5 Mythen über dein Gehirn, die du kennen solltest
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute, in der Jubiläumsausgabe, geht es um Neuromythen.
Im Jahr 2007 warnte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): Es gibt zu viele Missverständnisse über das Gehirn unter Lehrkräften! Heute weiß man: Das Problem betraf nicht nur Lehrer:innen. Und natürlich sind Mythen übers Gehirn auch heute noch weit verbreitet – es kommen sogar immer wieder neue hinzu.
In der zehnten Ausgabe (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) dieses Newsletters habe ich fünf dieser sogenannten Neuromythen bereits entkräftet: von Multitasking bis zu verschiedenen Lerntypen. Heute, zur 50. Ausgabe, widme ich mich den nächsten fünf. Falls du diesen Newsletter zum ersten Mal liest: Hier kannst du ihn abonnieren (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Also: Ärmel hochkrempeln, heute wird entkräftet.
Mythos 1: Gehirnjogging macht intelligent
Man kann kaum eine Zeitung oder Internetseite mehr öffnen, ohne dass für eine neue, bahnbrechende Gehirn-App geworben wird, die dich intelligenter macht. „Gehirnjogging“ nennt sich das dann – als würde das Gehirn wie ein Muskel funktionieren, der sich in gleicher Weise trainieren ließe wie zum Beispiel die Beinmuskulatur durch Jogging.
Tatsächlich schlägt sich alles, was wir erleben und lernen, in einer Veränderung der Hirnstruktur nieder. Verbindungen zwischen Nervenzellen werden aufgebaut, verstärkt, abgeschwächt oder aufgelöst. Empirische Ergebnisse zeigen: Man kann zwar das Lösen von Denksportaufgaben trainieren, man wird dadurch aber nicht intelligenter, sondern eben einfach zu einem Experten für das Lösen von Denksportaufgaben. Die Transfereffekte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) auf andere Bereiche (wenn sie denn überhaupt auftreten) sind so gering, dass sie in gar keinem Verhältnis zum Aufwand stehen. Es gibt zu den Effekten von Gehirnjogging insgesamt viel weniger Untersuchungen, als die Anbieter dieser Apps mit ihrer Werbung uns das versichern.
Mythos 2: Die Entwicklung des Gehirns ist nach der Pubertät abgeschlossen
Die Idee hielt sich lange: Das Gehirn sei nur während bestimmter, sogenannter kritischer Perioden, plastisch. Die ersten drei Jahre eines Kindes seien entscheidend – für die Entwicklung und den späteren Erfolg im Leben.
Woher dieser Mythos kommt? Obwohl das Kindergehirn meisten Synapsen hat, wurden viele der veröffentlichten Studien, die sich mit dem Lernen während dieser „kritischen“ Zeitspanne am Anfang des Lebens befassen, gar nicht an Menschen gemacht, sondern an Ratten und anderen Tieren. Richtig ist: Es mag zwar empfindliche Perioden für bestimmte Reize geben, aber die Fähigkeit zur Bildung von Synapsen, d. h. die Plastizität, ist nicht auf die ersten drei Lebensjahre beschränkt. Wir lernen tatsächlich ein Leben lang.
Mythos 3: Mozart hören macht dich intelligenter
Nope, leider nicht. 1973 veröffentlichten amerikanische Forscher in der renommierten Zeitschrift Nature Ergebnisse, die auf eine Steigerung des IQs nach dem Anhören einer Mozart-Sonate hinwiesen. Erwachsene schnitten Tests des räumlichen Vorstellungsvermögens etwas besser ab, wenn sie zuvor Musik von Mozart hörten (in anderen Tests nicht). Die Ergebnisse gingen um die ganze Welt, der „Mozart-Effekt“ war geboren. Tatsächlich hielten die verbesserte Ergebnisse aber gerade einmal 15 Minuten an. Und sie wurden auch nie von weiteren, gut gemachten Studien belegt.
Im Jahr 2010 ergab eine größere Meta-Analyse erneut eine positive Wirkung, aber andere Musikarten erwiesen sich als ebenso wirksam. In weiteren Studien schnitt Pop-Musik sogar besser ab als Klassik. Forschungen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) deuten darauf hin, dass die Beschäftigung mit Musik in der Kindheit die kognitiven Fähigkeiten fördert. Unterm Strich gilt: Musik ist schön, aber sicher kein Wundermittel. Sorry, Wolfgang Amadeus.
Mythos 4: Man muss die erste Sprache gut beherrschen, bevor man eine zweite Sprache lernt
Nope. Kinder, die zwei Sprachen beherrschen, haben ein besseres Verständnis von Sprachen. Studien haben gezeigt, dass Kinder, die zwei Sprachen beherrschen, die Struktur der Sprache besser verstehen und sie bewusster anwenden. Diese positiven Auswirkungen der Mehrsprachigkeit sind am deutlichsten, wenn die zweite Sprache früh erworben wurde. Übrigens führt Mehrsprachigkeit auch nicht zu einer verzögerten Sprachentwicklung. Kinder eignen sich Sprachen extrem schnell an, auch wenn sie die Sprachen manchmal verwechseln.
Es gibt keinen Grund, mit dem Erwerb der zweiten Sprache zu warten. Im Gegenteil: Es könnte sogar schädlich sein zu warten, da die Kindheit die beste Zeit für den Erwerb mehrerer Sprachen ist.
Mythos 5: Wir haben mehrere Intelligenzen
Der Harvard-Psychologe Howard Gardner entwickelte in den 1980er Jahren die Theorie (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) der multiplen Intelligenzen. Er begann seine Liste mit sieben Intelligenzen: musikalisch-rhythmische, visuell-räumliche, verbal-sprachliche, logisch-mathematische, körperlich-kinästhetische, interpersonelle und intrapersonelle. Seine Idee beruhte dabei auf … nun, auf gar nichts. Es gab keine Daten oder Untersuchungen, die nahelegten, dass Menschen verschiedene, voneinander unabhängige Intelligenzen haben.
Was Gardner als Intelligenz bezeichnet, würden andere Psycholog:innen eher als Fähigkeiten bezeichnen. Außerdem zeigt die Forschung, dass unsere Fähigkeiten nicht weitgehend unabhängig voneinander sind. Menschen, die bei einer Art von Test gut abschneiden, schneiden in der Regel auch in anderen Tests gut ab.
So. Schon mal ein paar Tausend Menschen weniger, die diese Neuromythen verbreiten. Cheers to that! Ab nächster Woche geht es in der nächsten Serie darum, was im Gehirn passiert, wenn wir hungrig sind – und warum so viele Menschen zu viel essen. Bis dahin, euer Bent 🧠✌️