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Wissen teilen

Bildung für Frauen und Mädchen

„Audiopedia“ ist eine Open-Source-Plattform für hörbares Wissen. Gründerin Felicitas Heyne will damit Frauen und Mädchen empowern, die keinen Zugang zu Bildung haben. Die Themen: Gesundheit, Ernährung, Wirtschaften und Frauenrechte im Allgemeinen. Seit 2022 fördern die Vereinten Nationen die Plattform als digitales Leuchtturmprojekt.

Von Eva Tempelmann, Ibbenbüren

Zusammenfassung

„Audiopedia“ ist eine Open-Source-Plattform, die Frauen und Mädchen in bildungsfernen Regionen durch hörbares Wissen empowern will. Gegründet von Felicitas Heyne, bietet sie Inhalte zu Gesundheit, Ernährung, Wirtschaft und Frauenrechten. Die Plattform erreicht Millionen Menschen weltweit, unterstützt von 10.000 Freiwilligen. „Audiopedia“ nutzt solarbetriebene Audioplayer und Apps, um Wissen in über 80 Sprachen zugänglich zu machen. Seit 2022 fördern die Vereinten Nationen das Projekt als Leuchtturm der digitalen Wissensvermittlung und Geschlechtergerechtigkeit.

Im Norden von Uganda, an der Grenze zum Südsudan, liegt die Palorinya-Flüchtlingssiedlung. Sie ist eine der größten des Landes, mehr als 60.000 südsudanesische Geflüchtete leben hier seit 2016, um Schutz zu suchen vor dem Krieg in ihrem Land. Der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung ist stark eingeschränkt.

Hier, unter einem Mangobaum, sitzt eine Gruppe von Frauen beisammen, über solarbetriebene Audioplayer hören sie Infos in ihrer Landessprache, wie sie unter erschwerten Lebensbedingungen wie diesen gut für sich und ihre Familien sorgen können. Dahinter steckt die „Audiopedia Stiftung“ mit einer einfachen, aber ambitionierten Idee: Wissen für alle Menschen zugänglich machen.

Wissen zugänglich machen 

Die Initiative zu diesem Projekt kommt von Felicitas Heyne. Die 57-jährige Psychologin gründete 2016 mit ihrem Mann Marcel Guillen-Heyne die „Audiopedia Foundation (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ mit der Vision, Frauen und Mädchen zu empowern. Weltweit können mehr als 500 Millionen Frauen und Mädchen weder lesen noch schreiben, schätzt die UNESCO. In Ländern wie Afghanistan oder Südsudan liegt die Alphabetisierungsquote von Frauen unter 30 Prozent.

Bildung ist hier den Söhnen vorbehalten, Mädchen und Frauen kümmern sich um Haushalt, Feldarbeit und die Kinder. Damit ist ihnen der Zugang zu Bildung und vielen wichtigen Informationen versperrt: zu Gesundheit, Familienplanung, Wirtschaft und ihren grundsätzlichen Rechten als Frau. Heynes Idee: „Audiopedia“ sollte als Open-Source-Tool Wissen zum Hören liefern, über solarbetriebene Audioplayer, einfache Telefone oder Open-Source-Apps – und zwar in der jeweiligen Landessprache, zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen im Globalen Süden.

Die Idee zündete schnell: Innerhalb weniger Monate registrierten sich 6.000 Menschen auf der Plattform, 99 Prozent von ihnen Frauen. Freiwillige boten ihre Mitarbeit an, eine Radiomoderatorin aus Kenia übersetzte zwölf Stunden umfassendes Material in die Landessprache Kishuaeli. „Wir hatten offenbar einen Nerv getroffen“, erinnert sich Heyne an die Anfangszeit ihres Unternehmens vor acht Jahren.

Während der Covid-19-Pandemie, als der Zugang zu Gesundheitsinfos stark eingeschränkt war, nahm „Audiopedia“ weiter Fahrt auf, richtete lokale Hotspots und Zugang über mobile Apps ein. Mit dem „Code für starke Frauen“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hat „Audiopedia“ jüngst QR-Codes für Playlists entwickelt, die zu Themen wie Gewalt gegen Frauen informieren, die in der Pandemie deutlich zugenommen hatte. Heute greift alle vier Sekunden irgendwo auf der Welt eine Frau auf die Wissensdatenbank von „Audiopedia“ zu.

Kurze Fragen, einfache Antworten

Sie findet dort in mehr als 80 Sprachen Antworten auf Hunderte von Fragen wie: Wie kann ich Malaria vorbeugen? Warum ist Muttermilch besser für mein Baby als zubereitete Pulvermilch? Welche Methoden zur Familienplanung gibt es? Wie kann ich mich vor Vergewaltigung schützen? Die Audiohappen sind jeweils drei bis fünf Minuten lang und funktionieren nach einfachem Frage-Antwort-Schema. 2023 erreichte „Audiopedia“ mehr als 20 Millionen Menschen, etwa 10.000 Freiwillige weltweit unterstützen die gemeinnützige Organisation als Übersetzer*innen, Sprecher*innen oder Softwareentwickler*innen.

Die öffentliche Anerkennung für „Audiopedia“ ist groß: 2022 nahm das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) das digitale Wissensprojekt aus Annweiler in sein Digital-X-Programm auf und wählte es wenig später als wichtigen Beitrag für Geschlechtergerechtigkeit aus. Auch das deutsche Bundesentwicklungsministerium unterstützt die Umsetzung von Projekten in mehreren Ländern – darunter Nigeria, Uganda, Brasilien, Indien und Pakistan.

Aktiv werden

Gründerin Felicitas Heyne hat die Rechte von Frauen schon lange im Fokus. Sie arbeitete als ehrenamtliche Mitarbeiterin beim Frauennotruf in ihrer Wahlheimat Pfalz, später als systemische Therapeutin und Coach. 2010 zieht sie mit ihrem Mann auf die Kanarischen Inseln, schreibt Bücher über Partnerschaft und Glück und erkundet neue Themen. Eines davon: Der Blick auf benachteiligte Menschen, vor allem Frauen in Ländern des Südens.

Der Wendepunkt kommt mit einer zweiteiligen Dokumentation des deutschen Journalisten Claus Kleber über die Themen Hunger und Durst, die Felicitas Heyne eines Abends mit ihrem Mann sieht. In einer Szene besucht Kleber ein Dorf in Indien und trifft dort auf Chaya, ein kleines Mädchen von etwa eineinhalb Jahren. Das Kind ist schwach, es wolle nichts essen, sagt die Mutter. Der Journalist und sein Team bringen Mutter und Kind zu einem nahe gelegenen Gesundheitszentrum.

Dort bekommt Chaya ein paar Löffel Zuckerwasser, damit sie wieder Energie bekommt, um normale Nahrung kauen und schlucken zu können. Ein paar Stunden später isst Chaya wieder, die Mutter ist zutiefst erleichtert. Kein Einzelfall, sagt eine Mitarbeiterin des Gesundheitszentrums später. Die meisten Frauen seien Analphabetinnen, niemand zeige ihnen, wie sie für ihre Kinder gut sorgen können oder welche Rechte sie generell als Frau haben.

Die Dokumentation geht Felicitas Heyne nicht mehr aus dem Kopf, sie überlegt: Wie kann man einfaches, aber lebensnotwendiges Wissen über Gesundheit, Kinderpflege, Familienplanung, Ernährung und grundlegende Frauenrechte einer Frau wie Chayas Mutter zugänglich machen? Ein Jahr recherchiert sie mit ihrem Mann, dann ist das „Audiopedia“-Projekt auf dem Weg. Die Heynes ziehen zurück in die Pfalz, in das beschauliche Städtchen Annweiler am Trifels, weil der Aufbau der Organisation von dort leichter zu meistern ist.

Verhütung, Menstruation, Tuberkulose

„Audiopedia“ setzt auf Audio-Lernmodule, um Wissen zu verbreiten. Diese Module decken eine Vielzahl von Themen ab, darunter Gesundheit, Landwirtschaft, Kindererziehung und Rechte von Frauen. Die kostenlosen Module können auf der Audiopedia-Plattform heruntergeladen werden. „Die Themen, die am meisten nachgefragt sind, drehen sich um Verhütung, Menstruation und Tuberkulose, eine Infektionskrankheit der Lunge“, erzählt Heyne.

Danach folgten länderspezifische Schwerpunkte wie geschlechtsspezifische Gewalt, Dengue und Diabetes in Lateinamerika oder Malaria im südlichen Afrika. Die Projekte zeigen Wirkung vor Ort. In Indien wurden Audioinhalte zu reproduktiver Gesundheit und Familienplanung entwickelt und an Frauen in ländlichen Gebieten verteilt. Eine Evaluation des Projekts zeigte, dass das Wissen über Verhütungsmethoden und Geburtsvorbereitung deutlich gestiegen war, Frauen fühlten sich sicherer und besser informiert.

In Tansania arbeitete „Audiopedia“ mit der Organisation „Water is Life“ zusammen und fokussierte sich hier auf Audioinhalte über sauberes Trinkwasser und Hygienemaßnahmen. Die Informationen wurden auf Solar-Radios und über mobile Lautsprecher in Gemeinden abgespielt. Die Bewohner*innen erfuhren, wie sie Wasser sicher aufbereiten und Krankheiten wie Cholera vermeiden konnten. Die Durchfallerkrankungen in den betroffenen Gebieten sanken danach vernehmlich ab. 

Langfristige Förderung sicherstellen

„Es läuft gut mit Audiopedia, könnte man meinen“, sagt Felicitas Heyne. Die Reichweite und internationale Anerkennung lassen dies vermuten. Doch die gemeinnützige Organisation ist auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Die Finanzierung bleibe eine Herausforderung, sagt die Visionärin, denn „Audiopedia“ sei kein klassisches Projekt der Entwicklungszusammenarbeit und falle damit durch das Raster der Förderung. Zurzeit versucht sie, über Stiftungen und Crowdfunding eine langfristige Finanzierung ihres Unternehmens sicherzustellen.

Ein großes Lernfeld sei auch, wie die Audioinhalte in den ganz unterschiedlichen Ländern aufgenommen werden. Über die lokalen Partner und Nichtregierungsorganisationen vor Ort bemühe sich „Audiopedia“, die Materialien immer wieder anzupassen und in die jeweilige Kultur und Sprache einzubetten. „Menschen halten gerne an traditionellem Wissen fest“, sagt die Gründerin, das sei überall auf der Welt gleich.

Dieses traditionelle Wissen sei jedoch nicht immer zum Besten der Menschen, gerade in Bezug auf Frauen. „Wir versuchen, uns auf dem schmalen Grat zu bewegen zwischen der Weitergabe von nützlichen Infos, wie wir das mit Audiopedia tun und dem Schutz von indigenem Wissen, das schon vorher da war.“ Gerade in Bezug auf den Umgang mit der Natur und den Ressourcen könne man in Deutschland viel von Menschen in anderen Ländern lernen.

Unter dem Mangobaum in Uganda endet die „Audiopedia“-Sitzung. Kinder springen auf, Frauen stehen in Gruppen beisammen und tauschen sich über das Gehörte aus. 400 Frauen werden hier später am Pilotprojekt von „Audiopedia“ teilgenommen haben. Der Zugang zu Informationen ist ein neuer Weg, der sich hier für sie auftut. Ein Recht, das allen zusteht, aber bisher nicht für alle zugänglich ist.

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