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Rammstein III: Wie viele Frauen braucht man für eine glaubwürdige Anklage?

Antwort: Keine. Weiß doch jeder, dass nur Männer glaubwürdig sind.

Im islamischen Recht, der Scharia, gibt es Vergewaltigung nicht als eigenständige Straftat (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), der Akt gilt als Ehebruch oder außerehelicher Geschlechtsverkehr. Dies schiebt die potentielle Schuld auf die Seite des Opfers, meist eine Frau, doch darum soll es hier nicht gehen. In der besagten Scharia muss eine Frau, die einen Mann der Vergewaltigung beschuldigt, entweder sein Geständnis oder - jetzt kommt's - vier männliche Zeugen beibringen, die ihren Vorwurf bestätigen. Beides ist für das Opfer einer Vergewaltigung, die ja meistens nicht gut sichtbar in der Öffentlichkeit, sondern ohne Zeugen begangen wird, praktisch unmöglich. Doch auch darum soll es hier nicht gehen, genausowenig wie um Kritik am islamischen Recht, ich erwähne es nur der Vollständigkeit halber (und möchte hier keine rassistischen Kommentare über muslimisch geprägte Migranten lesen).

Das Netzwerk gegen sexualisierte Gewalt "Jede 7te" postete dazu auf Instagram ein erschütternd treffendes Bild (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

In westlichen Ländern ist die Gleichbehandlung der Geschlechter dagegen gesetzlich verankert. Grundsätzlich sollte die Zeugenaussage einer Frau also das gleiche Gewicht und die gleiche Glaubwürdigkeit haben wie die eines Mannes. Dennoch konnte man in den Tagen seit dem Beginn der massiven Vorwürfe gegen Till Lindemann vor allem in den sozialen Medien gut verfolgen, wie viele Menschen (Männer?) genau das eben nicht finden. Dass das, was eine Frau, zwei Frauen, siebzehn Frauen sagen, nicht die gleiche Glaubwürdigkeit hat wie das, was ein (bekannter) Mann sagt.

Wie entsteht subjektive Glaubwürdigkeit, wenn es keine formalen Beweise gibt?

Seit Beginn der #MeToo-Bewegung beginnt es meist mit der Aussage einer Frau. One on one. Eine Partei sagt Schwarz, die andere Weiß. Aussage gegen Aussage. Ohne Möglichkeit, eine der Seiten prüfen zu können, stehe ich also vor einer unguten Patt-Situation, in der ich mich nur ganz subjektiv und spontan entscheiden kann, wen ich glaubwürdiger finde. Ich finde es nicht nur legitim, sondern im Sinne der Debatte sogar vorteilhaft, an dem Punkt noch gar nicht Partei zu ergreifen, sondern sich einfach zu informieren, wie es weitergeht.

Dann kommt eine zweite Frau mit ihrem Bericht, der die Aussagen der ersten Frau stützt. Dann noch eine Frau. Und noch eine. Alle Berichte sind in sich konsistent und stimmen in den Details miteinander überein. Das ist der Punkt, an dem nicht mehr Aussage gegen Aussage steht. Es ist nicht mehr one on one, sondern mehrere Frauen beschuldigen einen Mann teilweise fast wortgleich. Ich kann als Außenstehende zwar immer noch nicht prüfen, wessen Aussage stimmt, aber allein die Menge der betroffenen Frauen erhöht die Glaubwürdigkeit ganz ungemein. Und mit jeder Frau, die dazukommt, noch weiter. Denn ab einer bestimmten Menge von Opfern ist es für meine Entscheidung nicht mehr relevant, ob die Behauptungen der Frauen 7, 13 und 28 in allen Details belegbar sind.

Apropos Belege: In unseren digitalen Zeiten, in denen jede halbwegs digitalaffine Person flugs Screenshots von Gesprächsverläufen fälschen kann, ist für Außenstehende nicht leicht erkennbar, ob es sich um ein "Original" handelt. Aber auch hier gilt für mich: selbst wenn ein oder zwei Frauen aus welchen Gründen auch immer einen Screenshot gefälscht haben, halte ich die Wahrscheinlichkeit, dass alle Frauen jeden Screenshot gefälscht haben, für außerordentlich klein. Ziehen wir als kritische Geister also ruhig 30% von allen Anklagen ab oder für superkritische Geister 50%. Dann bleibt durch die schiere Menge an Frauen (ich glaube, die mediale Formulierung "Dutzende" gelesen zu haben) immer noch mehr als genug übrig, um die Beschreibung des Systems Lindemann für glaubwürdig zu halten. Einige der Frauen, die in den letzten Tagen mit Medien gesprochen haben, haben eidesstattliche Versicherungen über die Richtigkeit der gemachten Angaben abgegeben.

Für mich steigt also die Plausibilität von Vorwürfen mit der Menge von Menschen, die nach vorne treten und laut sprechen. Es ist schlichtweg eine Frage der Stichprobengröße, wenn mir die kleine biologische Analogie erlaubt ist. Die Ergebnisse, die ich mit einer Stichprobengröße von 5 herausbekomme, sind nicht so belastbar wie die, die ich mit einer Stichprobengröße von 373 bekomme. Ausreißer, falsch-positive und falsch-negative Ergebnisse können jede Deutung verzerren, weshalb es wichtig ist, so viele Proben wie möglich zu prüfen. Je mehr Proben, desto kleiner der verzerrende Effekt durch Fehler oder - um wieder zu Rammstein zurückzukommen - Fäschungen/fehlende Beweise.

Ich würde vermuten, oder hoffe zumindest, dass die meisten Menschen das ähnlich handhaben wie ich. Dass also die subjektiv empfundene Glaubwürdigkeit zunimmt je mehr Opfer sich melden.

Auftritt Katholische Kirche

Kehren wir noch einmal zurück zur Religion, diesmal dem katholischen Christentum. Über die letzten Jahre, beinahe Jahrzehnte gab es immer wieder Vorwürfe wegen systematischen Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche. Im Gegensatz zu dem Rammstein-Skandal waren dort aber nicht junge Frauen die Opfer, sondern Kinder, häufig Jungen, die als Messdiener oder Chorsänger tätig waren. In den meisten dieser Fälle haben die Opfer als Erwachsene ihr Schweigen gebrochen und die zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden Fälle öffentlich gemacht. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie ihre Vorwürfe nicht beweisen konnten. Die Vorwürfe waren schockierend, die Taten teilweise verjährt, die Beschuldigten erfolgten teilweise in öffentlichen Zeitungsartikeln. (Disclaimer: Ich habe es nicht minutiös verfolgt, weil ich mit allen Monotheismen spinnefeind bin, ob sie nun Kinder oder Frauen vergewaltigen.)

Vorhaltungen, wie sie weibliche Opfer in vergleichbaren Situationen zu hören bekommen - "Warum hast Du nicht früher etwas gesagt? Kann ja so schlimm nicht gewesen sein!" - gab es kaum. Zu recht gab es sie kaum, denn Opfer sexueller Gewalt müssen Raum bekommen, frei und ohne Angst zu sprechen. Es geht mir nicht darum, hier den einen Missbrauch gegen den anderen aufzuwiegen - das geht auch gar nicht, weil bei Rammstein noch zu viel im Unklaren liegt. Mir geht es nicht um die vorgeworfenen Taten, sondern um die Reaktionen.

Auch wenn sich wegen der seit den Übergriffen vergangenen Zeit kaum direkte Beweise finden ließen, hat doch die schiere Menge an Berichten über systematischen Missbrauch in der katholischen Kirche zu einer Erschütterung des öffentlichen Vertrauens geführt. An der Aufarbeitung der Verbrechen verschluckt sich die Kirche bis heute und verliert dadurch täglich Mitglieder. Und das erscheint mir auch die richtige öffentliche Antwort zu sein: 1. Neutral bleiben, weiter verfolgen, 2. bei wachsender Anzahl Betroffener Position beziehen, 3. Täter/n Vertrauen entziehen.

Das alles hat zunächst einmal gar nichts mit Gerichtsurteilen zu tun, sondern nur mit öffentlicher Meinung. Wir alle sind ja Anhänger und Konsumenten von Institutionen, Marken, Schauspielern, Musikern, Politikern. Und unsere Haltung als Privatpersonen trägt mit dazu bei, ob die von uns Bewunderten Möglichkeiten zum systematischen Missbrauch bekommen. Und das ist viel mehr als einfach nur bei Twitter seine wie auch immer liegende Meinung herauszublubbern. Von unserer Bewunderung und unserem Vertrauen leben Missbrauchssysteme - unabhängig davon, ob es sich um justiziablen oder unethischen Missbrauch handelt. Deshalb ist Haltung auch unabhängig von Gerichturteilen wichtig.

Vier männliche Zeugen und eine Doppelmoral

Dennoch gab es in den sozialen Medien über die letzten Tage eine erschütternd große Zahl von Menschen (Männern?), für die die Anzahl der (weiblichen) Opfer gar keinen Unterschied zu machen schien. Die die Vorwürfe von 37 (willkürlich gewählte Zahl) Frauen genauso unglaubwürdig halten wie Vorwürfe von nur einer Frau. Und mehr noch: Nicht nur halten sie die Berichte von unzähligen Frauen für null und nichtig im Vergleich zu dem, was Rammstein so zu den Anschuldigungen sagen ("Alles unwahr, wir verklagen Euch!" (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)). Sondern die von ihnen so lautstark herauskrakeelte Unschuldsvermutung gilt für diese Menschen (Männer?) nur für den beschuldigten Till Lindemann, nicht aber für die beschuldigenden Frauen. Von "Die Frauen sind alle Lügnerinnen" bis "Die machen das nur öffentlich, um Aufmerksamkeit zu bekommen" waren alle möglichen Beschuldigungen der Frauen dabei. Dass es sich um sexistische Doppelmoral handelt: geschenkt.

Dass die Stimmen von einer, zwei, dreizehn, siebenunddreißig Frauen nicht ausreichen, um bei diesen Menschen (Männern?) zumindest vorsichtige Zweifel an der Unschuld Till Lindemanns zu sähen, ist so vielsagend, dass mir hier das richtige Adjektiv fehlt, um meine Verachtung gegenüber diesen Menschen (Männern?) auszudrücken.

In einer Art unappetitlichem Plottwist las man in den letzten Tagen von Lindemann-Verteidigern oft, man solle sich doch lieber um sexuelle Gewalt durch muslimische Migranten kümmern, diese Gewalt sei viel schlimmer, verdammungswürdiger, was-auch-immer als das sexuelle Versorgungsnetzwerk um Till Lindemann. Hier schließt sich ein widerwärtiger Kreis, denn wir kommen dadurch zurück zur Scharia, unter der eine Vergewaltigung nur dann geahndet wird, wenn die Frau ein Geständnis oder vier männliche Zeugen beibringen kann. Weil ihre Stimme im Vergleich zu der eines Mannes weniger gilt.

Just in diese Überlegungen hinein veröffentlicht Zeit Online die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Plan International Deutschland, nach der 33% junger Männer zwischen 18 und 35 es akzeptabel finden, eine Frau zu schlagen. 34% gaben zu, das sogar schon gemacht zu haben. Eine Aufschlüsselung nach kultureller Prägung, Stadt und Land oder Bildungsstand ist aus dem Artikel nicht ersichtlich. Aber es ist anhand der Zahlen überdeutlich, dass wir uns als freiheitliche Gesellschaft mitten in einem Backlash durch selbst-unsichere Männer befinden, die sich durch die feministischen Errungenschaften der letzten Jahre bedroht fühlen. Als Begründung für die Anwendung von Gewalt nannten die Männer nämlich "um den Frauen Respekt einzuflößen".

Nein, Random Thomas und Random Ahmet, ihr wollt Frauen keinen Respekt einflößen, ihr wollt, dass Frauen Angst vor Euch haben. Dass sie wieder im Haus isoliert werden und ihre Stimme in der Öffentlichkeit kein Gehör findet (Stichwort vier männliche Zeugen).

Herzlichen Glückwunsch, Ihr seid beide Teil der rape culture.

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Sujet Feminismus & Patriarchat

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