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Die andere Seite des Horizonts

Western bei Regen/Hachmeisters “Hitlers Interviews”/Nothomb&Beigbeider

Seit ich ein Kind bin, schaue ich westwärts. Von dort kommt das Wetter für die französische Atlantikküste, wo ich alle Ferien verbracht habe und noch verbringe. Wenn es schlecht zu werden drohte, vertraute meine Großmutter auf die Weisheit der Fernseh-Programmplanung im fernen Paris: “Es regnet, da werden sie uns am Nachmittag einen Western zeigen.”

So lief das damals: Alle französischen Kinder hatten zeitgleich Ferien, zeitgleich Regen und der einzige, zentral gesteuerte Fernsehsender griff beherzt ein gegen Langeweile. Meine Großmutter liebte einen schönen Strandtag, mehr noch liebte sie Western.

All die Jahre später schaue ich immer noch nach Westen. Die ganze Welt verharrt in Erwartung des Ausgangs der US-Präsidentschaftswahl. Es ist wie beim Stopp-Tanz auf dem Kindergeburtstag: Erst wenn die Fanfaren der CNN Election Night Coverage erklingen, dreht sich die Welt weiter.

Ich glaube an eine Niederlage Trumps (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), denn bei allem Wahnsinn, den man in den USA bewundern und beklagen kann - einen kollektiven Untergangswunsch habe ich dort noch nie festgestellt. Eine Koalition von Taylor Swift bis Mitt Romney, von Dick Cheney bis Arnold Schwarzenegger, das sollte genügen. Aber nach der Wahlnacht 2016 ist der Spaß an Prognosen verflogen und man muss sich der Sache ungefiltert stellen.

Wenn ich der neuen Welt den Rücken zudrehe und nach Europa schaue, erkenne ich verpasste Chancen. Emmanuel Macron und Olaf Scholz hätten Geschichte schreiben können, gemeinsam. Sie hatten die Chance, nach Corona und dem Überfall Russlands auf die Ukraine Europa gemeinsam in die neue Zeit zu führen, unabhängig zu machen von Russland und USA, aber es ist ihnen nicht gelungen. Groß versucht haben sie es auch nicht. Ich kenne niemanden, der in die beiden noch Hoffnungen setzt. Beide Männer weisen beeindruckende Qualitäten auf, sind nicht korrupt, sondern dem Gemeinwohl ganz und gar verpflichtet. Aber sie haben es nicht hinbekommen, in strategischen Fragen konsequent als deutsch-französisches Duo zu agieren und aufzutreten. Das war aber die Erfordernis des historischen Moments, nun zieht jeder für sich seine letzten politischen Kreise.

Gewinnt Trump, wird er Europa gnadenlos erpressen. Die radikale Rechte kommt in noch mehr Ländern an die Macht und man wird in uns Zeitgenossen nur SchlafwandlerInnen sehen.

Gewinnt die Vizepräsidentin, beginnt die Zeit der Frauen in der Weltpolitik. Dann sehen Kanzler und Präsident erst recht alt aus.

Also schauen wir weiter nach Westen.

Mitte des Monats reiste ich nach Köln, zur Beisetzung von Lutz Hachmeister auf dem Melaten-Friedhof. Immer wenn er sich über zu viele Termine, Aufträge und Projekte beschwerte, seufzte er Bald lieg ich auf Melaten - und nun ist es tatsächlich soweit. Jedes Gespräch mit ihm schwebte auf Gelächter. Kaskaden und Kaskaden seines keckernden Lachens, als sei das Leben unfassbar komisch. Einmal hatte ich ihm einen Beitrag für einen Sammelband zugesagt, augenblicklich vergessen und wegen mir geriet das ganze Werk in Verzug. Es kam also zu einem Wo-bleibt-der- Text-Anruf, während dem er sich ohne Pause amüsierte und lachte.

Auch auf seiner Trauerfeier wurde gelacht. Hachmeisters gute Freundin Sabine Sasse gehörte zum Autorenteam, das beim Schreiben der vielen Hachmeister-Titel mitarbeiten durfte. In ihrer schönen Rede sagte sie: “Du hättest die Bücher locker alleine schreiben können. Aber Du wolltest ja immer nur von 9 bis 12 arbeiten, mit der Begründung: “Was man nicht in drei Stunden schafft, schafft man auch nicht in acht!”

Nun erscheint postum sein neues Buch, angesiedelt an der Kreuzung zwischen Mediengeschichte, Zeitgeschichte und Roman.

Zu Beginn ihres Gesprächs im Restaurant Lapérouse stellen die Schriftstellerin Amélie Nothomb und der Schriftsteller und Moderator Frédéric Beigbeder fest, dass sie miteinander verheiratet sind. Es stimmt nicht, aber sie wiederholen es dauernd. Nothomb kommt, um ihr 33 tes Buch vorzustellen. Jedes Jahr schreibt sie eines, immer mit der Hand. Diese Arbeit sei nötig, um ihren Verstand noch in der Wirklichkeit zu verankern, erklärt sie.

Dann versichert der Gastgeber seiner Autorin: “Es besteht keine Gefahr, dass Sie verrückt werden, denn Sie sind es bereits!”

“Das beruhigt mich sehr!”

Es geht um das Reisen und Nothomb merkt an, dass sie Abreise und Rückkehr gleichermaßen hasst, ja unmenschlich findet. Sie würde lieber nicht verreisen, hält es aber nirgends aus.

Ist die beste Art, ein Kunstwerk zu würdigen, es anzuzünden und abzufackeln? Der Gedanke wird wohlwollend erörtert.

Dabei wird Champagner getrunken. Später sinnieren sie über freudianische Implikationen des Nachnamens Nothomb. Sie deutet ihn im Sinne der Unmöglichkeit einer Grabstätte – no tomb, denn sie kann englisch. Beigbeder versteht den Namen ganz anders, französisch als gemeinsames Grab: nos tombes. Diese Lesart höre sie jetzt aber zum ersten Mal, gesteht Amélie Nothomb erschüttert und leert daraufhin die Champagnerschale des Gastgebers. Ein Gespräch voller Unsinn und Leichtigkeit. Zwischendrin wird gesungen. Auch so kommt man durch das Leben. Dafür gibt es Kultur.

https://www.youtube.com/watch?v=NRwT00-oJJQ&t=503s (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

In den Videos der legendären Maité geht es zur karnivoren Sache. Zu Beginn freut sich das schöne Huhn noch, im Mittelpunkt zu hocken und gestreichelt zu werden, bald danach wird es Off-Camera vom Leben zum Tode befördert. Heute sind solche Sendungen in dem Punkt smoother, oder eben unaufrichtiger.

Poulet basquaise jedenfalls kann man gar nicht oft genug zubereiten.

https://www.ina.fr/ina-eclaire-actu/video/i00006694/poulet-basquaise-et-piperade (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Aus Anlass des Besuchs und auf Wunsch einer gewissen vegetarischen Tochter sei allerdings auch dieser Hinweis angefügt. Wir blicken ja heute nach Westen und freuen uns auf unendliche Party ab Mittwoch:

https://www.nytimes.com/2024/11/01/dining/3-course-vegetarian-dinner-party-menu.html (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

PS: Derzeit haben etwa 10% der Leserinnen und Leser eine Mitgliedschaft abgeschlossen, die es mir erlaubt, die Zeit für den “Siebten Tag” von anderen Aufträgen freizuhalten. Ich freue mich, wenn es noch mehr werden.

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