Klimakrise: Macht nix, wir passen uns an!
Evolution, Adaptation, Lernprozesse - Welche Form der Anpassung wird uns denn nun retten?
Gerade zwei Monate ist es her, als Markus Lanz in seiner Talkshow der Klimakativistin Carla Rochel erklärte, dass die Zukunft mit der Klimakatastrophe schon nicht so schlimm werden würde, denn "unsere ganze Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte der Apassung". Uns als Spezies habe erfolgreich gemacht, dass wir uns angespasst haben. (Hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gibt es den fraglichen Ausschnitt aus der Sendung.)
Es ist zweifellos richtig, dass wir Menschen zu Leistungen in der Lage sind, die unter allen Säugetierarten einmalig sind. Keine andere Art kann ihre eigenen Lebensbedingungen derart umgestalten (im Guten wie im Schlechten) wie der Mensch. Da der Begriff aber vor allem im geisteswissenschaftlich geprägten Diskurs eher schwammig und oft falsch verwendet wird, geht es heute darum, was Anpassung bedeutet und welche Möglichkeiten wir dafür haben.
Hefte raus, Bio-Arbeit!
Adaptation
Die erste Möglichkeit führt uns in die aufregende Welt der Rezeptorzellen, die Zellen also, die es uns ermöglichen, Reize wahrzunehmen. Es gibt vier Grundtypen: Photoreption für Sehen, Chemorezeption für Riechen und Schmecken, Mechanorezeption für Berührung und Verformung und Thermorezeptoren für die Wärmewahrnehmung. Manche Tierarten können über Elektrorezeptoren auch elektrische Impulse wahrnehmen.
Das Prinzip der Reizleitung ist eigentlich sehr simpel. Trifft ein Reiz auf den Rezeptor, entsteht als Antwort darauf eine Spannungsdifferenz zwischen der Innenseite und der Außenseite der Zelle, die an der Zellmembran entlang bis zum synaptischen Spalt läuft, das ist der Bereich, an dem zwei Zellen miteinander kommunizieren. Die Spannungsdifferenz (Aktionspotential) kommt also am synaptischen Spalt an, bewirkt dort die Ausschüttung von Botenstoffen, die wiederum in der nächsten Nervenzelle eine Spannungsdifferenz auslösen, die wieder über die Membran zur nächsten Zelle läuft. Das Ganze läuft in rasender Geschindigkeit und ohne Signalverlust ab. Irgendwann trifft das Signal auf eine Zielzelle, zum Beispiel einen Muskel, und wir reagieren auf den Reiz mit einem sinnvollen Verhalten. Wir kneifen die Augen zu, weil uns das Licht blendet., oder reißen die Hand zurück, wenn wir versehentlich auf eine heiße Herdplatte fassen. Aber auch interne Abläufe, eine Änderung von Herz- und Atemfrequenz, der Stoffwechselrate oder der Hormonausschüttung, können zu den Reaktionen auf einen Reiz gehören.
Jetzt ist es aber so, dass Rezeptoren sich an Reize gewöhnen können. Man nennt den Vorgang Adaptation oder Adaption. Wenn ein Rezeptor längere Zeit dem gleichen Reiz ausgesetzt ist, wird seine Antwort immer schwächer, seine Empfindlichkeit nimmt ab (beim Sehen im Dunklen kann sie auch zunehmen). Schauen wir uns das anhand der Wärmerezeption an, auf die es bei einer gestiegenen Welttemperatur besonders ankommt.
Wenn wir in heißes oder kaltes Wasser steigen, denken wir je nach Temperatur oft, wir könnten es nicht aushalten. Die Rezeptoren signalisieren Schmerz und Gefahr, wir möchten am liebsten sofort wieder aussteigen. Nach einigen Augenblicken aber merken wir, dass die Hitze oder Kälte gar nicht so groß ist. Das heiße Bad wird als angenehm wahrgenommen, das Eisbaden zumindest als nicht mehr so schlimm. Beim Initialreiz waren unsere Rezeptoren in heller Aufregung, nach ein paar Minuten entlockt ihnen die Temperatur nur noch ein müdes Lächeln. Die schwächere Antwort löst natürlich auch andere Reaktionen in unserem Körper aus.
Geilo, genau das, was wir brauchen, wenn die Temperaturen steigen, richtig?
Falsch. Denn die Gewöhnung ist nicht von Dauer. Bleibt der Reiz eine Weile aus oder verändert sich, dann entwöhnt der Rezeptor sich wieder und das nächste Bad in kaltem oder heißem Wasser fühlt sich genauso an wie beim ersten Mal. Das ist auch richtig und wichtig, denn eine wache Wärmewahrnehmung kann uns im Zweifel das Leben retten. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn wir nach einem heißen Bad nicht merken würden, wenn wir uns an der Herdplatte verbrennen.
Außerdem erfolgt die Veränderung von zum Beispiel Stoffwechsel oder Herzfrequenz als Antwort auf einen Reiz nur in sehr engen Grenzen. Weder nach einem Initialreiz noch einer Zeit der Gewöhnung können unsere Körper Superleistungen erbringen. Wie halten nur eine bestimmte Herzfrequenz aus, unser Stoffwechsel kann nur in engen Grenzen rauf- oder runtereguliert werden, weil unser System einfach einen bestimmten Standard braucht, um zu funktionieren. Darüber und darunter arbeiten die Organe nicht mehr richtig.
Evolution
Vielleicht kann uns die Evolution bei der dauerhaften Umstellung auf geänderte Umweltbedingungen helfen?
Zur Erinnerung ein kurzer Abriss, wie Evolution funktioniert.
Grob gesagt verdanken wir evolutionäre Anpassung der Tatsache, dass sich nur solche Individuen fortpflanzen, deren Gene zu der besten und sinnvollsten Antwort auf bestimmte Umweltbedingungen führen.
Gene enthalten den Bauplan des Organismus und der Vorgang, bei dem die im Gen gespeicherte Information gelesen und in physische Teilchen umgewandelt wird, ist die Proteinbiosynthese. Proteine sind einer der Hauptbestandteile organischer Lebensformen. Aussehen, angeborenes Instinktverhalten und physiologische Eigenschaften eines Organismus beruhen auf der Beschaffenheit seiner Proteine.
Gene kommen nun in unterschiedlichen Varianten (Allele) vor und folglich unterscheiden sich auch Aussehen, Instinktverhalten und physiologische Eigenschaften von Individuen leicht voneinander. Alle Individuen einer Art sind unterschiedlich gut darin, auf die Anforderungen des Lebensraumes zu reagieren. Hat ein Allel Vorteile für seinen Träger, wird er bessere Chancen haben, zu überleben und Nachwuchs zu zeugen. Dadurch wird das Allel an die nächste Generation vererbt, der sie abermals Vorteile beschert. In jeder Generation überleben und reproduzieren sich vor allem die Individuen, deren Allele zu Aussehen, Instinktverhalten und physiologischen Eigenschaften führen, die für diese Umweltbedingungen optimal sind. So verändert sich eine Art im Laufe von Generationen und passt sich ihrer Umwelt an.
Auch das klingt ganz vielversprechend in Bezug auf heißer werdendes Weltklima. Die Inuitvölker im Nordpolarkreis haben ihren Stoffwechsel ja auch an ihre lebensfeindliche Umgebung angepasst, ebenso wie afrikanische Völker dunklere Hautpigmentierung als Schutz vor erhöhter Sonneneinstrahlung entwickelten. Warum also nicht drauf vertrauen, dass die Evolution es schon richten wird?
Zum einen passieren evolutionäre Anpassungsprozesse nur von Generation zu Generation und das auch nur in winzigen Schrittchen. Jede Generation hat nur einen kleinen, kaum wahrnehmbaren Unterschied zur vorhergehenden. Die graduelle Veränderung der Individuen führt dazu, dass die Mühlen der Evolution eher gemächlich mahlen. Die Dauer des Anpassungsprozesses kann bei Wirbeltieren je nach Art und Generationslänge zwischen einigen Monaten und hunderttausende von Jahren liegen. Bei uns Menschen mit unserer im Säugetiervergleich relativ langen Generationsdauer kann selbst eine gut dokumentierte, fünfzigjährige Langzeitstudie kaum evolutionäre Veränderungen zeigen. Zum Vergleich: Der aufrechte Gang des Menschen etwa brauchte von den ersten wackeligen Gehversuchen des Australipithecusbis zur stabilen, zweibeinigen Fortbewegungsweise des Homo erectuszwischen einer und vier Millionen Jahre (je nachdem, welcher paläoanthropologischen Entwicklungstheorie man zuneigt).
Damit die Evolution uns retten kann, müsste sie zum anderen aber auch erst einmal passieren. Und das tut sie bei Menschenvölkern, die in lebenslanger, monogamer Einehe leben, nicht.
Evolution funktioniert über ein knallhartes System, bei dem Individuen ohne förderliche Genallele ohne Nachwuchs sterben. Und die Triebfeder dahinter sind wählerische Weibchen, die sich nur mit solchen Männchen paaren, die förderliche Gene versprechen. Diese female choice bedeutet, dass nur die Topmännchen sich fortpflanzen, während eine große Gruppe weniger toller Konkurrenten leer ausgeht. Wie ich in meinem Buch "Female Choice" (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gezeigt habe, führte die große Zahl unverpartner Männer an der Schwelle zur Sesshaftwerdung zu so großen sozialen Problemen, dass ein System her musste, durch das sich Frauen gleichmäßiger auf Männer verteilen ließen. Ich sage 'ließen', denn die Verteilung der Frauen nahmen die Männer vor. Die lebenslange Monogamie entstand und wurde gleich an Status (= Besitz) gekoppelt, so dass Väter von geringem sozialen Status ihre Töchter auch nur an Männer mit geringem sozialen Status verheiraten durften. Dadurch wurde verhindert, dass alle Väter ihre Töchter nur an reiche, hochstehende Männer verheiraten wollten.
So bekam beinahe jeder Mann "eine ab", was zwar einerseits das örtlich gebundene Zzusammenleben auf engem Raum ermöglichte, andererseits aber den wichtigsten Evolutionsmotor – die sexuellen Partnerpräferenzen der Frauen – ausschaltete. Von da an gab es keine Bevorzugung förderlicher Genallele mehr, weil sich in dem neuen Ehesystem ohnehin jeder Mann fortpflanzen konnte. Viele tausende Jahre lebten die sesshaften Menschen so, jeder Mann eine Frau, auf Lebenszeit. Erst seit sechzig, siebzig Jahren wagen Frauen in relevanter Größenordnung, sich aus Beziehungen zu lösen.
Wegen der erwähnten Gemächlichkeit der Evolution ist unser heutiger Genpool (und damit auch unsere Anpassungsfähigkeit) sicher eher durch Jahrtausende der Nicht-Evolution geprägt als durch wenige Jahrzehnte, in denen evolutionäre Auswahlprozesse überhaupt wieder eine Rolle spielen können, weil Frauen ihre Partner aus Anziehung heraus und nicht aus wirtschaftlicher Not, durch gesellschaftliche Normen und Traditionen oder Gesetze dazu gezwungen sind.
Davon, dass – wie Jürgen Trittin in der oben verlinkten Lanz-Sendung richtig anmerkt – evolutionäre Prozesse gerade bei extremen Umweltveränderungen immer mit vielen Toten verbunden sind, will ich gar nicht erst anfangen. Denn auch der Tod selber siebt aus. Populationszusammenbrüche, bei denen nur eine geringe Zahl Individuen überlebt, sind in der Natur nicht selten. Während meiner Diplomarbeit musste ich lebende Mäuse in zwei Waldgebieten fangen, aber während Diplomandinnen in den Jahren zuvor fette Beute gemacht hatten, bekam ich nur einen Bruchteil an Tieren in meine Fallen. Ich halte es für möglich, dass der Mensch als Spezies die Klimakrise überlebt, allerdings wird die Anzahl Menschen dann nur noch ein Bruchteil von heute betragen - alle anderen werden sterben.
Das alles führt dazu, dass ich jetzt nicht unbedingt auf die Evolution als Mittel der Wahl setzen würde, um einer Krise, die das Weltklima bereits in wenigen Jahrzehnten für immer verändern wird, zu begegnen.
Lernprozesse
Was bleibt, sind Lernprozesse, also Anpassungen des Lebensweise, die nicht auf Genallele zurückgehen, sondern auf erworbene Erkenntnisse. Das ist aus meiner Sicht unsere beste, vielleicht unsere einzige Chance, die Klimakatastrophe in nennenswerter Stückzahl zu überleben.
Ironischerweise setzt sowohl die Klimabewegung als auch neoliberale Technologiegläubige auf diese Anpassung. Die einen leiten aus den Erkenntnissen unserer Zeit ab, dass wir – zumindest in Teilen unserer Fortschrittsentwicklung – ein paar Schritte zurück machen müssen (Stichwort De-Growth, DIY-Kultur, Mobilitätswende), die anderen sagen, dass wir ganz im Gegenteil schneller als je zuvor nach vorne gehen sollen, damit uns technische Innovationen vor unserem eigenen Elend bewahren.
Das Problem dabei ist, dass der technische Fortschritt zu langsam für die Klimakatastrophe ist. Die Erde erwärmt sich zu schnell, um darauf zu vertrauen, dass wir mit Hilfe alternativer Kraftstoffe, Batterien, Materialien so gemütlich weitermachen wie bisher. Und auch die Politik hinkt den steigenden Temperaturen hoffnungslos hinterher. Die Klimabewegung hat in den letzten Jahren wieder und wieder gezeigt, dass Industrienationen reihenweise an proklamierten Klimaschutzzielen gescheitert sind, dass außer hehren Worten nicht viel im Praktischen passiert ist.
Außerdem zeigt die Klimabewegung wieder und wieder auf, dass der globale Norden am wenigsten unter Klimaveränderungen zu leiden hat. Im globalen Süden hingegen sind schon heute viele Landstriche unbewohnbar sind.
Das Szenario, dass steigende Temperaturen zu (Bürger-)Kriegen führen werden, halte ich für so gut wie sicher. Im globalen Süden kämpfen Menschen ums Überleben und ab einem gewissen Punkt werden sie nicht mehr zuschauen, wenn Regierungscliquen oder westliche Industrienationen in Saus und Braus leben. Sie werden vor dem lebensfeindlichen Klima in ihren Ländern fliehen und sie werden nach Europa, nach Amerika, Kanada, kurz: in gemäßigte Klimazonen fliehen.
Im Vergleich zur Flüchtlingskrise 2015, als vornehmlich syrische Menschen vor dem Krieg in ihrem Land nach Europa flohen, ist der Umgang an Europas Außengrenzen schon heute deutlich rauher. Die Menschen, die im Westen ein stabileres, sichereres Leben suchen, werden mit Push-backs, Wasserwerfern und Tränengas zurückgedrängt. Diese Entwicklung muss man doch nur einmal ein paar Jahre weiterdenken: Wenn viel mehr Menschen vor den Toren Europas stehen und immer mehr europäische Länder rechte Parteien in der Regierung haben, wird an den Grenzen scharf geschossen werden und schon ist der Krieg aufgrund der Klimakatastrophe da.
Die Evolution hat uns mit einer im Tierreich einzigartigen Fähigkeit zum Lernen und zur Problemlösung ausgestattet. Doch sowohl der Umgang von Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft mit der Klimakrise als auch das Verhalten normaler Bürgerinnen und Bürger, die für 500m Wegstrecke immer noch das Auto nehmen, die mit Plastiktüten einkaufen, und fast Fashion konsumieren, obwohl die Kleidungsindustrie (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) einer der größten Verursacher von Umweltschäden ist, zeigen, dass es mit der Anpassungsfähigkeit des Menschen nicht weit her ist.
Alles passiert viel schneller, als dass Wirtschaft, Politik oder Technik friedliche Lösungen erarbeiten könnten. Während Bauern irgendwo in ärmeren Regionen an klimabedingten Ernteausfällen verzweifeln, diskutieren wir hier noch über Tempolimits und Kohlebergbau. All das sollte man bei dem vagen und oft sehr naiven Geschwurbel über Anpassung vielleicht mal mitdenken.
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