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Gepinkeltes Blau

Yves Klein erfand ein Blau. Doch bei seiner Ausstellung waren die Wände weiß und das Blau woanders.

Mit einer Postkarte lud Kunstkritiker Pierre Restany im Frühjahr 1958 zu einem ekstatischen Spektakel in der Pariser Galerie Iris Clert, das die Sinne auf den Kopf stellen sollte. Gäste könnten der “Manifestation einer Wahrnehmungssynthese” beiwohnen, die das Ende der malerischen Suche des Künstlers begründete.

Iris Clert invites you to honor, with all your affective presence, the lucid and positive event of a certain reign of the sensible. This demonstration of perceptive synthesis sanctions the pictorial quest of Yves Klein for an ecstatic and immediately communicable emotion. (Opening, 3, rue des Beaux-Arts, Monday, April 28, 9 p.m.–12:00). Pierre Restany

Neue Realisten

Die Ausstellung sollte später zu den bekanntesten Hinterlassenschaften des Künstlers Yves Klein zählen. Restany war dessen größter Fürsprecher und 1960 Gründungsmitglied einer Künstlervereinigung, die sich dem Nouveau Réalisme verschrieben hatten, dem neuen Realismus. Künstlerisch unterschieden sich die Mitglieder, doch der Bezug zum Alltäglichen einte ihre Ideen. Aus Müll wurde Kunst, aus einem Happening wurde Gesellschaftskritik. Anstatt sich auf das Bild zu konzentrieren, wurden Objekt und Aktion zum Mittelpunkt der Kunst.

Auch Yves Klein war Mitglied dieser Vereinigung. Der 1928 in Nizza geborene Künstler soll schon als junger Mann den Himmel für sich beansprucht haben. Er wolle die Vögel erschießen, die es wagten ihn zu kreuzen, heißt es. Mit Ende 20 beschloss er, nur noch monochrom arbeiten zu wollen. Im Mittelpunkt standen die Farben Blau, Pink und Gold.

Doch sein künstlerisches Leben sollte fortan vor allem einer Farbe gewidmet sein. Die dünne Schrift in Ultramarin, mit der die Einladung zur Vernissage in Paris geschrieben war, kündigte den Fokus seiner Ausstellung an: das International Klein Blau.

Blau

(IKB 191 (1962), Yves Klein — Yves Klein, Weitemeier, Taschen 1994. Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19313447 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))

Eine Farbe zum Verlieren

Die Farbe selbst hat Klein wohl nur bedingt selbst erschaffen. Auch die Legende, er habe sich die Formel patentieren lassen, um sie als Einziger nutzen zu können, dementieren viele Quellen.

Vielmehr beanspruchte Klein das Blau für sich, was schon ein signifikanter performativer Akt an sich ist. Er mischte das Ultramarinpigment mit einem neuen Kunstharz als Bindemittel, wodurch es nach dem Trocknen matt blieb.

Kleins Korrespondenz mit dem Patentamt diente wohl vor allem dem Zweck, den Zeitpunkt seiner Innovation festzuhalten. Für den Künstler gleichten Linien, Formen und Kompositionen Gitterstäben, Gemälde bezeichnete er als Gefängnisfenster. Seine monochromen Bilder wurden zu viel mehr als einer persönlichen Vendetta gegen das Herkömmliche.

Sie bildeten den Beginn eines veränderten Schaffungs- und Rezeptionsverhalten. Denn monochrome Bilder erfüllten nicht länger die Erwartungen, die Besucher:innen an bildende Kunst hatten. Anstatt eine Szene zu zeigen, zeigten sie nur sich selbst. Die Menschen sollten sich im Blau verlieren.

Die Leere

Die Vernissage in der Galerie Iris Clert an Kleins 30. Geburtstag zählte fast 3000 Gäste. Sie versammelten sich vor dem einzigen offenen Eingang der Galerie, über den ein blauer Vorhang drapiert war. Nur in kleinen Gruppen durften sie eintreten. Sie fanden jedoch keine Gemälde oder Skulpturen vor — nicht einmal Farbe.

Die Ausstellung La spécialisation de la sensibilité à l’état matière première en sensibilité picturale stabilisée, Le Vide (The Specialization of Sensibility in the Raw Material State into Stabilized Pictorial Sensibility, The Void) fand in der leer geräumten 20qm großen Galerie statt. Klein hatte zuvor alles weiß gestrichen — von den Wänden bis hin zu Vorhängen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Ein Mann geht durch einen blauen drapierten Vorhang in die Galerie.

(© The Estate of Yves Klein c/o ADAGP, Paris)

Als Aperitif wurde den Gästen ein blaues Getränk gereicht, das aus Gin, Cointreau und Methylenblau bestand. Methylenblau kommt in Form dunkelgrüner Kristalle vor, die sich, in Wasser aufgelöst, in ein strahlendes Blau verwandeln. Es wird in der Botanik, Geologie und Chemie eingesetzt, hilft bei Fischen gegen die Weißpünktchenkrankheit, dient bei Nitritvergiftungen als Gegengift und bei Malaria als Antiseptikum. In hohen Dosen wird es zum Neurotoxin, das zum Serotoninsyndrom führen kann. Doch es genügen bereits kleine Mengen, um den Urin blau zu färben.

Auf der Toilette fanden die Besucher:innen der Ausstellung schließlich das Blau, das sie nach Betreten der Galerie vergeblich suchten.

Der Himmel als Leinwand

Kleins Ausstellungen bewegten sich zwischen Genie und Scharlaten, wie sein Wegbegleiter Restany attestierte. 1957 ließ Klein 1001 blaue Ballons in den Pariser Himmel steigen, um seine “Blaue Periode” einzuläuten. Der Himmel war seine Leinwand. Die Aktion wiederholten seitdem mehrere Museen für moderne Kunst als Andenken an den Künstler.

Obwohl IKB Kleins Vermächtnis am nachhaltigsten prägte, war er auch für seine Experimente mit Material und Werkzeugen bekannt. So malte er unter anderem mit Feuer oder Menschen.

eine Frau, die wie ein Pinsel in einer Kurve über die Leinwand gezogen wird

(© Jacques Fleurant/MNAM, © The Estate of Yves Klein c/o ADAGP, Paris)

eine blaue Kurve

(© The Estate of Yves Klein c/o ADAGP, Paris)

Heute steht er also für ein leuchtendes, fast erdrückendes Blau und seine Aktionen, die das Kunstverständnis seiner Zeitgenossen und uns gleichermaßen herausfordern. Klein starb mit 34 zwei Monate vor der Geburt seines Sohnes nach einer Reihe an Herzinfarkten.

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Ach Freunde, ihr kennt den Drill. Ich war wieder in Podcasts — einmal meinem eigenen und einmal bei einem anderen zu Gast.

Mit Florian sprach ich für Lost Levels (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) über Indiespiele und Essen. Unseren Podcast gibt es seit Folge 150 übrigens auch als Video.

https://www.youtube.com/watch?v=TwCqmP-0IwE (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Mit Dom sprach ich über meine Reportage für die aktuelle GEE. Es geht um widersprüchliche Gefühle, wie ich versucht habe meine zahllosen Eindrücke auf wenige Zeichen zu reduzieren und meine Ansprüche an Reportagen. Den Podcast findet ihr hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Wohin nun?

Bald wird mein Newsletter 2. Das ist Grund zur Freude, aber stimmt mich auch nachdenklich. Ich schwanke zwischen dem lowest effort possible und 50 Millionen Ideen, für die ich nur bedingt Zeit habe.

Einerseits schätze ich mich glücklich schreiben zu können und dass es fast 100 Menschen interessiert, ist wild. Es fühlt sich an wie Akku aufladen. Also gut!

Andererseits: wie geht es weiter? Wohin entwickeln wir uns hier? Das hängt alles mit Fragen zusammen, die ihr nicht beantworten könnt, wie: Was will ich in meinem Leben eigentlich machen?

Trotzdem hier eine Frage und ein paar Mitteilungen:

Wenn Du mich Steady unterstützt (erstmal danke <3), was interessiert Dich? Was willst Du lesen/hören/sehen? Unabhängig jeglicher Antworten (die mich über die Steady-Kommentarfunktion, Discord, Bluesky, Mastodon und Instagram erreichen, jeweils @chrissikills):

Meme der Woche

Hoa hoa hoa hoa….. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Erkannt? Drei Buchstaben (oder zwölf…), die beweisen, dass Sounds wie herkömmliche Memes funktionieren. Denn die meisten von ihnen lassen sich auch ohne Kenntnis des Ursprungs oder gängiger Adaptionen ganz ok verstehen. Genau das können wir hier beobachten, denn mittlerweile ist der Sound synonym für schön-schauriges Wetter und das Ende des Sommers.

Was dieses Meme darüber hinaus besonders macht, ist sein Medium. Es ist, wie schon erwähnt, ein Sound. Diese drei bis zwölf Buchstaben sind entsprechend Onomatopoesie. (Lautmalerei, aber das hat nicht die “Poesie” im Namen <3)

Bella in Twilight

Das dazugehörige Lied heißt “Eyes on Fire” von Blue Foundation und ist Teil des Twilight-Soundtracks und löst damit den bisher bekanntesten Song aus dem Soundtrack ab: “Supermassive Black Hole” von Muse.

(Wer den Recap überspringen möchte, sucht den zweiten Strich und liest ab da weiter)

Bella ist neu in einem kleinen Ort in Washington. Es ist kalt, post production hat einen HEFTIGEN blau-grünen Filter auf alles gelegt, damit das klar wird. In der Schule trifft sie Edward, er kann sie aber riechen (weil Vampir), hat deshalb Komplexe und kommt erstmal nicht mehr zur Schule. (Wieso er, über 100 Jahre alt, überhaupt zur Schule geht, ist nicht so ganz stichfest argumentiert). Jedenfalls will Bella ihn zur Rede stellen und wartet an ihrem Auto (weil da offenbar alle mit dem eigenen Auto zur Schule fahren, Murica, I guess). Er taucht nicht auf, ihre neuen Freunde versuchen vergeblich ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen und in genau dieser Szene läuft hoa hoa hoa hoa.

“Supermassive Black Hole” läuft wenig später, Bella und Edward sind ein Paar und sie gehen mit dem Rest der Vampirfamilie Baseball spielen. Das geht nur bei Gewitter, damit die Baseballschläge im Donner untergehen.

unimpressed meme

Schon in der Szene suggeriert der Song Nachdenklichkeit, eine Zurückgezogenheit. Das, zusammen mit der herbstlichen Atmosphäre des Films, hat nun dafür gesorgt, dass hoa hoa hoa hoa zum Soundtrack dieses Herbstes wurde. Zimt, Kakao, Kerzen, Kuscheldecken. Dieses Jahr scheint sich das Internet verabredet zu haben nicht mehr Harry Potter zu gucken, sondern Twilight.

Twilight-Memes generell sind vor allem deshalb witzig, weil sie die Absurdität des Films hervorheben. Ich sag nur eins:

this is the skin of a killer, bella

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