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Zwei Welten

Das Logo von WTH, America? mit einer hängenden US-Flagge

Liebe Leser:innen,

Die Wahl liegt anderthalb Wochen zurück und abseits vom Tagesgeschäft als Korrespondent habe ich meinen Konsum an CNN, New York Times und Auskenner-Podcasts immer noch runtergefahren. Stattdessen: Freunde treffen, nicht alleine grübeln und Schlaf aufholen.

Zwei Fragen, auf die ich noch keine Antwort habe: Wie schlimm wird es? Und woran hat es nun gelegen? Das eine ist noch Spekulation und angesichts der Launen von Donald Trump schwer zu sagen. Das andere ist so komplex, dass es dafür sicher noch sehr viel mehr Zeit braucht – selbst über die Gründe für Clintons Niederlage 2016 wird ja noch erbittert gestritten. Ich werde mir sicher demnächst mehr Zeit für ein paar Gedanken nehmen, warum so viele Wähler:innen lateinamerikanischer Abstammung Trump gewählt haben oder wie sich nun die Demokraten-Botschaften Richtung Arbeiterklasse ändern müssen.

Beleuchten möchte ich heute aber einen anderen Aspekt: den Medienkonsum der US-Amerikaner:innen. Die Wähler:innen leben in zwei sehr unterschiedlichen Medien-Systemen und wenn wir nicht verstehen, wie die Rechten ihre Lügen verbreiten, wächst auch in Deutschland die Gefahr, dass wir eine Abspaltung übersehen.

Let's go.

VERSTEHEN

Wie die US-Amerikaner in zwei verschiedenen Medienwelten leben

Im Grunde reden wir von zwei Welten: Die eine ist die Realität auf Basis von Statistiken und Kennzahlen, die in regulären Medien wie CNN oder der New York Times verbreitet und vielschichtig diskutiert wird. Die andere ist eine gefühlte und von rechten Medien verzerrte Realität, eine Propagandaerfindung.

Sie findet auf Fox News statt, im konservativen Talkradio von Mark Levin und Sean Hannity mit bis zu 15 Millionen Zuhörenden pro Woche, oder im Podcast von Joe Rogan, einer Einstiegsdroge Richtung Maskulinisten und Konträren. Überall dort wird parteiisch und einseitig berichtet und argumentiert: Der Wirtschaft geht es furchtbar schlecht, die Kriminalität ist hoch, schuld sind die Migranten, Trans Menschen, Wokeness, Universitäten und die Demokraten – und nur Donald Trump kann uns retten.

Wer keine Vorstellung davon hat, wie extrem und einseitig diese Medien berichten, braucht nur an einem beliebigen Tag die Schlagzeilen von Real Clear Politics (Opens in a new window) zu lesen – einer Seite, die neutral tut, aber längst ins rechte Lager abgedriftet ist.

Aus deutscher Sicht kaum vorstellbar ist, dass sich diese Welten kaum überlappen, bei uns bekommen die „Bild“-Leser:innen in der Regel ja im Laufe des Tages schon auch noch im U-Bahn-Fernsehen oder beim Durchzappen eine andere Welt mit. Die Wahlniederlage hat den US-Demokraten aber überdeutlich gezeigt, dass sie nicht einmal wissen, dass diese andere Welt existiert. In jedem Motel im Ländlichen läuft im Frühstücksraum Fox News, Zehntausende Autowerkstätten lassen die Talkshows im Hintergrund laufen, und es gibt kaum einen Highschool- oder College-Schüler, der mit seinen Bros nicht irgendwann mal Joe Rogan diskutiert.

Unter den Linken gibt es keine vergleichbaren Marken, die ideologisch so geschlossen argumentieren – wie auch, wenn es der einen Seite um differenzierte Debatte geht, während die andere fokussierte Lügen verbreiten will?

Drei Umfragen zum Medienkonsum und zur Wahl haben zuletzt meine Wahrnehmung stark geprägt.

  1. Republikaner bekommen die meisten Nachrichten von Fox News, Demokraten nutzen am ehesten die vermeintlich neutralen Network-Fernsehsender ABC, CBS oder NBC. Diese geben ihr Programm an kleine Lokalsender weiter, die sogenannten Affiliates, mit einem Lokalnachrichtenfenster. Für viele sind diese Lokalnachrichten die verlässlichsten Quellen von News für ihren Staat. Doch wichtig dabei: Einer der wichtigsten Eigentümer dieser kleinen Sender ist inzwischen die christlich-konservative Sinclair Broadcasting Group. Sie fährt Lokalnachrichten zurück und zeigt in den News-Fenstern mehr und mehr nationale Politik-Themen und hat häufig eine sehr repbulikanische Färbung. Vox (Opens in a new window) erklärt die Hintergründe zu diesem Unternehmen.

  1. Ipsos/Reuters hat in einer Umfrage im Oktober herausgefunden, dass Befragte mit falschen Eindrücken von Immigration und Wirtschaft viel häufiger Trump als Harris wählen wollten. Wer glaubt, dass Kriminalität gestiegen ist und die Inflationsrate immer noch hoch liegt, stimmt für die Republikaner. Wenn man auf Fox News dauernd mit Berichten über die „Migrantenkarawane“ beschallt wird, glaubt man viel häufiger, dass die Zahl der Grenzübertritte ohne Papiere immer noch sehr hoch liegt. Noch viel eher glaubt man das, wenn man auf Social Media oder im verschwörerischen Freundeskreis seine Nachrichten bezieht.

  1. Daten von „Data for Progress“, einem Demokraten-nahen Institut ergaben: Wer sich „sehr viel“ für Politik interessiert, wählt öfter Harris (+6 Punkte im Vergleich zu Trump), die gleiche Tendenz gibt es bei Menschen mit „viel“ (Harris +3) Interesse. Wer sich dagegen „ein wenig“ oder „überhaupt nicht” mit Politik beschäftigt, stimmt viel häufiger für Trump (+7 und bei den komplett Ignoranten sogar +19).

Bar chart of polling data from Data For Progress.
Title: Support for Trump Increases as News Consumption Decreases.
Description: If the November 2024 election for U.S. president was being held tomorrow, and these were the candidates, who would you vote for?
All likely voters — Kamala Harris: 47%, Donald Trump: 48%
Attention to political news - A great deal — Kamala Harris: 52%, Donald Trump: 46%
Attention to political news - A lot — Kamala Harris: 50%, Donald Trump: 47%
Attention to political news - A moderate amount — Kamala Harris: 46%, Donald Trump: 49%
Attention to political news - A little — Kamala Harris: 42%, Donald Trump: 49%
Attention to political news - None at all — Kamala Harris: 32%, Donald Trump: 51%

Oct 5–Nov 3, 2024 pooled surveys of 13,404 interviews of likely voters.

Bei New Republic (Opens in a new window) schreibt Michael Tomasky extrem lesenswert, dass sich die Wähler:innen nicht wegen der tatsächlichen Wirtschaft oder der Inflation entscheiden, sondern wegen ihrer Wahrnehmung dieser Themen, ein großer Unterschied.

Ich bin ratlos, wie sich dieser Graben überbrücken lässt. Für heute ging es mir vor allem darum, für dieses Problem zu sensibilisieren, die Dimensionen waren mir nicht klar.

ANDERSWO

Neue Arbeit von mir an anderer Stelle

Frisch auf dem Tisch liegt die neue Folge vom Podcast „Bei Burger und Bier“ (Opens in a new window) von Bastian Hartig und mir. Darin sprechen wir über die Wahl und ihre Folgen – und sind etwas düsterer als sonst.

https://burgerundbeer.podbean.com/e/trump-und-jetzt/ (Opens in a new window)

Beim RND (Opens in a new window) habe ich in einem Essay darüber nachgedacht, was sich in den USA gerade verschiebt. Es geht los mit der Geschichte des Teleshoppings.

https://www.rnd.de/politik/schock-nach-wahlsieg-von-donald-trump-amerika-was-ist-mit-dir-AXBYOKUO6JFA3CDV3MRF7VYZSM.html (Opens in a new window)

Bei Krautreporter (Opens in a new window) habe ich fünf Schritte aufgeschrieben, mit denen ich mich nun für die kommenden vier Jahre wappne – aktuell durchaus noch mit viel Raum für Trauer.

https://krautreporter.de/politik-und-macht/5622-diese-schritte-helfen-mir-mich-gegen-trump-zu-wappnen?shared=10414d97-3d4b-49c9-b448-47047ee093e0&utm_campaign=share-url&utm_medium=editorial&utm_source=mailchimp.com (Opens in a new window)

Damit verabschiede ich mich für heute, aktuell auf einer kleinen Europareise. Dabei habe ich auch Gelegenheit, ein wenig über die Zukunft dieses kleinen Gartens hier nachzudenken – falls ihr Gedanken oder Wünsche habt, wie ich euch in den kommenden Jahren nützlicher sein kann, schreibt gerne eine Mail (Opens in a new window).

Best from Zweisimmen,

Christian

PS: Solltet ihr „WTH, America“ von Freundin oder Feind weitergeleitet bekommen haben, könnt ihr selbst hier den

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