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Hallo,

in den USA hat ein gewisser Jason Allen mit einer AI-generierten Arbeit einen Kunstpreis gewonnen. Und zwar den 1. Preis der Colorado State Fair: 300 Dollar. Es handelt sich um eine Gemälde-Simulation, auf Leinwand ausgedruckt, die ordentlich an der Wand hängt und an die Kunst der Renaissance erinnern will. Angefertigt wurde sie mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz „Midjourney“ auf Discord, einer Chat-Plattform, auf der sich unter anderem Neo-Nazis vernetzen – quasi im Darknet also. Interessant.

I.

Ich war dann auch im Quasi-Darknet und habe die AI von Midjourney für mich Malerisches errechnen lassen, und zwar einen Tree of Heaven. Hier ist das Ergebnis:

Der Tree of Heaven (Ailanthus altissima) heißt auf Deutsch Götterbaum. Bei mir um die Ecke steht ein gigantisches Exemplar. Vor dem Pflegeheim:

Ziemlich baumig. Die Schösslinge des Götterbaums schießen hier in Berlin aus jeder zweiten Mauerritze, oft überfraushoch, und sehen so aus:

Ailanthus kommt aus China und Nordvietnam, wächst extrem schnell, hält Sonne und Trockenheit aus, soll aber stinken, und zwar angeblich nach Sperma. (Vor dem Pflegeheim war nichts davon zu spüren.) Ist er einmal da, wird man ihn kaum wieder los, und wenn man ihn fällt, treibt er aus den Wurzeln um so heftiger wieder aus.

In meiner Straße verkümmern die Linden eine nach der anderen. Bald ist sie ganz kahl, im Sommer ist es dann dort noch sonniger und noch heißer. Ailanthus könnte bei mir vor der Tür vermutlich sehr schnell für ein besseres Mikroklima sorgen. Leider ist das kein deutscher Baum, der seit Jahrhunderten besungen und mit Mythen umsponnen wird, sondern ein stinkender Einwanderer. Es gibt keine Gedichte von Klopstock über Gefühlsaufwallungen unter dem Götterbaum. Ailanthus gilt als invasive Art (und gehört laut Wikipedia in dieser Kategorie sogar unter die „Top 100“); es gibt zahllose Anleitungen zu seiner Bekämpfung. (Am besten gleich mit Glyphosat.)

Der Hauptvorwurf an die invasiven Arten lautet, dass sie einheimische Arten verdrängen. Wenn einheimische Arten aber der Klimakatastrophe nicht mehr gewachsen sind und absterben – was nützt es da, den möglichen Ersatz zu verteufeln?  Unsere guten deutschen Bäume verrecken in der Hitze, und jetzt kommt plötzlich dieser vor ein paar hundert Jahren aus China eingeführte Baum daher. Und das Problem ist, dass er – wächst? Nein, das ist nicht alles, er setzt auch, hinterhältig wie die Ausländer eben sind, Chemikalien frei, die das Wachstum anderer Pflanzen hemmen. Unerhört. Das tut allerdings auch der superheimische, schon auf mittelhochdeutsch besungene Mangold.

Es könnte natürlich sein, dass es einfach nur darum geht, Veränderung abzuwehren und die Wirklichkeit, in der wir leben, zu leugnen.

II.

Apropos AI – also Künstliche Intelligenz: Neulich bin ich einem Hinweis auf Twitter gefolgt und habe mir angesehen, was es an Möglichkeiten gibt, sich online von einer AI Texte erstellen zu lassen. Um es mal vorwegzunehmen: sehr weit. So weit, dass wir unseren Begriff von Autor*innenschaft als implodiert betrachten können, jedenfalls für den englischen Sprachraum.

Da gibt es Jenni: „You Write, Jenni Completes, - Supercharge your writing with the most advanced autocomplete. - Loved by students from top Universities“. Jenni braucht einen Absatz Text und schreibt ihn dann in deinem Sinne, den die künstliche Intelligenz errät, weiter. Ich habe es mit einem Absatz von Henry James versucht, amerikanisch-britischer Großschriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts, viele Nebensätze. Jennis Henry James las sich auf staunenswerte Weise authentisch.

Noch lustiger ist die Plagiats-Erleichterungsplattform QuillBot, ein „Paraphraser“. Was immer man in das Textfeld eingibt, formuliert QuillBot sekundenschnell um. Jedes geklaute Zitat für deine wissenschaftliche Arbeit macht er unkenntlich, und du kannst dir eine ganze Doktorarbeit zusammenklauen, ohne dass ein Plagiatsjäger dir noch auf die Schliche kommen könnte.

Das ist der rasende Wertverlust der Autorschaft alter Schule, dieser alten deutschen Eiche unserer Kultur. Und wem soll man noch trauen, wenn man nicht mehr darauf vertrauen kann, dass der Gewinner des Kunstpreises der Colorado State Fair sein Bild selbst gemalt hat? Dass er es sich aus dem Herzen gerissen hat, dass es seiner Persönlichkeit entwachsen ist, dass es quasi das Ringen seiner Persönlichkeit mit Maltechnik, Kunstgeschichte und gesellschaftlichen Ansprüchen gültig abbildet?

Ich bin von alldem persönlich betroffen. Als Autor und Übersetzer gründet sich mein ganzer Lebensunterhalt auf den alten Autor*innenschafts-Begriff. Und jetzt – Veränderung. Man möchte dafür sein, und dann wird man kalt von ihr erwischt. Wirklich hinterhältig. Auf meinem Schreibtisch ein sterbender Autor*innenschaftsbegriff, vor meinem Fenster sterbende Bäume.

III.

Wie es jetzt weitergeht? Nach deutschem Modell mit der Entstehung von Sekten, die trotzig die alten Werte verteidigen, die alten Bäume, die alten Entstehungsvorschriften für Bilder und Schriften. Während die Zeit an uns vobeirauscht, ketten alte Männer sich an Kastanien und Handke-Gesamtausgaben. Die „Abgehängten“.

Dabei gibt es ja schon nichts mehr zu verteidigen. Künstliche Intelligenz hat längst Fakten geschaffen. Genietum wird es an ihr vorbei nicht mehr geben. Und die Klimakatastrophe hat auch schon Fakten geschaffen. Der Wandel unserer Ökosysteme ist im Gange, ob wir wollen oder nicht.

Wollen wir in der Gegenwart leben, oder uns an die Vergangenheit klammern und alles kaputt machen? Ist das nicht die eigentliche Grundfrage der culture wars?  Und: Welche Generation soll das entscheiden? Hoffentlich nicht meine.

IV.

Dieser Text stammt wirklich von mir ganz persönlich. Großes Ehrenwort. Obwohl es schon ein klein wenig egal ist. Was bedeutet, dass es eigentlich schon immer ein bisschen egal war. Die Implosion der Bedeutung des Großschöpfertums setzt sich auch in die Vergangenheit fort und „Ich“ war nie so wichtig, wie wir dachten.

Trotzdem: Danke fürs Lesen, danke fürs Weitersagen und danke fürs Abonnieren, wenn das Geld reicht.

Und übrigens: Ich bin dafür, dass das Patriarchat zerstört wird!

LINKS UND VIDS

Die Washington Post über künstliche Kunst:

https://www.washingtonpost.com/technology/2022/09/02/midjourney-artificial-intelligence-state-fair-colorado/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Der Götterbaum in Arizona:

https://www.youtube.com/watch?v=Oayt7eru2nc (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Jenni schreibt für dich:

https://jenni.ai/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

QuillBot schreibt für dich um:

https://quillbot.com/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

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