Darum fehlt Freital Geld vom Landkreis
Millionen-Defizit beim Kreis wegen steigender Ausgaben für ÖPNV, Familien, Pflege, Wohngeld, Migration und Personal
Für den Jugendtreff “Hafenkante” reicht es nicht.
Es klingt nach abstrakten Zahlen – doch die Schließung des Jugendtreffs „Hafenkante“ in Potschappel (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hat gezeigt, was die Finanzkrise des Landkreises wirklich bedeutet: Sie hat unmittelbare Folgen für Menschen auch in Freital. Doch auch ihre Ursachen haben mit Menschen zu tun. Mit einem Fehlbetrag in Höhe von 37,2 Millionen Euro rechnet der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge in seinem neuesten „Bericht zum Vollzug des Haushaltsplanes“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)zum Stichtag 30. Juni für das laufende Jahr – 16,9 Millionen Euro mehr als geplant.
Freital-Reporter hat die Zahlen analysiert.
Mehr Geld für ÖPNV
Busse, S-Bahnen und Fähren im Landkreis werden in diesem Jahr Zuschüsse von voraussichtlich 27,3 Millionen Euro benötigen – 4,5 Millionen Euro mehr als geplant. Die Kostentreiber sind die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stark gestiegenen Energiepreise und die damit verbundene Inflation, die die Tariflöhne steigen ließ. Der kreiseigene Regionalverkehr Sächsische Schweiz-Osterzgebirge verzeichnet zum Stichtag 31. Mai 2024 einen Fehlbetrag in Höhe von 1,4 Millionen Euro – doch das seien 108 000 Euro weniger als geplant, so das Landratsamt in seinem Bericht. Ursache seien die wieder sinkenden Diesel-Preise und das verzögerte Inkrafttreten des neuen Tarifvertrages.
Mehr Geld für Familien und Jugend mit Problemen
Um Familien, Kindern und Jugendlichen in schwierigen Erziehungssituationen zu helfen, zahlt der Landkreis ambulante oder stationäre Hilfen. Das kann eine sozialpädagogische Begleitung sein oder die Unterbringung in einer Wohngruppe. 115,1 Millionen Euro wird der Landkreis nach seiner aktuellen Prognose 2024 dafür ausgeben müssen – 19 Millionen Euro mehr als geplant. Das Defizit in diesem Posten steigt um 3,7 Millionen Euro.
Und das trotz sinkender Fallzahlen und trotz ständiger Bemühungen des Kreises, die Kosten zu dämpfen. Die Löhne aber steigen. Getrieben werden die Ausgaben nach Angaben es Landkreises „durch Inflation, Fachkräftemangel und erweiterte bundesgesetzliche Ansprüche an verpflichtende Leistungen der Jugendhilfe“. So haben seit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz 2021 auch junge Erwachsene bis ins Alter von 21 Jahren Anspruch auf Hilfen zur Erziehung. Allein das sorgt für 1,3 Millionen Euro mehr an Kosten als geplant.
Mehr Geld für Pflegebedürftige
Der Anteil älterer Menschen steigt in der Bevölkerung. Immer mehr von ihnen benötigen Pflege – und zugleich steigen die Gehälter der Pflegekräfte, auch wegen des Fachkräftemangels. Eine Reform der Pflegekassen, die mehr Geld ins System bringen würde, gelingt seit Jahren nicht auf Bundesebene. Das Ergebnis: Immer mehr alte Menschen können ihre Pflege nicht mehr mit ihrer Rente oder ihrem Vermögen bezahlen. Dann muss der Landkreis einspringen. Und dessen Kosten explodieren. 5,9 Millionen Euro wird er voraussichtlich in diesem Jahr für die Hilfe zur Pflege von alten Menschen ausgeben müssen – 2,9 Millionen Euro mehr als geplant.
Mehr Geld für Migranten
Die Zahl der Asylbewerber steigt im Landkreis wie überall in Deutschland. Lebten Anfang letzten Jahres 1677 Geflüchtete in der Region, waren es Ende Juni 2375. Und damit steigen auch die Kosten für den Landkreis. 10,9 Millionen Euro muss er voraussichtlich 2024 für Migranten mehr ausgeben als geplant, 27,4 Millionen Euro insgesamt. Zwar zahlt der Bund für sie auch 7,9 Millionen Euro Zuschüsse mehr – aber das fängt die Kostensteigerung bei weitem nicht auf, auch weil die Landkreise zehn Prozent der Kosten selbst tragen müssen. Es bleibt ein Minus von 2,9 Millionen Euro.
Höhere Gehälter
Seit dem letzten Jahr stiegen die Löhne im öffentlichen Dienst angesichts der Inflation und nach Streiks deutlich – um bis zu 10,5 Prozent. Für seine 1141 vollen Stellen muss der Landkreis in diesem Jahr nach seiner Prognose 2,5 Millionen Euro mehr zahlen als geplant. Für Kürzungen sieht das Landratsamt keinen Spielraum. „Einen weiteren Stellenabbau aufgrund des Aufgabenzuwachses in den unterschiedlichen Fachbereichen ist derzeit nicht möglich“, heißt es in dem Haushaltsbericht. „Zum Teil besteht eher ein Personalbedarf, um alle Pflichtaufgaben erfüllen zu können.“
Mehr Wohngeld
Für Menschen mit wenig oder gar keinem eigenen Einkommen übernimmt der Landkreis die Kosten der Unterkunft inklusive Heizung – mit 30,4 Millionen Euro rechnet das Pirnaer Landratsamt in diesem Jahr: 1,6 Millionen Euro mehr als 2023. Das liegt vor allem an der Erhöhung des Wohngeldes durch die Bundesregierung wegen der Inflation, aber auch am Zuzug von Geflüchteten.
Bekam eine Bedarfsgemeinschaft im Landkreis 2021 im Durchschnitt 296 Euro im Monat Wohngeld, werden es in diesem Jahr laut Prognose 373 Euro monatlich sein. Auch die Zahl der Bedarfsgemeinschaften im Landkreis insgesamt steigt trotz vieler offener Stellen und zurückgehender Arbeitslosigkeit 2024 wahrscheinlich auf über 6750. Von den 30,2 Millionen Euro Wohngeld im Landkreis werden voraussichtlich 5,7 Millionen Euro laut Landratsamt an ukrainische Kunden des Jobcenters gezahlt.
Da der Bund sowohl die Erhöhung des Wohngeldes wie auch die Migration bestimmt, zahlt er dem Landkreis 4,3 Millionen Euro mehr Zuschüsse – doch bei 6,2 Millionen Mehrausgaben bleibt dennoch ein Defizit in Höhe von 1,9 Millionen Euro.
Was kann der Landkreis dagegen tun?
Zunächst nur die Löcher stopfen. Denn über die Ursachen der Mehrausgaben wird in Berlin und Dresden entschieden. Zwar hat der Freistaat dem Landkreis nach langem Ringen 5,9 Millionen Euro mehr Zuschüsse gewährt – doch das reiche bei weitem nicht, so das Landratsamt. Der Kreistag hat im Februar und Mai die nicht zu vermeidenden Mehrausgaben genehmigt. Bereits im vergangenen Dezember wurde eine Haushaltssperre verhängt.
„Die Inanspruchnahme von Liquiditätskrediten ist wahrscheinlich“, schreibt das Landratsamt in seinem Bericht.
Was sagt die Freitaler Stadtspitze?
Peter Pfitzenreiter, der Erste Bürgermeister der Stadt Freital und Vorsitzende der „Konservativen Mitte“ im Kreistag, sieht die Verantwortung für diese Misere bei der Bundes- und Landesregierung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). „Ohne die kriegsverlängernden Waffenlieferungen, ohne die preistreibende Energiepolitik und ohne hilflose Asylpolitik hätten wir genügend Geld für wichtige Projekte im Landkreis. Die Bürger im Landkreis SOE bezahlen einen hohen Preis für die verfehlte Politik in Bund und Land“, kritisiert Pfitzenreiter.
„Ganz konkret fehlt das Geld beispielsweise für ein notwendiges Jugendzentrum Hafenkante in Freital. Es ist nicht zu vermitteln, dass unter anderem Geld für abschiebepflichtige Asylbewerber da sein muss, aber kein Geld für die Hafenkante in Potschappel“, so der Bürgermeister und Kreisrat weiter. Er hofft nach den Ergebnissen der Landtagswahl auf ein Umsteuern in Berlin und Dresden.
Andreas Roth
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