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Abflug zur Sonne

Universitäten/Françoise Gilot und ihr Ex/Elton John/Maïté

In der letzten Woche besuchte ich nach langer Zeit wieder die Universität des Saarlandes in Saarbrücken, wo ich studiert habe. Leider tat ich das in einer Zeit großer Arbeitslosigkeit und die Frage, was man danach mal arbeiten würde, kam jeden Tag auf. Die Universität selbst war damals völlig losgelöst von der Außenwelt, der Bundesrepublik und dem Arbeitsmarkt, aber auf eine poetische Art. Heute ist es in Hinsicht der Jobaussichten natürlich viel besser, aber immer noch so romantisch weltverloren. Man sieht Hummeln an Lavendelbüschen und Poster, die für ambitionierte Vorlesungsreihen werben. Ein besonderer Ort ist das Innere der riesigen Richard Serra Skulptur Torque, die gleich an der Einfahrt des Campus steht und Erde und Himmel miteinander verschraubt. Manche kommen mit einer Stimmgabel und klopfen damit kurz an diese mächtigen Stahlplatten, dann erklingt ein überirdisch reiner Ton als wäre diese riesige Skulptur ein Instrument. Und wenn man von unten direkt in die Höhe blinzelt, meint man, gleich Richtung Sonne abzuheben, so dynamisch hat Serra die tonnenschweren Elemente zueinander aufgestellt.

Ich war zu Gast im akademischen Senat, ein Gremium, das ich einst als Studierendenvertreter kennengelernt hatte. Damals waren fast alle anwesenden Männer und trugen Anzug und Krawatte. Jetzt waren die meisten im Saal weiblich und ich entdeckte eine einzige Krawatte, dafür viele Shorts und Tattoos. Die Frage war, wie diese Uni mehr Studierende anwerben könnte. Ich erzählte vom Anruf eines Headhunters, der mich neulich ereilte – der erste und hoffentlich letzte in meinem Leben. Der Mann googelte, während wir sprachen, meinen Namen und reimte sich irgendetwas zusammen. Beauftragt hatte ihn eine private Hochschulfirma aus der Hölle, die im Frankfurter Raum eine Niederlassung betreibt. Die jungen Leute zahlen dort sehr hohe Gebühren und was ich auf der Website lesen konnte, war erschreckend: Schmalspurausbildung mit viel Jargon, ein Fall für das historische Eduard Zimmermann-Format Nepper Schlepper Bauernfänger.

Dabei sind die öffentlichen deutschen Unis mit ihren nahezu kostenlosen Studiengängen, den sehr guten Berufsaussichten und einem motivierten Personal so etwas wie ein Weltwunder. In den USA müssen sich Familien verschulden, um die Kinder akademisch ausbilden zu lassen und in Frankreich geht kaum etwas ohne eine Grande École. (Falls Sie also gerade Abitur gemacht haben oder junge Leute kennen, die noch suchen: Ein geisteswissenschaftliches Studium beispielsweise in Saarbrücken an der französischen Grenze, wo die Mieten erschwinglich sind und das Leben angenehm, ist ein denkbar guter Start.)

Es wäre gut, die deutschen Hochschulen würden sich wieder mehr ins Licht der Öffentlichkeit wagen. Die Debatten um Corona und den russischen Überfall auf die Ukraine haben gezeigt, dass es eine Krise der öffentlichen Intellektuellen in Deutschland gibt. Ein Richard David Precht, eine Ulrike Guérot und viele andere können sich auch nur deshalb so breit machen, weil die ernstzunehmenden DenkerInnen, die akademischen Profis, sich zurückhalten mit öffentlichen Einmischungen.

Im Kontext der Vorwürfe gegen die Band Rammstein ist es gut, sich noch mal mit dem Bild des genialen Künstlers zu beschäftigen. Einerseits erlaubt diese wichtige symbolische Figur relevante Stellungnahmen – Thomas Mann gegen Hitler, Nabokov gegen Lenin und Co, Arthur Miller gegen McCarthy etc. – andererseits eignet sich so ein Geniestatus für Machtmissbrauch aller Art. In der auf Arte noch abrufbaren Dokumentation über das Paar Picasso/Françoise Gilot gibt es jede Menge Material, um über diese Frage nachzudenken. Picasso drückt ihr einmal seine brennende Zigarette ins Gesicht. Und lange Jahre war sie als Person und als Malerin völlig vergessen, langsam ändert es sich. Ihr Tod in der vergangenen Woche führt zu einer neuen Beschäftigung mit Frau und Werk. Irgendwann, sagt Gilot, hatte Picasso einen Status als weiser Mann "wie der Dalai Lama", dessen Sentenzen jeder sofort zustimmte. Er hatte eben, sagt sie, niemanden mehr, der mal Nein sagte. Außer ihr.

https://www.arte.tv/de/videos/095167-000-A/pablo-picasso-francoise-gilot/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

In diesem Zusammenhang sei nochmal auf die wunderbare Autobiografie von Elton John hingewiesen, die unter dem kurzen Titel "Ich" erschien. Er verdeutlicht, dass das ziemliche perverse popkulturelle Starsystem auch für diejenigen, die scheinbar ganz oben sind, lebensgefährlich ist – weswegen so viele seiner Kolleginnen und Kollegen das Rentenalter nicht erreicht haben. Drogen, Exzesse, Süchte und asoziales Gebaren – Männer wie George Michael oder Michael Jackson fanden eben niemanden mehr, der mal Nein sagte.

https://www.spiegel.de/politik/sag-ja-zu-taylor-swift-a-86407b3d-0002-0001-0000-000167212706 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Prominenz ist eine historische Kategorie: Früher waren Piloten und Raumfahrer wie Charles Lindbergh und Juri Gagarin die berühmtesten Menschen der Welt, aber niemand kannte ein Model. In der Politik kann man beobachten, dass jene Länder, deren Regierende nahezu unbekannt sind, wie Finnland, Norwegen und die Schweiz, im Glücksindex ganz weit oben rangieren. Der ganze Zirkus aus Stars und Medien ist nicht sehr alt, gerade mal siebzig Jahre und kommt vielleicht an sein Ende.

"Erstmal brauchen wir Armagnac! "Wenn Maïté ein Huhn zubereitet, ist das nichts für schwache Nerven. Ihre Karriere begann rein zufällig in den achtziger Jahren. Davor arbeitete die 1938 geborene Charismatikerin Marie-Thérèse Ordonez bei der Bahn als Station-Ansagerin und Streckenaufsicht, die die Arbeiter per Hornsignal vor ankommenden Zügen warnt. Während einer Reportage über das Leben in der Provinz wurde sie entdeckt, da kochte sie gerade für die örtliche Rugby-Mannschaft. Sie wurde Fernsehköchin in der Sendung La Cuisine des Mousquetaires und ist bis heute das Symbol für den Südwesten Frankreichs und folglich für das gute Leben schlechthin.

https://www.youtube.com/watch?v=FEMImkO8yJQ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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