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Ich bin einer von den Guten

Was für eine Woche, was für politische Aussichten. Mit feministischem Schreibwerkzeug könnte man sich an den Polittalks und problematischen Äußerungen führender Politiker:innen aus allein dieser Woche, in einem Text für ein ganzes Buch abarbeiten. Aber das ist ja der Populisten Ziel: Ablenkung durch Empörung. Stattdessen reiche ich lieber eine Nähkästchen-Erzählung, die so leicht ist, wie ein durchsichtiges Negligé im Bundestag, mit Edding getaggter Aufschrift, getragen von schMERZ und nehme darin aktuellen Bezug, soweit das Auge reicht.

Illustration: Falko Walter

Als ich vor ein paar Jahren einiges an Online-Dating testete, habe ich einen Mann kennengelernt, der mich in Sachen Dominanz, Unterwerfung und BDSM herausgefordert hat. Nicht weil die eine oder andere Rolle für mich schwer einzunehmen war, sondern weil sich mir zu seinem spezifischen und einseitigen Fetisch, in welchem er mit vielen Frauen immer in der dominanten, manipulierenden und kontrollierenden Rolle agierte, grundsätzlich ein paar Fragen stellten. Dominanz, Manipulation und Kontrolle ist innerhalb eines Fetischs an sich nicht problematisch. Dass diese Gesten im sexuellen, partnerschaftlichen und amourösen Kontext aber meist männlich dominiert sind, ist kein Zufall und schon gar keine Natur.

Als Gedicht formuliert: in diesem Spektrum, ist überhaupt kein Speck drum.

Die drängenden Fragen, die ich schnell spürte und die mich dieser spezifischen Fetischbubble auf den Keks gehen ließen, blieben leider recht unbeantwortet, oder wurden beleidigt abgewehrt, ein Diskurs war kaum möglich. Ich habe Verständnis dafür, in Teilen. Schließlich werden Fetische noch viel zu oft tabuisiert, patologisiert, stereotypisiert und verzerrt. Auch sollte Sexualität ein sicherer Ort sein, um kognitive Dissonanzen zu ergründen, ungelebte Dynamiken zu kanalisieren und fantasievolle, kreative Räume zu schaffen, konsensuell und aufgeklärt. Sexualität ist also durchaus auch ein Raum für Kunst und Kultur. Trotzdem oder gerade deshalb sollte sie sich auch kritisch hinterfragen lassen, denn andernfalls kann sie in ebendiesen Freiräumen eine entgrenzte Rechtfertigung für strukturelle sexualisierte Gewalt hervorbringen und immer wieder das Patriarchat reproduzieren, sodass unsere Sexualität, im Speziellen die von Frauen, niemals frei sein kann, weil wir sie durch Bilder, Prägungen und Hypes fortwährend internalisieren. Festzuhalten ist: Sexualität ist nach wie vor nicht frei. Sie entsteht nicht in einem Vakuum und eben auch nicht in einer Gesellschaft, die weder ohne Unterdrückung auskommt, noch mit Gleichstellung der Geschlechter.

Ich stellte mir und diesem Mann, einem sogenannten Rigger mit Shibari-Fetisch, also folgende Fragen, die von seinem Verhalten, welches ich einige Zeit intensiv studierte, schon einiges verraten und offenlegen, was sich außerhalb von Rollenspiel und Konsens abspielte.

Lassen diese Frauen sich wirklich aus freien Stücken schlagen und auspeitschen? Oder wollen sie gefallen, von ihm gesehen/gewählt/geliebt werden? Weil er sie durch sein anfänglich charmantes und hochfrequentes Werben, was an love-bombing und pick-up artists erinnert, und anschließend emotional reserviertes Verhalten in eine emotionale Abhängigkeit bringt? Weil Mädchen schon im Kindesalter gesagt wird, dass Jungs emotional unerreichbar und gemein sind, wenn sie ein Mädchen mögen und Frauen dann später diesem Muster in der Partnersuche weiter folgen? Hatten diese Frauen, einen abwesenden, emotional unerreichbaren Vater? Warum sind das ausschließlich normschöne Körper, die er wählt? Warum sind das auffällig viele Frauen mit psychischen Problemen, wie Borderline? Warum fesselt, drapiert und fotografiert er sie, um sie dann auf Instagram zu exponieren, wo seine Zielgruppe tausende andere fremde Männer sind? Warum exponiert er ihren Schmerz, den er ihnen zunächst zufügt und sein darauf folgendes Auffangen als etwas Romantisches? Warum findet er Lust und Befriedigung darin, dass er psychisch instabile Frauen erst schlägt und dann rettet, indem er sie in eine warme Decke hüllt und im Arm schaukelt, wenn sie weinen? Warum erfährt er das Höchstmaß an Lust, wenn er stolze Frauen bricht, wie er es nennt? Warum muss er mit so vielen Frauen wie möglich Sex haben? Warum sucht er the one, für die er the one ist und die dadurch erst zu the one für ihn wird? Warum glaubt er the one nur in der Frau zu finden, die er retten kann durch Dominanz und Kontrolle und gleichzeitiger Beanspruchung von nur für ihn geltender sexueller und emotionaler Freiheit? Warum hat er einen so ausgeprägten Besitzanspruch an Frauen? Warum objektifiziert er ihre Körper und sammelt sie in seinem Insta-Feed, wie Ü-Ei-Figuren in einer Sammlervitrine?

Es war sehr schwierig Antworten zu bekommen. Meine Fragen konnten leicht als fetisch-feindlich interpretiert werden und in Abwehr münden. Was auch geschehen ist. Die einzige substanzielle Antwort, mit der sich der Mann verteidigte und mit der ich jetzt arbeiten will, war:

Ich bin einer von den Guten.

Substanziell ist diese Antwort aber nur deshalb, weil sie sich selbst verrät, ähnlich dem Narrativ not all men (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Ich bin einer von den Guten will sagen, dass nicht alle Männer schlecht sind. Und natürlich sind nicht alle Männer schlecht, aber alle Männer profitieren von Gewalt gegen Frauen und Misogynie an sich, als strukturellem Gesellschaftsproblem. Und wer not all men sagt, macht sich zumindest verdächtig, denn es ist eine Diskursverschiebung, kein Lösungsansatz.

Wenn es also die Bösen gibt, die Vergewaltiger, die Täter von häuslicher Gewalt und Femiziden, die Trumps und die Joker dieser Welt, dann braucht es schließlich auch die Helden, die Retter, die Beschützer, die Existenz von Unwörtern wie: Familienväter, richtig? Wo Frauen als schwaches Geschlecht gelten und Männer als starke Beschützer, Denker und Macher, ergibt sich in logischer Reihenfolge und realer Repräsentanz das Streben nach Männlichkeit mit Oberwasser, Kontrolle und Dominanz. Dann rechtfertigt sich die Beschützerobsession, der Superheldenkomplex, der Wunsch nach einem Führer, der für Recht und Ordnung sorgt, einem den Weg vorgibt, der Ruf nach einem Kanzler, der sich immer nur dann für Gewaltschutz und -prävention interessiert, wenn er damit auf populistischen Stimmfang gehen kann. Prominente Beispiele dafür sind Donald Trump und Friedrich Merz. Vorletzter äußerte sich, dass er Frauen beschützen will, ob sie wollen oder nicht. Vor wem möchte der verurteilte Sexualstraftäter Frauen beschützen? Vor Migranten und fremden Ländern, die Amerika mit Raketen beschießen wollen, so Trump. Merz spricht ihm im Miosga-Talk auf die Erkenntnis, dass Frauen Angst davor hätten nachts auf die Straße zu gehen, mit folgendem Lösungsvorschlag chorisch nach: mehr Polizeipräsenz gegen Ausländerkriminalität. Und das wiederholt sich unermüdlich, obwohl belegt ist, dass die größte Gefahr für Frauen von Männern aus ihrem Nahumfeld ausgeht.

Woher kommt also nun dieses ich bin einer von den Guten und was bedeutet es?

Rose Hackman, eine britische Journalistin und Autorin, hat für ein neues Buch zum Thema Männlichkeit mehrere Interviews mit Männern geführt, um unter anderem das Phänomen zu erklären, warum Männer mit Machtanspruch schnelle Schuldsuche bei Migranten suchen. Die Interviewten sagten, dass Männer keine Männer mehr sein könnten, da sie keine Beschützer mehr sein könnten. Auf Hackmanns Frage, wer denn wovor beschützt werden müsse, war die häufigste Antwort der Männer: Frauen müssen vor den Gefahren durch andere Männer geschützt werden. Die Erkenntnis der Autorin ist, dass patriarchale Männer kein wirkliches Interesse an einer Welt haben, ohne einen ganzen Haufen gefährlicher Männer, da diese sie relevant fühlen lassen. Diese vermeintlich sicheren patriarchalen Männer, die von sich selbst denken einer von den Guten zu sein, brauchen böse und gewalttätige Männer. Und darin liegt der Grund, dass es keinen echten Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt und keinen Kampf für Rechenschaftspflicht gibt. Denn allein die Existenz dieser Gewalt, sichert den guten Männern eine Daseinsberechtigung, gibt ihrem Leben einen Sinn und eine Richtung. Und damit stützen sie das Patriarchat und erhalten es am Leben.

„Es ist eine patriarchale Strategie, die Männlichkeit des einen Protagonisten als gut und anhimmelnswert darzustellen, indem man noch schlimmere Typen präsentiert.“ Zitat aus der aktuellen »verbittert talentlos« Podcast Folge

Ausgehend von allem außerhalb des klar konsensuellen Handelns, bleibt noch die Frage zu klären, warum Frauen das mitmachen. Das Geschlagenwerden, das Fesseln, Aufhängen, Auspeitschen, Ghosten, push and pull, das Beschämtwerden durch Witze unter der Gürtellinie, die klar darauf abzielen auszutesten, wie weit Grenzen des Sagbaren und später des Machbaren verschoben werden können, um Lust durch Erniedrigung zu erlangen. Warum machen Frauen das in dieser Häufigkeit? Wenn man die Antwort darin sucht, dass Frauen in ihrem sexuellen Naturell auf Unterwerfung und Hingabe programmiert sind, denkt man nicht nur sehr pseudowissenschaftlich, sondern ignoriert auch kulturelle Geläufigkeiten, wie die Häufigkeit, Frauen zu objektifizieren, also zu entmenschlichen und ihren Schmerz oder ihr Unbehagen als unterhaltsamen Show-Moment zu benutzen und sich an ihrer Beschämung zu laben. Und oft ist der Frauen einzige Verteidigungsstrategie, dies zu verlachen, mitzuspielen und sich der Situation auf diese Weise zu ermächtigen, diese Spielregeln zu verinnerlichen und sich anzueignen. Man spricht dann von internalisierter Misogynie oder Selbstermächtigung durch Aneignung. Denn tun sie es nicht, beschämen oder entmannen sie einen Mann — durch sich wehren, sich behaupten, ihn zur Rechenschaft ziehen — riskieren sie vieles, mitunter ihr Leben. In ihrem Ego gekränkte Männer sind gefährlich, denn Männer kennen in unserer Gesellschaft keine wirkliche Rechenschaftspflicht in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt. Sie kennen kaum Konsequenzen für gewalttätiges Verhalten gegenüber Frauen, weder gesellschaftlich, noch vor dem Gesetz. Außerdem haben sie durch ihre Sozialisierung oft wenig ausgebildete Skills, ihre Emotionen sicher zu durchleben, mit Ablehnung umzugehen und ihre Psychohygiene unabhängig von einer fürsorgenden Frau (Mutter, Partnerin, Freundin) selbstständig und regelmäßig zu betreiben. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Gewalt und Verachtung gegen Frauen normalisiert ist. Und was normalisiert ist, kann als ungerecht oder problematisch nicht erkannt werden und wird folglich mitgemacht. Für soziale Wesen ist dies ein existenzielles Überlebenstool.

Die Podcasterin Susanne Laser spricht in der neuesten Folge von verbittert talentlos von Machtgefällen, die beim Performen von gender und dem was wir mit weiblich und männlich verbinden, automatisch mitgemeint sind. Wenn wir gender performen, performen wir Gefälle. Kultureller Ausdruck dieser Narrative, zum Beispiel in Liebesfilmen, sorgt dann dafür, dass dieses Gefälle romantisiert wird. In der Interpretation machen wir daraus, dass Frauen sich nicht fallen lassen, weil sie schwach sind, sondern weil sie sich fallen lassen dürfen, ein Privileg sozusagen. Männer hingegen üben durch Unterdrückung und Kontrolle keine Gewalt aus, sondern beschützen sie, wenn man dieser Logik folgt. Die Psychologie nennt dieses universelle Phänomen kognitive Dissonanzreduktion.

Wenn man Frauen aus der BDSM Szene fragt, die Shibari-Erfahrungen haben, was genau sie in den Seilen und der Unterwerfung empfinden, fallen oft die Worte Loslösung, Fliegen, Verbundenheit mit sich selbst, innerer Frieden und Freiheit. Ich selbst habe mich nie fesseln und aufhängen lassen, nur beobachtet, glaube aber an die Existenz dieser Gefühlszustände in diesem Spiel. Hingabe und Selbstaufgabe kenne ich schließlich sehr gut aus meiner Arbeit als Musikerin und Künstlerin und kann sie erkennen, wenn ich sie sehe. Die Frage ist nur, wodurch die Unterwerfung motiviert ist. Ich vermute bei mindestens manchen der Frauen, die gefesselt, geschlagen und verbal erniedrigt in den Seilen hängen, dass sich womöglich auch ein Gefühl der Erlösung und des inneren Friedens einstellt, weil sie sich dem ergeben, dem sie ohnehin hilflos ausgeliefert sind, weil es normalisiert, strukturell und unausweichlich ist und weil ihre Sexualität noch nie wirklich frei war oder sich nur bedingt frei entwickeln konnte, also wieder Aneignung der Weg zur Selbstermächtigung ist. Und wenn der Rigger jene Frauen irgendwann aus den Seilen holt, ist er keiner von den Guten, ist das nicht Rettung und nicht Freiheitsberaubung, sondern vielleicht ein Lernprozess. Zumindest bei sehr optimistischem Blick in die Zukunft.

Wer sich feministisch engagiert, sexistische Probleme erkennt, echtes Interesse an Veränderung hat und entweder männlich ist und sich selbst fragt, wo steh ich denn jetzt in meiner Entwicklung zwischen gut und böse, oder einen Partner hat, der auf dem Prüfstand steht, dem empfehle ich den Feminismus-Test (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) mit visualisierter Feminismus-Fortschritts-Skala, methodischer Erklärung und Typologie von Jo Lücke. Und hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) erklärt sie auch in für die Aufmerksamkeitsspanne freundlichem Reel Format: ab wann ist Mann eigentlich einer von den Guten, wenn man es denn unbedingt so nennen will. Doch wie schon seziert, kann es das Gute ohne das Böse nicht geben und man kann ein Problem nicht lösen, wenn man selbst davon profitiert. Daher ist mein Vorschlag für ein sinnvolles Entwicklungsziel nicht einer von den Guten zu sein oder zu werden, sondern einer von denen, die sich aktiv engagieren. Zunächst für ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung, Sensibilisierung und Weiterbildung, dann für den Nächsten, und dabei immer im Hinterkopf behaltend, dass es für Entwicklung keine Grenzen gibt. Es gibt kein Endlevel, es geht einfach immer weiter. Und zwar vorwärts.

Es grüßt, Christin

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