Du brauchst keine neue Kamera
In diesen Newsletter erkläre ich dir, wie du durch die ersten Frustphasen beim Fotografieren kommst – und dabei eine Menge Geld sparst.
Vor vier Monaten habe ich mir eine alte Playstation gekauft, weil ich endlich Call Of Duty, ein Ego-Shooter, auf der Konsole spielen wollte. Über ein Jahr lang hatte ich das Spiel auf dem Handy gezockt (ja, das geht), doch als im Herbst 2021 die Grafik in Action sah, war es mit mir vorbei.
So suchte ich mir über Ebay-Kleinanzeigen günstige Angebote, und als ich fündig wurde und mit der „Playsi“ nach Hause fuhr, hatte ich Herzklopfen. Ich konnte es nicht erwarten, das Gerät einzustöpseln, Call of Duty herunterzuladen und loszulegen.
Noch am selben Tag saß ich vor dem Monitor und war „in awe“. Die detailreichen, groß angelegten Karten, die ich spielte, liebte ich sofort. Mit dem Fallschirm über einer Insel abzuspringen und die Gegner am Boden wie Ameisen wuseln zu sehen, fühlte sich wahnsinnig toll an.
Ich erlebte einen harten Realitätsabgleich
In derselben Woche fand ich sogar Freunde, die schon eine Weile spielten und mit denen ich zocken konnte. „Geil. Jetzt geht es richtig los“, dachte ich.
Doch dann wurde ich von meinem Unvermögen überrascht. In jedem Spiel bekam ich „auf die Fresse“. Ich verlor und verlor und verlor. Call of Duty ist ein Multiplayer-Spiel, in dem man immer gegen andere Spieler, die auf der ganzen Welt verteilt sind, spielt.
Und ALLE waren besser als ich. Es ist schön, wenn du ein Spiel liebst. Aber es kann verdammt frustrierend sein, wenn du permanent vor Augen geführt bekommst, dass du noch ein Anfänger bist. Das fühlt sich nicht gut an.
Meine Lösung funktionierte nicht
Vor allem, wenn ich mit meinen Freunden in einem Team spielte, wurde mir klar, wie weit ich zurücklag. Während sie die Gegner fertigmachten und sich strategisch klug auf der Karte bewegten, kam ich mir fucking lost vor. Bis ich irgendwann die Lust verlor.
Also meldete ich mich erstmal ab bei meinen Freunden. Ich musste für mich alleine spielen. Und ich begann, mir alle möglichen Erklärvideos auf YouTube anzusehen, in denen echte Profis erklärten, wie man das Spiel gewinnt.
Ich saugte alles auf, machte mir Notizen auf dem Handy und versuchte, alles umzusetzen, was ich gerade gehört hatte. Zu meiner Verwunderung passierte das:
Gar nichts.
Sobald ich wieder auf dem Feld stand und gegen andere Player spielte, verlor ich gnadenlos. Ich bewegte mich genauso stümperhaft, wie vorher und ehe ich mich versah, hatte mich ein Gegner entdeckt und ausgeschaltet. MEINE NERVEN! Am liebsten hätte ich die Playstation direkt wieder verkauft.
Viele Foto-Enthusiast:innen sind zu Beginn frustriert
Ich weiß aus all den Jahren, in denen ich mich mit anderen Fotograf:innen über das Handwerk unterhielt, dass es vielen Einsteiger:innen am Anfang ähnlich geht. Sie sehen im Netz Fotos, die sie bisher noch nie gesehen haben und treffen – fasziniert davon eine Entscheidung:
Das will ich auch.
Das bedeutet: „Ich möchte in der Lage sein, so tolle Fotos zu machen.“ Manche leihen sich eine alte Spiegelreflex, andere nehme einfach ihr Handy, wieder andere kaufen sich eine günstige Kamera.
Sie starten mit großen Hoffnungen, machen jeden Tag Fotos, finden Freude daran, doch irgendwann setzt der erste Frust ein. „Warum zur Hölle sind meine Fotos immer noch so mittelmäßig?“, fragen sie sich. Mega unzufrieden mit den Ergebnissen, zweifeln sie an ihrer Kreativität.
Diese Unzufriedenheit ist nichts Schlechtes. Sie ist die Spannung zwischen dem, wo man hinwill und dem, wo man gerade ist. Du willst hoch hinaus und ultrageile Architekturfotos machen, doch dann erkennst du blass, dass du bei der Aufnahme die Belichtungszeit falsch eingestellt hast oder der Fokus überall war, nur nicht dort, wo er sein sollte.
Die Technik-Falle
Interessanterweise werden genau in dieser Zeit neue, bessere und teurere Kameras extrem attraktiv. Ich nenne das die „Technik-Falle“, in die ich selbst schon getappt bin.
Du bist frustriert mit deinen Ergebnissen – und bekommst (warum auch immer) genau jetzt im Netz Werbung für die neuesten Kameras angezeigt. Lecker! Und du denkst: „Wenn ich DIE habe, dann wird alles besser.“
Spoiler: Wird es nicht.
Denn was dir fehlt, ist eine keine teure Kamera mit allem möglichen Schnickschnack. Was dir fehlt, ist Erfahrung. Und keine Leica, keine Hasselblad und keine fucking Canon kann das wettmachen.
Lass das mal den Papa machen
So wie ich es bei Call of Duty gemacht habe, suchen auch viele Fotograf:innen die Lösung bei Fotoprofis, die ihnen in schick aufbereiteten Videos erklären, mit welchem Trick sie bestimmte Aufnahmen machen können. Sie verraten dir, welchen Regler du im Bildbearbeitungsprogramm in eine Richtung ziehen musst, damit dein Bild auch so fantastisch aussieht, wie ihres. So schön, so gut.
Manche verkaufen sogar Lightroom-Presets. Lightroom ist ein Bildbearbeitungsprogramm, mit dem viele Fotografinnen arbeiten. Und Presets sind vorgefertigte Einstellungen, die du über deine Fotos ziehen kannst, damit sie einen bestimmten Look bekommen.
Andere bieten im Netz „Premium-Workshops“ an, auf denen sie Leuten mansplainen, wie und was sie fotografieren sollen. Viele von ihnen inszenieren sich selbst und zeigen, wie krass gut sie sind. Stromberg würde sagen: „Lass das mal den Papa machen“.
Was du brauchst, ist nicht käuflich
Doch ich möchte an dieser Stelle eine These aufstellen: Selbst wenn du die beste Kamera auf der Welt hast, dir jeden zehn How-To-Videos ansiehst und die teuersten Workshops belegst:
Du kannst dir von Fotoprofis etwas abgucken, ja. Du kannst von How-To-Videos neue Techniken lernen, sicher. Du hast mit einer neuen Kamera mehr Möglichkeiten, logo.
Doch dann fehlen dir immer noch zwei entscheidende Dinge:
Erfahrung. Fehler machen, neu probieren. Immer und immer wieder.
Das Wissen, was du selbst schön findest und wie du das mit der Kamera umsetzen kannst.
Du könntest sagen:
„Naja, Martin, bis jetzt hast du nur gemeckert und alle möglichen Fotoangebote kritisiert.“
Du hast recht. Meckern ist einfach. Alternativen vorschlagen nicht. Deshalb werde ich dir an dieser Stelle sagen, was ich glaube, wie man durch solche Phasen kommt – und dabei eine Menge Geld spart:
Mit naiver Sturheit.
Es mag im Gegensatz zu den funkelnden Angeboten im Netz banal, vielleicht sogar öde klingen, aber die beste Lösung, die ich nach 17 Jahren fotografieren (und ein paar unnötigen Fehlkäufen) kenne, ist die: Weitermachen.
Keine neue Kamera kaufen, keine Workshops belegen, sondern schlicht und ergreifend nicht das Handtuch werfen.
Bevor du dir frustriert eine neue Kamera kaufst oder einen Workshop belegst, kannst du auch eine Pause machen. Vier Wochen. Und dann steigst du wieder ein.
Denn die Learnings, die du auf deinem eigenen Weg machst, sind Schätze, von denen du lange, lange zehren wirst. Die hast du für immer bei dir. Ist das nicht das Beste?
Heute spiele ich Call of Duty immer noch – alleine und mit meinen Freund:innen. Ich habe hunderte Male verloren, aber habe auch schon ein paar Wins verzeichnet. Ich bleibe dran und spüre, dass ich langsam spielerisch aufschließe. Ich bin froh, dass ich nicht aufgegeben habe.
Call of Duty zocken und Fotos machen sind beides Aktivitäten, bei denen durch Erfahrung erlernte Skills das Spiel entscheiden. Beim Fotografieren hast du allerdings einen Vorteil: Du kannst nicht verlieren.
Liebe Leser:innen, habt ihr Fragen über mich oder über die Fotografie, die ich euch beantworten soll? Schreibt mir gerne: martin@krautreporter.de.