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Das Gedächtnis einer Stadt

"Was gilt in Hamburg als schützenswert? Wie konstruiert sich das Gedächtnis einer Stadt? Lässt sich ein Ort durch Bewegung nachzeichnen?"

Mit diesen Fragen haben mich zwei Künstlerinnen Gaetane Douin und Marie-Alice Schultz in Zusammenarbeit mit Claire Walka auf ihre Videoperfomance neugierig gemacht.

BUILDING/S MEMORIES. Im kleinen Wachhäuschen mit den imposanten Säulen am Millerntor konnte man fast ein ganzes Wochenende die ca. zwanzigminütige Installation sehen. 

Zwei unterschiedliche Videos wurden auf die nebeneinander liegende Wände projiziert. Auf einem konnte man Personen sehen, die über ein bestimmtes Gebäude sprachen, ihre erinnerungen und Wünsche mitteilten. Auf der anderen – Gaetane und Marie-Alice mit ihrer Interpretation.

Ich kam etwas zu spät. Die beiden Künstlerinnen saßen auf provisorischen Klappstühlen vor dem Eingang zum Wachhäuschen, während innen die Perfomance lief. Die Wartezeit bis zur nächsten Videosession habe ich genutzt, um die beiden etwas kennen zu lernen und mit ihnen über die Idee zu sprechen. 

Es ging um sechs ausgewählte Bauwerke: Schilleroper, Gründerhaus Zeughausstrasse 44, Postpyramide, Cremonbrücke, Schule Neuhof und Sternbrücke. Alles sehr konfliktbeladene und bewegende Geschichten. 

Letzten Freitag bin durch die Willi-Brand-Straße und an der Abrissstelle der Cremonbrücke geradelt. Zwei tiefe Löcher an beiden Seiten der stark befahrenen Straße erinnern noch an die Brücke. Darüber ist aber spürbare Leere. Wie ein Nachbild auf der Netzhaut, wenn man etwas intensiv anschaut und dann die Augen schliesst. 

Die Schilleroper lag früher auf meinem Weg zur Kita und heute auf dem Weg zum Haus der Familie, wo mein Sohn seine Kurse nach der Schule hat. Da ich nie eine intakte Schilleroper erlebt habe, war das für mich immer eine interessante Ruine. Seit ein Paar Wochen schreiten auch daran die Bauarbeiten voran. Als ob sie entkleidet wird, kommen Schichten an Mauern, Kacheln, Tapeten und dieses wunderschöne Skelett zum Vorschein. Fast möchte man, dass sie so bleibt – wie die Nikolaikirche – ein Mahnmal.

Ich stelle mir gerade – nicht ohne Vergnügen – die tanzenden Türme oder die Elbphi, wunderschön, als schwarzes Skelett vor. Eine dystopische Vorstellung. Gestern erst habe ich mich erinnert, wie sich für mich der alte Mojo anfühlte, oder Mandarin-Kasino-Klub daneben, oder die Skam-Galerie um die Ecke. Genau an der Stelle, wo jetzt die Türme stehen und das Hotel, an der Reeperbahn 1. Geschichten, Anekdoten, Personen mischen sich in diese Erinnerungen. Es sind nicht unbedingt die Gebäude selbst. Mehrere flache, hohe, recht unordentlich aussehende Gebäude, die eher innere Werte besaßen, als architektonische Attraktionen. Damit verbinde ICH etwas. Mit den Türmen oder eher mit dem neuen Mojo-Klub darunter wird vielleicht jemand in 40 oder 50 Jahren etwas verbinden, was möglicherweise genau so aussergewöhnlich für ihr Leben gewesen sein wird, wie für mich diese Ruinen es waren.

Tschüss

Julia Zeichenkind

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