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Liebe Leserïnnen,

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ Wer denkt bei diesem berühmten ersten Satz in Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ nicht notgedrungen an einen verunglückten Staubsaugeroboter, der festgefahren und käfergleich nicht vor, nicht zurück hilflos mit den antennengleichen Bürsten wirbelt, bis auch diese in einem letzten Zucken ersterben?

Ich musste meinen Staubsaugeroboter also „Gregor Samsa“ nennen, obwohl diese Namensgebung eigentlich ungerechtfertigt ist und auf schlechten Erfahrungen mit seinem Vorgänger beruht. Im Gegensatz zu Kafkas Figur macht mein Gregor überhaupt nicht den Eindruck, sich von seiner täglichen Arbeit entfremdet zu haben, die er zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt.

Robotern Namen zu geben, scheint ein spielerisches Grundbedürfnis zu sein, sobald das Gerät hinreichend viel Eigenleben an den Tag legt, sodass es auch als Tier durchgehen könnte. Dass Menschen Robotern Namen geben und zu ihnen eine emotionale Bindung aufbauen, ist kein neues Phänomen. So berichten Soldatïnnen von Gefühlen der Trauer, wenn ihr Minen-Such-Roboter bei der Arbeit in die Luft flog.

https://twitter.com/ennopark/status/1473671819802591238 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Eine nicht repräsentative Umfrage, die ich auf Twitter gemacht habe (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), ergab, dass 92 Prozent derjenigen, die einen Staubsaugeroboter besitzen, diesem auch einen Namen geben. Auf die Frage „Welchen Namen habt ihr euren Staubsaugeroboter gegeben, sofern ihr einen habt?“ erhielt ich mehr mehr als 1800 Antworten. Die Top 10 der Staubesaugeroboternamen lautet:

1. Robi/Robbi/Robby

Auch wenn ich weitere Spielarten wie Robert, Roberta, Roberto, Robo, Robäärt, Botty, Robsi und Robertsky nicht mitrechne, liegt Robi mit seinen verschiedenen Schreibweisen einsam an der Spitze der häufigsten Nennungen. Es ist ja auch der Name, der den meisten Menschen als erstes einfällt.

2. Dobbie

Doch bereits auf dem zweiten Platz liegt Dobbie, der Hauself aus Harry Potter, der von der Familie Malfoy versklavt wird. In der Geschichte erlangen Hauselfen ihre Freiheit, wenn ihre Herrïnnen ihnen ein Kleidungsstück schenken, was (Spoiler!) im Teil „Die Kammer des Schreckens“ auch passiert, nämlich in Form einer Socke. Den Roboter Dobbie zu nennen, ist also nicht nur eine einfache popkulturelle Referenz auf einen Hauselfen sondern hat den zusätzlichen Witz, dass die meisten Staubsaugeroboter herumliegende Socken in der Regel nicht gut vertragen.

3. Staubi

Was einem so in den Sinn kommt, wenn es keine Variation von Robi sein soll. Interessanterweise gab es jenseits von Staubi nur sehr wenig Wortspiele mit „Staub“.

4. Marvin

Marvin ist ein depressiver Roboter aus Douglas Adams Romanreihe „Per Anhalter durch die Galaxis“. Einen Roboter so zu nennen, scheint von Empathie zu zeugen, schließlich ist die Vorstellung, dass die gesamte Lebensaufgabe in nichts als Staubsaugen besteht, durchaus deprimierend, jedenfalls für ein intelligentes Wesen.

5. R2D2

Sehr beliebt war auch der Name R2D2. Der zylindrische Roboter aus „Star Wars“ hat zwar nicht viel mit einem Staubsauger gemein, ist aber mutmaßlich der bekannteste Roboter der Popkultur überhaupt und dürfte daher namensgebend für Millionen von Robotern und Geräten auf der Welt sein. Eine kreative Abwandlung, die genannt wurde, ist R2saug2.

6. Fifi

Diesen Namen kann ich nicht dekodieren. Ich denke dabei an Fußhupen (vulgo kleine Hunde). Das Internet behauptet, dass „fifi“ im englischen Sprachraum für eine künstliche Vagina beliebigen Materials steht, was zu klassischen Staubsaugern passen würde, aber eher nicht so zu Staubsaugerobotern. Es bleibt mir also ein Rätsel, warum ausgerechnet dieser Name so beliebt ist.

7. Nono

In verschiedenen Schreibweisen eine Referenz auf Noo-Noo, das staubsaugerartige Wesen aus den Teletubbies.

8. Frau Kleinert

Frau Kleinert ist die Putzhilfe in Loriots „Pappa ante portas“. Eine weitere, seltener genannte Loriot-Referenz ist der Heinzelmann („Es saugt und bläst der Heinzelmann…“) wobei nicht ganz klar ist, ob diejenigen, die ihren Roboter Heinzelmann nennen, damit den Loriot-Sketch oder das Märchen referenzieren wollen.

9. Wall-E

Der Roboter Wall-E aus dem gleichnamigen Pixar-Film hat die Aufgabe, Müll aufzuräumen, was ihn zu einem sehr guten Namensgeber für einen Staubsaugeroboter macht.

10. Horst

Ich weiß wirklich nicht warum, aber ein relevanter Anteil meiner Twitter-Followerïnnen nennt ihren Staubsaugeroboter Horst. Ich weiß noch nicht so genau, was ich mit dieser Information anfangen soll.

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Jenseits der vielfach genannten Top 10 gab es eine sehr große Vielfalt von Einzel- und Wenignennungen, die sich grob in verschiedene Gruppen einteilen lassen. Eine wichtige Gruppe sind Wortspiele rund um das Wort „Saugen“. Saugi ist als Name durchaus nicht selten. Davon abgewandelt gibt es Saugier, Saugfried, Saugron, Saugator (den Schrecklichen), Saugonaut und Herr Saugreich. Abwandlungen von „Saugen“ sind eigentlich eine Untergruppe der Kategorie beschreibender Namen, die bildlich darstellen, was der Roboter tut oder ist. Dazu gehören auch Drecksack, Kehrforce One, Dreckmeister, Krümelkiller, Dr. Säubert, Kehrbert, Putzilandro, Brummhilde und das Krümelmonster.

Natürlich gab es neben Dobbie und berühmten Vorbildern noch viele andere popkulturelle Referenzen, zum Beispiel die Roboter Eve und Mo aus Wall-E, Bender aus der Serie Futurama und Agent Johnson aus „Matrix“. Doch es gibt auch zahlreiche unrobotische Namensgeberïnnen, etwa Helene Wischer, Jane Bond, Consuela, die lateinamerikanische Putzhilfe aus „Family Guy“, der FBI-Direktor J. Edgar Hoover, der seinen Namen mit einer Staubsaugermarke teilt, oder meinen Gregor Samsa. Besonders um die Ecke gedacht hat jemand, der seinen Roboter Waldo nach den „Wo ist Waldo“-Suchbildern nennt, offenbar weil den Roboter, der immer woanders liegenbleibt, ständig suchen muss. Erstaunlich selten genannt wurde hingegen Sisyphos, sagte doch Albert Camus, wir müssten uns Sisyphos als glücklichen Roboter vorstellen.

Verwandt mit der popkulturellen Referenz ist das Benennen von Robotern nach Politikerïnnen. Es gibt Andi/Andreas Scheuer („weil der seine Arbeit nicht ordentlich macht“), Friedrich Merz, Jens Spahn, Boris Johnson oder auch einfach nur: Gesundheitsminister. Motivation der Namensgebung ist hier vermutlich die Lust daran, die machtvolle Person damit zu bestrafen, einfache Tätigkeiten zu verrichten. Ähnlich motiviert dürften Leute sein, die ihre Roboter Jeff Bezos oder Elon Musk nennen, was durchaus auch vorkam. Teilweise werden Namen wohl auch vergeben, weil die Benachrichtigungen in der Smartphone-App dann lustiger klingen, etwa: „Friedrich Merz benötigt Ihre Aufmerksamkeit“ oder „Friedrich Merz hängt fest“. Ein Twitternutzer hat seinen Roboter deshalb nach eigenen Angaben Penis genannt.

Die letzte große Kategorie der Roboter-Namen sind einfache Vornamen ohne besondere Bedeutung bzw. deren Bedeutung wohl nur die jeweiligen Roboterinhaberïnnen kennen. Roboter heißen Bernd, Horst, Michael, Heinrich, Sven und Paul oder seltener auch Laura, Lisbeth, Minna oder Hildgard. Interessant ist, dass Frauennamen erheblich seltener vergeben werden als Männernamen. Die meisten Menschen scheinen sich ihren Roboter als eher männlich vorzustellen.

Alles in allem scheint die Namensvergabe nicht bloß daher zu kommen, dass verschiedene Geräte Namen brauchen, damit sie unterschieden werden können. Zwar gehört zu vielen Robotern eine App, die es Nutzerïnnen ermöglicht oder sie auffordert, einen Namen einzugeben, aber das Phänomen, dass Roboter Namen erhalten, findet auch dann statt, wenn keine solche App im Spiel ist und der Name nirgends hinterlegt wird. Mit dem Hang mancher Männer, ihre Autos, Motorräder und Flugzeuge mit weiblichen Kosenamen zu versehen, scheint die Roboter-Namensgebung hingegen wenig bis nichts zu tun zu haben.

Offenbar markieren Menschen mit der Namensgebung ihre Beziehung zum Gerät. Ich glaube nicht, dass die Inhaberïnnen ihre Roboter ernsthaft als Wesen betrachten. Die Namensgebung scheint mir eher spielerische Form der Auseinandersetzung mit den Emotionen zu sein, die ein solcher Roboter im Menschen durch seine Ähnlichkeit zu Tieren hervorruft. Viele Menschen freuen sich richtig, wenn eins sie fragt, wie ihre Roboter heißen, und erzählen gerne die Geschichte/Idee der Namensfindung.

Und wie heißt dein Roboter?

Ein gutes Jahr 2022 wünscht

Enno Park

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