Ein Wettkampf der Misogynie
Kritischer Blick auf Frankreich
Sie ist die „Königin des französischen R&B“: Aya Nakamura hat die Zeremonie der Olympischen Spiele eröffnet. Als Schwarze Frau mit malischen Wurzeln erfährt sie dafür vor allem eines: Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Ein Fallbeispiel für Misogynie.
Die bekannte Sängerin Aya Nakamura hat die Olympischen Spiele in Paris eröffnet. Doch ihre malischen Wurzeln und ihr Erfolg bringen ihr nicht nur Anerkennung, sondern auch massiven Rassismus und Frauenfeindlichkeit ein. Trotz ihres weltweiten Erfolgs wird sie in Frankreich oft abgewertet. Die Kritik an ihrer Nominierung zeigt tief verwurzelte Vorurteile und eine Unfähigkeit, Frankreichs multikulturelle Realität zu akzeptieren. Nakamura bleibt ein Symbol für den Kampf gegen Schwarze Misogynie und Diskriminierung in der Gesellschaft.
Von Elisa Kautzky, Paris
Sie ist ein Vorbild für viele junge Frauen in Frankreich: Aya Nakamura ist die am meisten gehörte Sängerin des Landes. Ihre Lieder handeln von finanzieller Unabhängigkeit, Selbstbewusstsein, Männern und Sex – ganz ohne Tabus. Die 29-Jährige hat vier Alben veröffentlicht und wurde zuletzt bei den Victoires de la Musique als „Feminist Artist of the Year“ ausgezeichnet. Außerdem ist sie Mutter von zwei Mädchen, acht und zwei Jahre alt.
Nakamuras Erfolg beeindruckt weltweit Stars wie Madonna und Rihanna. Die letzte Sängerin, die in Frankreich so viel Erfolg hatte, war Edith Piaf in den 1960ern. Am 26. Juli eröffnete Aya Nakamura deshalb neben Celine Dion die Zeremonie der Olympischen Spiele in Paris.
Das gefiel jedoch nicht allen Französ*innen. In den sozialen Medien löste diese Information im Frühjahr 2024 eine Welle von Hassreaktionen, rassistischen und frauenfeindlichen Äußerungen aus. Im März leitete die Pariser Staatsanwaltschaft eine Untersuchung gegen einzelne rassistische Äußerungen ein.
Männer zum Schweigen bringen
Die Sängerin wird 1995 unter dem Namen Aya Coco Danioko im malischen Bamako geboren. In einem Pariser Vorort wächst sie mit fünf Geschwistern in einfachen Verhältnissen auf. Ihre Mutter, ebenfalls Sängerin, bringt Aya bereits früh mit Musik in Kontakt. Schon als Jugendliche fängt sie an, eigene Songs zu schreiben. Ihr Stil ist ein Mix aus Französisch, Arabisch und Bambara, der Sprache ihrer Eltern.
Mit 19 Jahren feiert sie mit „J’ai Mal“ ihren ersten Streamingerfolg, 2017 bringt sie ihr Debütalbum „Journal intime“ heraus, dessen Song „Comportement“ sie in die Charts katapultiert. Ein Jahr später schafft sie mit dem Hit „Djadja“ den internationalen Durchbruch, auch in Deutschland feiert sie seitdem Charterfolge.
Ihre Texte brechen mit traditionellen Rollenverhältnissen. Mit dem Song „Djadja“ will sie zum Beispiel Männer zum Schweigen bringen, die Gerüchte über Frauen verbreiten. 2021 erhält Nakamura die französische Staatsbürgerschaft. Schnell bezeichnet die renommierte Tagesszeitung „New York Times“ sie als eine der wichtigsten Sängerinnen Europas, das GQ-Magazin sie als Frau des Jahres 2023.
Die Krönung ihrer Erfolgsgeschichte: Ein Februartag im Elysee-Palast, an dem sie laut französischer Medien vom Staatschef höchstpersönlich gefragt worden sein soll, ob sie zur Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele singen möchte. „Ich mag Edith Piaf sehr“, soll Nakamura gesagt haben. Genauer gesagt, die „Hymne à l’amour“. Das kommt gut an bei Präsident Emmanual Macron, für den sie „eine der großen französischen Künstlerinnen [ist]“, die in der ganzen Welt gefeiert wird.
„Wir sind hier in Paris, nicht in Bamako“
In Frankreich merkt man davon eher wenig. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Odoxa (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ waren knapp 63 Prozent der Französ*innen dagegen, dass Aya Nakamura bei den Olympischen Spiele singt. 73 Prozent der Befragten würden ihre Lieder nicht mögen und finden, dass sie mit ihrem Hintergrund nicht die französische Musik bzw. Frankreich repräsentiert.
Ihre Texte seien nicht verständlich, zu vulgär, zu alltagssprachlich, zu provokativ. Diese Kritik kann Nakamura nicht nachvollziehen – manche Rapper hätten doch viel unverständlichere Texte. „Aber weil ich eine Frau bin, muss ich mich erklären“, sagt sie. Eine Frau müsse sich eben immer sanft ausdrücken. Da störe es, wenn sie ohne Scheu über Sex spreche.
„Man hat das Recht ihre Musik nicht zu mögen, aber sie ist nun mal Teil Frankreichs“, sagt Marie-France Malonga, Mediensoziologin mit Fokus auf der Repräsentation von Minderheiten. Sie sei schockiert über die Menge an rassistischen Äußerungen nach Nakamuras Nominierung.
„Der Fall Aya Nakamura ist sehr symbolisch und zeigt, wie die französische Gesellschaft denkt“, sagt sie. Leider falle es einem großen Teil der Französ*innen schwer zu akzeptieren, dass Frankreich multikulturell ist. Diese Ablehnung repräsentiere die Schwarze Sängerin. „Manche sind es nicht gewohnt, eine Schwarze Frau auf der Bühne zu sehen, weil es nicht viele mit solchen Karrieren gibt“, so die 29-Jährige selbst in einem Interview.
Dabei dürfe man laut Malonga nicht vergessen, dass Frankreich historisch von Migration geprägt ist – also durch Sklaverei, Kolonialismus und Einwanderungsbewegungen. Leider gebe es im Jahr 2024 noch immer Menschen, die nicht akzeptieren wollten, dass eine Französin eine beliebige Hautfarbe oder Relgion haben könne. Da Nakamura für ein Frankreich der Vorstädte und Migrationsgeschichte stehe, sei sie für manche keine wahre Französin.
Im März nimmt das rechtsextreme identitäre Kollektiv „Les Natifs“ die Sängerin ins Visier: Ein Banner wird im öffentlichen Raum aufgehangen und später in den sozialen Netzwerken verbreitet wurde. Der Text: „Y'a pas moyen Aya, ici c'est Paris, pas le marché de Bamako“. Das heißt so viel wie etwa, in Anspielung auf ihren Auftritt bei den Olympischen Spielen:„Es ist keine Option Aya, wir sind hier in Paris und nicht auf dem Markt von Bamako.“
Es werden Ermittlungen gegen Hetze im Netz eingeleitet. Sechs Personen Anfang Juli in Polizeigewahrsam genommen, aber kurz danach wieder frei gelassen. Die Künstlerin reagierte mit einem Post auf Twitter: „Ihr könnt Rassisten sein, aber nicht taub... Das ist es, was euch weh tut! Ich werde zum Staatsthema Nummer 1 in Debatten, aber was schulde ich euch? Gar nichts. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“
„Aya Nakamura wird als Frau abgewertet, ist wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe Rassismus ausgesetzt und wird aufgrund ihrer sozialen Klasse diskriminiert. Das ist ein Fall von Schwarzer Misogynie, eine besondere Form der Diskriminierung Schwarzer Frauen“, erklärt Malonga. Diese Erfahrung macht die Sängerin bereits seit Beginn ihrer Karriere. „Manche fragen sich, mit wem ich geschlafen habe, um so weit zu kommen“, erzählt Nakamura in einem Interview.
Ihre Karriere hat sich die Sängerin allein aufgebaut, vor allem mithilfe des Internets und den sozialen Netzwerken. „Ihren Erfolg hat sie niemandem zu verdanken als sich selbst“, so Malonga. Und dafür arbeitet die 29-Jährige so hart wie andere auch. Gleichzeitig sei es schwieriger, weil sie eine Schwarze Frau sei, erklärt sie. Wenn ihre Hautfarbe heller gewesen wäre, hätte sie schneller Erfolg gehabt – das wurde ihr zumindest regelmäßig gesagt.
„Angry black woman“
Nicht nur ihre Hautfarbe, ihr Aussehen allgemein wird oft thematisiert. Ihre Outfits sind extravagant, auffällig und körperbetont. „Man kann von einer Hypersexualisierung sprechen, die man auch bei Beyoncé oder Rihanna wiederfindet“, meint Malonga. Dabei entspricht Nakamura nicht dem Stereotyp der westlichen, sehr schlanken Frau mit Wespentaille. „Sie repräsentiert eine Form der Schönheit, die nicht häufig in den Medien dargestellt wird“, so die Soziologin.
Und: Sie bestimmt selbst, wie sie sich darstellt. Das mache sie als Person stark, unabhängig und zum Gegenteil eines Objektes. Sie schaffe es, Raum einzunehmen in einem Milieu, das eher maskulin geprägt ist. Nakamura sagt: „Der Beatmaker, der Tontechniker, das sind alles Männer. [Die Musikszene] ist eine Männerdomäne.“ Ihr Publikum hingegen besteht zu 70 Prozent aus Frauen und Mädchen. Viele davon mit ähnlichem Hintergrund. „Eine Frau, die zu Frauen spricht, das hat in der Öffentlichkeit gefehlt“, ist sie überzeugt.
Sängerin Eva Queen betitelte Nakamura sogar als „Ikone für alle Frauen“. Solche Aussagen überraschen Nakamura. „Ich fordere doch nur Gleichheit und Respekt.“ Ob sie selbst Feministin sei? „Ich weiß nicht, was das heißen soll. Vielleicht bin ich es, ohne es zu wissen. Es liegt aber an mir, das zu beanspruchen, nicht an der Person gegenüber“, sagt sie in einem Interview (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) vor vier Jahren. Wenn sie von den Medien nach einem eigenen Vorbild gefragt wird, nennt sie Oumou Sangaré, eine malische Sängerin, Business- und Karrierefrau.
Für ihr selbstbewusstes Auftreten wird Nakamura oft als zu „massiv“ und „dominant“ betitelt. Der Kampfbegriff lautet: „Angry black woman“. „Dieses Stereotyp würdigt Schwarze, dominante Frauen herab, indem man sagt, sie seien zu massiv – wie ein Mann“, so Malonga. Dabei brauche die Sängerin niemanden, schon gar keinen Mann. Das führe zu Provokationen, genau wie die Tatsache, dass sie nicht danach gefragt hat für die Zeremonie zu singen, sondern man auf sie zugekommen ist.
„Als Opernsängerin hätte sie weniger Hass erfahren“
„Manche denken, ich sei eine Rapperin, weil ich Schwarz bin und aus dem Vorort komme“, sagt sie dem „Parisien“. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Der Status einer Sängerin wurde ihr lange nicht anerkannt. Ebenso wie ihr Musikstil. „Wenn sie Opernsängerin wäre oder im Theater spielte, hätte sie vermutlich weniger Hass erfahren. Aber mit ihrer Musik ist sie kein Teil der kulturellen französischen Elite“, so Soziologin Malonga.
Neben den Anfeindungen bekommt Nakamura aber auch viel Zuspruch. Viele Persönlichkeiten aus der Kultur haben die rassistischen Äußerungen verurteilt und betont, dass sie ihren Platz als Künstlerin in Frankreich habe, darunter Gitarrist Hugues Aufray und Sänger Patrick Bruel. Malonga erklärt: „Frankreich, das ist Edith Piaf, Charles Aznavour und Johnny Hallyday. Aber es ist auch Aya Nakamura.“
Als im ersten Wahlgang der letzten Parlamentswahlen das rechtsextreme Rassemblement National (RN) eine Mehrheit bekommt, äußert sich Nakamura: „Meine Position als Künstlerin erfordert es, dass ich mich zu Wort melde.“ Sie ruft auf, im zweiten Wahlgang „gegen das einzige Extrem [zu wählen], das zu verurteilen ist“. Denn sie „weiß, welchen Stellenwert Rassismus in unserem Land hat“.
Mit ihren Texten spricht sie viele junge Menschen an - nicht nur schwarze Frauen. Ob man ihren Stil mag oder nicht, sie hat ein großes Publikum über die Grenzen Frankreichs hinaus. Das muss man respektieren, finden viele. Dass so viele Menschen Vorbehalte gegen Aya Nakamura haben, zeigt aber auch, dass sie trotz ihres Erfolges immer noch nicht als Teil Frankreichs anerkannt wird. Der Rassismus und die Misogynie in Frankreich treten so deutlich zutage wie selten zuvor.