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Ich schaue – wie jeder vernünftige Mensch – natürlich gerne Markus Lanz. Manchmal alle drei Ausgaben der Woche, manchmal keine, aber im Schnitt doch immer so ein bis zwei. Häufig schlummere ich dabei ein. Erst recht, wenn ich eine der späten Sendungen erwischt habe oder wenn wie am Donnerstag Abend ein Hypnotikum wie Ralf Stegner von der SPD zu Gast ist. 

Ein Mann, bei dem ich mich frage, wie man es mit dieser Aussprache und vor allem mit diesem Gesichtsausdruck in einem kommunikationslastigen Feld wie der Politik so weit bringen konnte. Ralf Stegner ist der ernsteste Mann, den ich kenne. Gut. Vielleicht knapp hinter Wladimir Putin. Wobei ich den schon öfter habe lachen gesehen habe als Stegner.

Ansonsten weiß ich nicht so viel über Ralf Stegner. Ich kenne ihn ja nur aus dem Fernsehen. Vielleicht ist er privat als ausgelassene Stimmungskanone bekannt, schneidet gerne lustige Grimassen und spielt in seiner Freizeit in einer Impro-Comedy-Gruppe der SPD. Vielleicht auch nicht. Ist ja auch nicht schlimm, ernst zu sein. Kann ja nicht jeder wie zum Beispiel Wolfgang Kubicki dauerhaft die Heiterkeit eines Herrenwitzes aus den frühen Siebzigern ausstrahlen.

Was ich aber über Ralf Stegner weiß: Er ist Mitglied des aktuellen Bundestags. Davor war er Landespolitiker in Schleswig-Holstein. Finanzminister war er dort, Innenminister ebenso und bei der Wahl 2009 sogar Spitzenkandidat. Bei dieser Abstimmung stürzte die SPD von 38,7 auf 25,4 Prozent ab. Wer den eher defensiven Charme des Ralf Stegner schon einmal erlebt hat, kann es den Wählern nicht verübeln. 

Stegner wird von manchen auch als „Putinversteher“ bezeichnet. Würde ich jetzt nicht unbedingt so ausdrücken, aber die ein oder andere recht diskutable Parole zum Themenfeld Russland hat er dann doch schon getwittert oder dem Markus in seiner von mir so häufig geschauten Sendung gleich mündlich geliefert.

Andere Sachen liefert Stegner allerdings nicht so gerne. Zum Beispiel Waffen in die Ukraine. Er hat die Entscheidung seiner Partei diesbezüglich mitgetragen, sagt er, habe aber persönlich starke Bedenken. Übersetzt bedeutet das: Er ist eher dagegen.

Nun werden versierte Leser dieses Newsletters denken, so langsam wissen sie, in welche Richtung es heute thematisch geht: Ralf Stegner ist doof und bitte sofort alles, was Munition verschießen kann in die Ukraine. Aber genau hier schwenke ich mal locker um 180 Grad wie eine gut geölte Panzer-Kanone.

So schwer es mir fällt, es mir einzugestehen: Ich kann Ralf Stegner ein wenig verstehen.

Ich werde allerdings dabei den Fakt ignorieren, dass die Ukraine ohne die bisherigen Lieferungen den Krieg laut Ansicht vieler Experten bereits verloren hätte. Ich will nicht, dass die Ukraine verliert. Fast niemand außerhalb des Einflussgebiet des russischen Staatsfernsehens möchte das. Ralf Stegner auch nicht. Trotzdem war er noch im April diesen Jahres gegen Waffenlieferungen. Ginge es nach Stegner, wäre die Ukraine heute also vielleicht schon von Russland eingenommen worden.  

Stand jetzt, im Nachhinein betrachtet, könnte man also sagen: Es war gut, richtig und wichtig, der Ukraine Waffen zu liefern. Würde ich sofort unterschreiben.

Das Problem mit einer Betrachtung im Nachhinein ist aber, dass sie ziemlich häufig im Nachhinein betrachtet wird. Nun aber stehen wir vor einem neuen Problem: Die Ukraine möchte schwere Kampfpanzer. Absolut verständlich. Nur können wir eben nicht im Nachhinein betrachten, was bei der Lieferung geschieht, sondern müssen es prognostizieren.

Um das etwas einfacher zu machen, werde ich ein paar sehr frei von mir geschätzte Wahrscheinlichkeiten verwenden.

  • Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine den Krieg stand jetzt gewinnt: 50 Prozent.

  • Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine den Krieg mit Hilfe der Lieferung noch schwererer Waffen wie Kampfpanzern gewinnt: 75 Prozent.

  • Wahrscheinlichkeit, dass der unkalkulierbare Putin den Krieg über die Grenzen der Ukraine ausweitet, wenn noch schwerere Waffen geliefert werden: 10 Prozent.

Sieht erst mal nach einer einfachen Rechnung aus. Wir liefern schwere Waffen, erhöhen die Siegchance der Ukraine auf 75 Prozent und nehmen dabei ein nur zehnprozentiges Risiko in Kauf, dass sich der Krieg auf andere Länder ausweitet.

Nun klingen 10 Prozent tatsächlich wenig. Aber wenn dir jemand einen zehnseitigen Würfel in die Hand drückt und sagt, wenn die fünf fällt, stirbst du, klingt eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit auf einmal deutlich bedrohlicher. Zudem hat Russland – auch wenn wir diese Gefahr in Kauf nehmen – immer noch eine 25-prozentige Wahrscheinlichkeit zu gewinnen.

Was also machen? Schwere Panzer liefern? Oder nicht? Ich weiß es nicht. Daher kann ich Ralf Stegner wirklich gut verstehen. Und ich bin auch sehr froh, es nicht entscheiden zu müssen.

Ich bin sehr unsicher. Aber ich habe eine Tendenz.

Was Russland macht, ist unverantwortlich und wir sollten Putin als Staatengemeinschaft damit nicht durchkommen lassen. Ja, es gibt ein Risiko, dass sich der Krieg ausweitet, wenn schwere Waffen geliefert werden. Vielleicht sogar bis Deutschland. Das ist eine sehr unangenehme Vorstellung. Aber ich denke, die moralische Pflicht, der Ukraine jetzt beizustehen, überwiegt dieses Risiko.

Ich kann – und hier wendet sich der Newsletter ein weiteres mal – Ralf Stegner nicht Recht geben. Ja, es ist nicht sicher, dass die Ukraine nach der Lieferung von Kampfpanzern gewinnen wird. Ja, es ist eine furchtbare Vorstellung, dass Putin irgendwann endgültig durchdreht und diesen Krieg komplett eskalieren lässt. Ja, ich verstehe jeden, der deshalb Bedenken hat, Panzer zu liefern. Und trotzdem bin ich dafür, dieses Risiko einzugehen.

Es ist – vielleicht ist es dieses eine mal wirklich so simpel – mit einer hohen Wahrscheinlichkeit das Richtige.

Apropos Wahrscheinlichkeit! Es gibt eine weitere Wahrscheinlichkeit, die ich bisher unerwähnt ließ: Wahrscheinlichkeit, dass Putin einfach so weitermacht, wenn die Ukraine erst einmal besiegt wurde: 90 Prozent.


Voraussichtlich bis bald

Peter

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