, sondern eine sehr schnelle, robuste gesellschaftliche Diskussion zur Folge haben: Was sind wir bereit, für eine liberale westliche Welt einzusetzen?

Dabei fehlt mir gleichzeitig auch das Selbstbewusstsein dieser liberalen Demokratien: Bei allen Problemen, die es hier zweifelsohne gibt, garantieren sie immer noch die bestmöglichen breitgestreuten Lebensbedingungen, ihre Metropolen sind immer noch die globalen Sehnsuchtsorte – das lässt sich schon an der Zahl der von reichen Russ:innen besessenen Immobilien in London oder New York ablesen. Wir sind nicht die Bittsteller bei den Illiberalen.

Weiteres, im Sinne von: Anderes vielleicht in der nächsten Woche. Für die kriegsbedingte Verspätung der heutigen Ausgabe bitte ich um Entschuldigung.

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