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Der Kopf muss dran bleiben

Herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe. Wir befinden uns mittlerweile im Juli. Das Wetter, ach, was soll man über das Wetter noch sagen? Oder möchte es vielleicht selbst einmal zu Wort kommen. Ja? “Ich möchte nicht ständig kritisiert werden”, so das Wetter. Na gut. Während der heutigen Ausgabe warte ich auf meine neue Waschmaschine. Die langersehnte neue Waschmaschine. Die alte geht gleich mit weg. Lieferzeit zwischen 7:00 Uhr und 19:00 Uhr. Dann starten wir mal mit dem Newsletter. Halli und hallo!

Artikel

»Die Geschichten in uns« von Benedict Wells

Vorabdruck in der NZZ

Er ist so ein Autor, der einen im Leben begleitet. Mich begleitet er jedenfalls verlässlich. Benedict Wells. Alle paar Jahre erscheint ein neues Buch, hier und da liest man ein Interview, vielleicht erscheint ein Porträt über ihn oder er sitzt in einem Podcast. Es ist so dermaßen überschaubar, dass ich recht schnell darauf aufmerksam werde. Zwei Mal hatte ich das Vergnügen, Benedict Wells zu treffen. Einmal trug ich dabei ein schönes Abendkleid. Ich moderierte die Lesung. Es ist jene Geschichte, die ich gerne erzähle. Ich befürchte auch in diesem Newsletter. Benedict Wells hat mir ein Kompliment in meinem Kleid gemacht. “Wow”, sagte er. Also ich glaube, er sagte Wow. Aber da will ich jetzt wirklich nicht angeben. Ich will angeben.

Weitermachen.

Vor zwei Wochen erschien ein Vorabdruck seines neuen Buches in der Neuen Züricher Zeitung. Ich muss sogleich enttäuschen. Mittlerweile befindet sich der Artikel hinter einer Paywall (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Mist, dachte ich heute Morgen. (Wegen der Waschmaschine bin ich schließlich schon seit Viertel vor sieme wach.) Meine armen Newsletter-Freunde, die wahrscheinlich auch kein Abo haben, seufzte ich. (Bei der Zeit und SZ verhält es sich anders.) Mist, mist. Die ersten Seiten aus dem neuen Buch sind berührend. So berührend, ich trug die Sätze tagelang mit mir rum. Benedict Wells öffnet also Türen, die bisher verschlossen waren. Er erzählt von dem Namen von Schirach, den er ablegte. Er erzählt von der prekären Lage, in der er sich als Kind und später auch als Jugendlicher oft befand. Die Eltern getrennt, die, so findet er, eigentlich nichts gemeinsam hatten, außer ihrer Liebe zu Taiwan. Die Mutter, so viel weiß man, litt unter einer psychischen Erkrankung. Es hat ihn maßgeblich geprägt. Am nächsten Tag stand ich vor meiner Kollegin und erzählte ihr, wie sehr es mich mitnehme. Und wie eigenartig es sich anfühlt, plötzlich Antworten auf Fragen zu bekommen, die ich jahrelang gerne beantwortet bekommen hätte. Natürlich hat Benedict Wells bestimmt kein “Ich erzähle euch alles”-Buch geschrieben. Es wäre nicht das Buch, das ich von ihm lesen wollen würde. Aber ein bisschen mehr durchzusteigen, warum »Vom Ende der Einsamkeit« vielleicht das Buch ist, welches es ist (oder auch nicht), nun, darauf bin ich gespannt. Und natürlich auf den Prozess seines Schreibens. Das Cover gibt jedenfalls ein Versprechen ab. Es geht um Benedict Wells. Er ist vorne drauf.

Es ist das erste Mal, dass ich als Autor an diese Orte zurückkehre. Etwa in das alte Kinderzimmer in München, Ende der Achtzigerjahre. Durch den milchigen Schleier der Erinnerung betrachte ich den Fünfjährigen, der im Stockbett unten schläft. Haare zerzaust, Mund offen, so vieles, was er nicht weiss. Die Welt noch ein winziger Ort, sie reicht vom Hof bis zum Kindergarten, dann franst sie bereits aus. Nächstes Jahr wird er nach der Trennung der Eltern in die Schweiz ziehen, aber nur für wenige Monate. Danach wird er wieder in diesem Bett liegen, zumindest in den Ferien.

Aus »Die Geschichten in uns«

Was ich mit mir abgemacht habe: Das Buch erscheint im Juli. Ich werde es mir sofort kaufen, aber erst aufschlagen, wenn ich die Neugier in mir soweit runtergefahren habe, diese hässliche Gier nach allem Wissenwollen, sodass ich mich total dafür aufmachen kann, was Benedict Wells erzählen möchte und wie. Ich habe mein Ehrenwort.

Anmerkung der Redaktion: »Die Geschichten in uns« von Benedict Wells, erscheint bei Diogenes am 24.07.2024 für 22,99 Euro. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Screenshotperle

Benedict Wells in Potsdam am Abend des EM-Deutschlandspiels gegen Spanien. Neben ihm Denis Scheck. Eine Leserin bot mir in letzter Minute ein übergebliebenes Ticket an. Ich schaffte es nicht mehr dorthin. Vielen Dank, liebe Maren, dass ich das Trostfoto teilen darf.

INSTA LIVE MIT EVA ROTTMANN

Wer sind denn eigentlich DIE Jugendlichen?

Das fragte Eva Rottmann, die viel ausgezeichnete Schriftstellerin, mit der ich am Donnerstagabend live bei Instagram darüber sprach, warum Jugendbücher eigentlich von allen gelesen werden können. Dem ist nämlich nicht so. Also gehen wir der Frage nach, ob es vielleicht auch daran liegt, dass unser Blick auf Jugendliche, uns daran hindert.

Hier ein Auszug aus unserem Gespräch:

Eva Rottmann: Jugendliche, das ist keine homogene Gruppe. […] Also Jugendliche sind Menschen. Man fängt ja nicht erst mit 18 an,  ein Mensch zu sein und eine Persönlichkeit zu entwickeln. Das geht natürlich schon viel früher los. Von Geburt an eigentlich. Menschen sind unterschiedlich und deswegen kann man die nicht so über einen Kamm scheren. Ich bin gar nicht für die Abschaffung von Genres, man muss sich ja irgendwo zurecht finden, aber es ist trotzdem das einzige Genre, wo sich die Bezeichnung nicht nur auf den Inhalt bezieht, sondern nur ein Publikum meint und damit andere ausschließt. Ich glaube, dass das Quatsch ist. Ein gutes Kinderbuch kann man auch mit 60 noch lesen.

Ich: Das stimmt, was du da sagst, weil man sich teilweise ein bisschen dafür entschuldigt, dass man jetzt ein Jugendbuch liest. Als wäre es verpönt. Warum sollte man sich mit dieser Perspektive auseinandersetzen wollen.

Da hat Eva Rottmann wirklich einen guten Punkt. Wir sprechen noch ein wenig weiter, dann kommen wir zu einem anderen Aspekt, der auch bei Jugendlichen oft übersehen wird. Die Psyche. Zunächst wollte ich aber noch wissen, welche Perspektive Eva Rottmann denn eigentlich am meisten interessiert.

Eva Rottmann: Bei den Figuren, die ich erfunden habe, gab es ganz unterschiedliche Interessen. Beim Schreiben entsteht dann eine Figur, die wird irgendwie wichtig. Ich fange an, mich für ihre Lebenswelt zu interessieren, dann gehe ich mit der mit und sie irgendwann mit mir.

[…]

Eva Rottmann hat »Mats & Milad« geschrieben, es gibt außerdem noch ein Buch ab 6 »Die Prinzessin, die auszog, den Prinzen zu retten«, bevor schließlich »Kurz vor dem Rand« erschien, mit dem sie jetzt so durch die Decke geht. Im September erscheint ihr neues Buch »Fucking fucking schön«. Alle Infos zu den Büchern gibt es bei Jacoby & Stuart (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), der Verlag für den ich seit Juni arbeite.

Eva Rottmann: Wenn ich meine Bücher runterbrechen müsste, dann würde ich sagen, es geht um Kommunikation. Wie wichtig es ist, dass man über seine Gefühle und sein Innenleben spricht. Für eine psychische Gesundheit, für eine Stabilität im Leben. Freunde und Zusammenhalt. Eben einfach irgendeinen Anschluss im Leben finden.

Das holt mich natürlich ab. Ich nicke und nicke und nicke. Psychische Erkrankungen und Krisen sind für mich ebenfalls immer präsente Themen.

Ich: Diese psychischen Erkrankungen, die auch bei Jugendlichen auftauchen und da sind wir wieder bei dem, wie wir Jugendliche wahrnehmen. Die haben natürlich tiefgreifende Probleme, die oftmals abgetan werden mit so einem „Das verwächst sich alles irgendwie schon noch“.

Hier hätte ich auch gerne noch Kinder mit eingeschlossen, aber im Eifer des Gefechts kam mir der Einschub nicht. Dass Eva Rottmann das Thema der psychischen Erkrankungen in ihrem Buch »Kurz vor dem Rand« aufgenommen hat, finde ich entlang ihrer Geschichte genau richtig platziert. Betroffen ist nicht die Hauptfigur selbst. Die knapp 17-jährige Ari muss sich als Angehörige damit auseinandersetzen.

Das komplette Gespräch mit Eva Rottmann gibt es hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Am nächsten Tag waren wir im Verlag übrigens alle absolut begeistert, was Eva Rottmann für eine großartige Vorleserin ist. (Etwa nach einer halben Stunde des Gesprächs.) Noch ein schöner Satz:

Bob sagt, ich kann so viel heulen, wie ich will, ich hätte auch allen Grund dazu.

Aus »Kurz vor dem Rand«

Ihr Lieben, es ist 13:26 Uhr. Mittlerweile wurde die Waschmaschine geliefert. Zwei sportlich aussehende Männer trugen sie zur Tür rein. Jetzt steht sie im Kinderzimmer. Die alte ließ sich nicht aus der Küchenzeile entfernen, die Schubladen zu den Schläuchen nicht rausnehmen, überhaupt brauche ich eigentlich noch einen viel längeren Schlauch. Darum hätte ich mich wohl mal vorher besser gekümmert. Sagte jedenfalls einer der beiden Männer. Jetzt habe ich zwei Waschmaschinen. Ich schlug mir erst gegen den Kopf, nachdem die Herren wieder raus waren. Ein Problem für nächste Woche, habe ich nun entschieden. Nicht vergessen: Morgen bin ich auf dem Bilderbuchfest der Buchbox am Helmholtzplatz. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Auf der Bühne oder am Verlagsstand von Jacoby & Stuart. Viele Grüße! Judith Poznan

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