Werkzeuge des Patriarchats
Ich hatte mich ursprünglich einem anderen Thema widmen wollen, mich kurz vor Deadline aber umentschieden. Die Wehleiden und Körperqualen der Frauen und Mädchen meines Umfelds beschäftigen mich mehr. Fast könnten es True-Crime-Erzählungen werden, so viel Gräuel steckt darin, allein deshalb, weil die ganze Welt dazu meint: das ist normal, kann man nichts machen oder das ist was Psychisches. Lassen wir unsere Gedanken zu Frauengesundheit gleiten, mit ein paar unheilvollen Ein- und Ausblicken in einen Bereich der Ungleichbehandlung von FLINTA* in der Gesundheitsfür- und vorsorge. Wer männlich ist, sich jetzt nicht angesprochen fühlt und deshalb entscheidet auszusteigen, hat Feminismus nicht verstanden, begibt sich auf direktem Wege zurück auf Los und zieht kein Geld ein. Die Welt in der wir leben, könnte monopolyesker schließlich nicht sein. Man imaginiere für den folgenden Einstieg ins Thema den Song »Mit freundlichen Grüßen« von den Fanta4 und lege den umgeframten Text von mir darüber.

PMS, MMv und Hysterie
PCOS, Mammographie und Pickeli
Körperbehaarung, fette Sau, das kennst du ni?
tja, so sieht’s aus, ist unser Alltag, hihihi
Da gibt es Prä-, Peri- und Menopause
Endometriose ist ne ganz besond’re Sause
BMI, Lipödem und Thrombosestrümpfe
Brainfog, kein Schlaf und heiße Schwitzesümpfe
Milcheinschuss ohne Kind, ach überteib nich so
Schmerzen bis zur Übelkeit, bist du trocken? dann in Po
hdl, ach habibi, dein Gewicht schwankt
Hashimoto, Cortisol, so ist das wenn der Körper krankt
Zyklus hin oder her, Schmerzen sind normal
Essen als Medizin ist dein neues Arreal
NEM nicht anerkannt, weil weh tee eff
und wie gesagt, Schmerzen sind normal, sagt der Chef
mfg, mit freundlichen Grüßen
die Welt liegt denen zu Füßen, die da stehen drauf
sie fallen auf, durch ein Leben voller Schall und Rauch,
bevor sie fallen, fallen sie lieber auf
Und hat’s geklappt oder isses im Halse stecken geblieben? Zugegeben, für manche Passagen braucht es rhythmisch ein wenig Geschick, aber man erlaube mir die Frage, ob der Rhythmus oder der Inhalt mehr Verständnisprobleme bereitet hat. Hm? Wieviele von den paar dezidiert ausgewählten Leiden sind bekannt, wieviele mussten nachgeschlagen werden? Der fehlenden Kenntnis oder der Einordenbarkeit halber? Denn nur weil man eine Krankheit, ein Symptom, ein Frauenleiden kennt, schon einmal gehört hat, irgendwie ja alle Frauen die man kennt darunter mehr oder weniger leiden, heißt das ja noch lange nicht, dass man sie als beachtenswert, forschungs- und vor allem behandlungswürdig einordnet.
Schon als Frühmenstruierende bekommt man bei starken Unterleibsschmerzen mit schmerzinduzierter Übelkeit kollektiv, medizinisches Personal inkludiert, gesagt, diese Schmerzen und Symptome seien normal und da müsse man als Frau durch. Durch bedeutet für eine Person mit Uterus im Laufe eines Lebens, die Leidensfähigkeit nicht nur bis zum Äußersten auszuweiten, sodass selbst frisch Entbundene mit hohem Blutverlust, nahezu platzenden Brüsten und Dammschnitt noch die Verantwortlichkeit die Schwiegerfamilie beim Babygucken zu verköstigen bei sich suchen, sondern durch bedeutet auch diese Form der Selbstzerstörung und Selbstaufgabe so sehr zu internalisieren, dass alles und jede, die sich dagegen aufbäumt stillgelegt werden muss, im wahrsten Sinne — sei still! du störst! beschwer dich nicht! das war schon immer so! ich musste da auch durch! darum musst du da auch durch! weil ich leiden musste, musst du es jetzt auch!
Internalisierte Misogynie, die unbewusste Verinnerlichung von gesellschaftlichen Stereotypen, die Weiblichkeit in Form von typisch weiblich Äußerem und typisch weiblichem Verhalten entwertet, dient zum einen dazu, das bestehende Patriarchat aufrecht zu erhalten, indem sie zum anderen den Betroffenen als Überlebensstrategie dient. Wer sein patriarchales Leben nicht hinterfragt, weil er darüber nicht aufgeklärt ist oder nichts darüber wissen will, also alles Wissen dahingehend abwehrt, muss sich selbst und den eigenen Lebensentwurf, inklusive der gesamten Familie, zu der man in multipler Abhängigkeit steht, auch nicht hinterfragen. Das ist bequemer und sicherer und für manche sogar die einzige Möglichkeit zu überleben, da sie von ihrem Partner bei einer Trennung getötet werden könnten oder aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeiten auf der Straße landen würden oder sich selbst das Leben nehmen würden, weil das Erkennen von patriarchalen Realitäten sehr lebensmüde machen kann, wenn man plötzlich feststellt, dass man sich sein ganzes Leben lang hat ausbeuten und schlecht behandeln lassen. Die Autorin Mareike Fallwickl hat solch eine Erzählung in Die Wut die bleibt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in erfolgreiche Gegenwartsliteratur gepresst. Lesenswert! Und sehenswert sicher auch, denn diese Geschichte gibt es mittlerweile auch als Theaterstück (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Internalisierte Misogynie dient weiter noch dazu, sich selbst in all dem erfahrenen Schmerz unter der Unterdrückung zu rächen. Als Frau andere Frauen abzuwerten, kleinzuhalten oder ihnen den gleichen Schmerz, die gleichen Leiden aufzubürden oder ihnen an den Hals zu wünschen, die man selbst durchlebt hat, mit der Begründung da selbst auch durch gemusst zu sein, findet seine Ursache im Sadismus und dem damit verbundenen Motiv Macht und Kontrolle zurück zu erlangen, über etwas was man bei sich selbst durch Entmachtung verloren glaubt. Es hat also für Betroffene etwas erhebendes zu sagen, da musst du durch, denn da mussten wir alle durch.
Es ist längst erwiesen, dass Menstruationsschmerzen und weitere zyklische Beschwerden, sowie prä-/peri-/menopausale Symptome Zeichen dafür sind, das etwas nicht in Ordnung ist und man dem nachgehen muss, um dem Körper mit unterschiedlichsten Mitteln helfen zu können. Natürlich ist der Zyklus an sich normal, genau wie die Wechseljahre. Aber die Dinge, die unseren Körper beeinflussen und tagtäglich umgeben, die sind es nunmal nicht: Stress, verarbeitete Nahrungsmittel, Nervengifte, Medikamente, nährstoffarmes Obst und Gemüse, Bewegungsarmut. Die Ernährungsmedizin ist der erste Hebel, der bei körperlichen und psychischen Problemen gezogen werden muss, da er der naheliegendste und oft auch der ganzheitlichste und infolge dessen auch der wirksamste ist. Leider ist die Ernährungsmedizin als valide Behandlungsmethode nicht in den Erste-Hilfe-Ausstattungen unseres Gesundheitssystems vorgesehen und auch in den Köpfen von Mediziner:innen als unwissenschaftlich falsch kodiert.
In logischer Konsequenz wissen um die Erkenntnis, dass Menstruationsschmerzen nicht normal sind, auch nur die wenigsten.
Frau nimmt das unhinterfragt so hin, weil es ihr oft genug falsch erzählt wurde. Anders als in beispielsweise Frankreich, USA oder Finnland. Hier wird die Ernährungsmedizin noch vor allem anderen aus dem Behandlungsspektrum zum Einsatz gebracht.
Wenn eine männliche Ärztin also meint, Menstruationsbeschwerden seien normal, kann man sich fragen, hat er keine Ahnung oder inwiefern profitiert er davon, die Behandlung auf Medikamente ohne weitere Ursachensuche zu beschränken? Profitiert er durch einen direkten Praxisgewinn im Handel mit der Pharmaindustrie oder durch sein strukturelles Handeln Frauengesundheit zu vernachlässigen, um dem Machterhalt des Patriarchats zu dienen, weil Frauen mit Leiden besser zu kontrollieren und kleinzuhalten sind? Handelt eine Ärztin auf diese Art und Weise stellt sich exakt die gleiche Frage, plus: profitiert sie auch auf eine sadistische Art, wie unter internalisierter Misogynie schon beschrieben? Das wären jetzt zwei kleine Profiteur:innen. Aber wir wissen, es gibt noch mehr und noch viel größere.
Nach einer Reihe von Unterrichts-Absagen meiner Schülerinnen wegen PM(D)S-Beschwerden, noch mehr Unterrichtsstunden mit Schülerinnen, die trotz Menstruationsschmerzen zum Unterricht gekrochen kamen und einer bewegenden E-Mail einer Schülerin zum Thema medical gaslighting und der Erkenntnis, dass Ernährungs- und Bewegungstherapie bei hormonellen und allgemein gesundheitlichen Beschwerden einen echten Nutzen haben, drängt sich mir einmal mehr eine Frage auf, die ich ohne eine auflösende Antwort stehen lassen möchte:
Wer profitiert davon, die Gesundheit von Menschen mit Uterus sowohl in Forschung, als auch in Behandlung sträflich zu vernachlässigen, sodass sie für den Arbeitsmarkt nur eingeschränkt zur Verfügung stehen können und in ihrem Lebensentwurf alle zwei bis drei Wochen regelmäßig Schaden nehmen oder ab ihrer Lebensmitte, dann, wenn sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ihrer Karrierefähigkeit aufgrund ihrer gesammelten Kompetenzen in ihrer ganzen Kraft stehen, so sehr mit den Schwielen und Auszehrungen der Wechseljahresbeschwerden beschäftigt sind, dass Karriere und Selbstverwirklichung schon wieder hinten anstehen müssen? Wer?
Zuletzt kam meine Tochter auf mich zu und fragte, was ihr all das feministische Wissen nütze, wenn sie trotzdem unter dem Schönheitsdruck leide, weil die anderen Mädchen sich nicht kritisch mit zum Beispiel Schönheitsarbeit wie rasieren und schminken auseinandersetzen und sie vielleicht beginnen dafür zu beschämen. Eine gute Frage, die schwierig zu beantworten ist, da Körperscham im Teenageralter ohnehin ein großes Thema darstellt und es hier möglicherweise nur eine Wahl zwischen Pest und Cholera sein kann: anpassen und darunter leiden, weil es entgegen der Wertevorstellungen verläuft oder nicht anpassen und doppelt unter Körperscham leiden. Um sie perspektivisch hoffentlich dazu zu befähigen dafür eine Entscheidung zu treffen, die auf kritischem und multiperspektivischem Denken basiert, habe ich ihr eine Frage mitgegeben: wer profitiert von deiner Körperscham, wer zieht einen Vorteil daraus, dass du dich für deinen Körper schämst?
Meine Kinder werden von mir feministisch erzogen und so gut es geht mit kritischen Systemfragen, die Frauen kleinhalten und abwerten und Männer zu kruden und menschenfeindlichen Verhaltensweisen erziehen, zum Denken angeregt und mit Möglichkeiten der Abkehr von gesellschaftlich einengenden Normen gefüttert. Trotzdem leben sie in diesem System der Geschlechterstereotype, wie wir alle, und können der Prägung dadurch nicht ohne weiteres entkommen. Sie schauen Filme und Serien, spielen Ballerspiele und konsumieren Werbung, die dem male gaze unterliegen — einem Blick, der die Darstellung von Frauen aus einer heterosexuellen Perspektive zeigt, um den Bedürfnissen des männlichen Betrachters zu entsprechen. Hier werden Frauen sexualisiert, sind unterrepräsentiert und bedienen Rollen, die patriarchalen Gesellschaftsnormen entsprechen. Und immer sind sie rasiert, immer. So sehr man sich im Finden auch müht, selbst in progressiven Filmen und Serien, sind keine weiblichen Achsel- oder Beinhaare sichtbar. Geschweige denn ein Bart. Es sei denn, es betrifft eine Hexe, eine garstige, listige Alte, die das personifizierte Böse verkörpert. Eine solche Figur wird mit allerlei vermeintlich hässlichen optischen Details ausgestattet: Doppelkinn, Haar aus Muttermalwarze im Gesicht herauswachsend, fett, tiefe Stimme, dominant, Glatze oder kurze Haare, Merkmale, die nicht als schön gelten, aber als männlich, interessanter Weise. Was sagt uns das? Ist Männlichkeit hässlich? Wohl kaum. Aber vermeintlich männliche Attribute an Frauenkörpern schon. Aha. Elisabeth Lechner hat ein sehr aufschlussreiches Buch darüber geschrieben — Riot, don’t diet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), wie sehr man mit Äußerlichkeiten gegen die Normen verstoßen kann, um noch als gesellschaftsverträglich zu gelten, oder auch nicht. Vor allem aber gibt sie Antworten auf die Frage: wer profitiert von der Unterdrückung durch das Schönheitsdiktat, welche in ihren Ausprägungen gleichzustellen ist, mit den Leiden die Menschen mit Uterus erleben?
Wir bluten, krampfen, entzünden, herzinfarkten unerkannt, unterziehen uns gefährlichen Operationen, um dem Schönheitsdruck nachzugeben, wir epilieren oder wachsen uns regelmäßig schmerzhaft, wir erkranken unverhältnismäßig häufiger an Autoimmunkrankheiten, wir altern unter unglaublichen körperlichen Beschwerden, die sich über Jahre hinweg ziehen können, wir hassen unsere Körper und nehmen sie als zu bearbeitende Mangelerscheinung wahr, wir können kaum über längere Zeit in unserer vollen Kraft stehen, um uns selbst zu ermächtigen, da wir durch unsere unbehandelten Frauenleiden davon abgehalten werden, wir hören uns an, dass wir wahrscheinlich leiden, weil wir zu viel Stress haben, zu fett sind, ein bisschen hysterisch, viel zu emotional, anstrengend und vor allem zu fordernd. Dabei sind wir nur untererforscht und noch immer viel zu leise.
Wer profitiert davon? Wer?
Es grüßt, Christin
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