Wie man sich die Methoden der extremen Rechten zunutze macht
Moin,
es gibt viele Menschen, die sich schon seit Jahren für eine bessere Medienkompetenz stark machen und dagegen anschreiben. Einer von ihnen ist Thomas Laschyk - der Gründer von Volksverpetzer, der unserem Newsletter ein Interview gegeben hat. Wie er seine Faktenchecks schreibt, wird manchmal als “unseriös” wahrgenommen. Er erklärt uns, warum es diese vermeintliche “Unseriösität” braucht, um Menschen jedweder Medienkompetenz zu erreichen.
Außerdem freuen wir uns, dass das Interview mit Rhetoriktrainer Malte Krüger in im aktuellen Podcast von “Lage der Nation” erwähnt wurde. Wer sie nachhören möchte, kann das HIER (Opens in a new window) tun. Das Gespräch mit Malte lest ihr HIER (Opens in a new window).
Jetzt gehts los! Herzliche Grüße!
“Es gibt ein grundlegendes Missverständnis darüber, was seriös und was unseriös ist.”
Thomas Laschyk ist Gründer des Online-Blogs “Volksverpetzer”. Seit 2014 nutzt er den Blog, um gegen Hass und Desinformation anzuschreiben. Er erkannte schnell, was hinter dem Glauben an Fakes steckte: Geschichten und Narrative. Seine Masterarbeit schrieb er 2018 über story telling in Social Media Fake News.
Im seinem ersten Buch “Werbung für die Wahrheit” erklärt Thomas Laschyk, warum Menschen wirklich auf Fake News hereinfallen und warum deshalb so viel der Aufklärungsarbeit verpufft. Er beschreibt, was in der deutschen Medienlandschaft falsch läuft und rechnet auch mit der Verantwortung einiger klassischer Medienhäuser im Aufstieg der Desinformation ab. 👉 Hier könnt ihr es bestellen (Opens in a new window)!
Thomas, sind du und das Team vom Volksverpetzer unseriös?
Thomas Laschyk: Ich bin seriös. Soll heißen, ich gebe meine Quellen an. Ich sage nichts, was ich nicht belegen kann. Belegbarkeit, Transparenz und Selbstkritik machen Seriösität. Viele verwechseln aber die Präsentation einer emotionsarmen unaufgeregten Haltung damit. So kann man seriös sein, das aber auch vorspielen. Ich bin lieber ehrlich mit meiner Haltung und Gefühlen.
Ich erkläre auf Volksverpetzer zudem meine Sprache. Insbesondere, wenn ich satirische oder überzogene Überschriften wähle, erkläre ich das: “Seht ihr, was ich hier gemacht habe? Nämlich genau das, was die extreme Rechte macht und wie sie Desinformation verbreitet.” So erkläre ich den Effekt, den diese Strategie erzielt. Viele Menschen werden von übertriebenen Überschriften emotional angesprochen - und machen sich keine Gedanken mehr darüber, ob etwas seriös ist. Ich nutze dieses System aus.
Warum halten dich einige Journalist:innen für unseriös?
Ich glaube, es gibt ein grundlegendes Missverständnis darüber, was als “seriös” wahrgenommen wird und was nicht. Die Politiker und Journalisten entstammen häufig einem Milieu mit sehr großer Medienkompetenz oder haben diese gelernt. Das macht sie aber manchmal blind dafür, wie andere Menschen “Storys” wahrnehmen. Nur, weil für Journalisten, die bei etablierten Zeitungen arbeiten, etwas “offensichtlich unseriös” ist, trifft das nicht auf andere zu. Man sieht das daran, dass komische Sharepics voller Rechtschreibfehler Millionen Menschen erreichen und überzeugen können. Oder die AfD: Sie ist offensichtlich unseriös und trotzdem glauben ihr Millionen.
Wie genau nutzt du die Lücke zwischen unseriös und seriös, zwischen Emotionen und Fakten aus?
Dazu gebe ich ein Beispiel: In den Anfangsjahren von Volksverpetzer, als wir noch ein klassisches Online-Blog waren, habe ich einen Artikel geschrieben, der hieß: “Skandal! Flüchtlinge vermüllen Augsburger Innenstadt (Opens in a new window)”. Dazu habe ich ein Bild von einem Müllberg aus dem Internet gestellt - zu sehen war die Stadt Marseille während des Streiks der Müllabfuhr, wie mir Leser später erklärten. Ich wusste das selbst nicht einmal. Denn es war natürlich eine völlig frei erfundene Geschichte. Schon im ersten Satz stand das auch: “Das stimmt natürlich alles nicht. Kein Flüchtling hat in Augsburg irgendwas vermüllt”. Aber nur, wer auf die Geschichte geklickt hat, konnte herausfinden, was hinter der Überschrift steckt.
Der Artikel ging viral, mein Server brach zusammen - auch, weil so viele aus dem extrem rechten Spektrum in die Falle getappt waren und den Artikel ungelesen teilten. Da habe ich das erste Mal erlebt, dass man mit cleveren Überschriften auch Reichweite für Fakten generieren kann.
Das ist heute das Markenzeichen von Volksverpetzer. Wie würdest du bezeichnen, was du heute machst?
Manchmal sage ich, ich sei Journalist. Aber eigentlich bin ich das nicht. Und ein Aktivist bin ich auch nicht. Vielleicht bin ich genau in der Mitte: mit beiden Beinen im Journalismus und im Aktivismus - ein Journalismusaktivist, wenn es sowas gibt.
Du versuchst mit emotionalisierenden Überschriften auf Fakten zu verweisen. Die Neue Rechte hingegen umgeht mit ihren Emotionen Fakten oder verdreht sie eher.
Und das macht sie sehr gut. Gerade auf Social Media werden Nutzer von Emotionen überrumpelt. Sie haben weder die Zeit noch die Medienkompetenz, bei jedem Video abzuklopfen, ob die Geschichten, die ihnen erzählt werden, stimmen. Ich mache das genauso, Abonnenten unserer Kanäle emotionalisieren, aber sie dann eben mit Fakten versorgen. Ich will den Neuen Rechten auf Social Media nicht das Feld überlassen. Das bedeutet aber auch, dass ich von Zeitungen als “unseriös” wahrgenommen werde, sie mich nicht aufgreifen, nicht zitieren. Aber - und hier mache ich mir das zunutze, was die Rechtsextremen längst sehr gut praktizieren - ich habe mittlerweile eine so große Reichweite, dass ich mein Zielpublikum auch an den klassischen Medien vorbei erreichen kann.
Wie haben sich in den vergangenen zehn Jahren, seit du diese Arbeit machst, die Fake News verändert?
Die ganze Szene hat sich stark professionalisiert. Die klassische Lüge, die frei erfundene Geschichte, wie es sie 2015 noch gab, existiert heute kaum noch. Sie kann zu leicht enttarnt werden und das macht einen angreifbar. Heute werden eher Sätze oder Bilder aus dem Zusammenhang gerissen, Abläufe absichtlich falsch dargestellt. So kann sich die Neue Rechte darauf berufen, dass es ja “trotzdem so gesagt wurde” - und das Narrativ kann für jene, die daran glauben wollen, aufrechterhalten werden.
Welche Narrative haben die vergangenen Jahre bestimmt?
Auch wenn die Themen unterschiedlich waren, von Fridays for Future über Covid, die Impfung, den Ukraine-Krieg bis zur Energiewende - die kreierten Feindbilder sind in all den Jahren sehr ähnlich geblieben: die Grünen, die Regierung, die Medien, die Migranten. Aber das erfolgreichste Desinformationsnarrativ der gegenwärtigen Geschichte ist die Verknüpfung von Kriminalität und Migration - und das in einer Zeit zwischen 2017 und 2022 mit der niedrigsten Kriminalitätsrate in der deutschen Geschichte. Man muss nur das Wort Kriminalität aussprechen und schon denken alle an Migration.
Ein Narrativ, das längst nicht mehr nur von extrem Rechten bedient wird.
Nein, es schwappt immer mehr in den Mainstream. Medien, allen voran aus dem Axel-Springer-Verlag übernehmen sie. Aber auch Politiker von CDU, FDP, SPD.
Warum passiert das?
Medien, wie Bild oder Welt, setzen gezielt auf rechtspopulistische Empörung, weil es enorm Klicks bietet. Wir haben bei Volksverpetzer mehrere Analysen gemacht, als die Welt beispielsweise zur Coronavirus-Pandemie Desinformationen verbreitet und ihre Leser getäuscht hat. Das war zwar grottenschlechter Journalismus, aber dort jubelte man darüber. Denn sie haben gleichzeitig Rekordabschlüsse bei den Abos gemacht.
Man kann mit solchen Narrativen Geld verdienen und es skrupellos als Geschäftsmodell sehen. Rechte Medien haben das erkannt und bauen sich eine alternative Medienwelt auf von Zeitungen über Blogs bis Youtube-Kanälen. Aber der Rest der Medienlandschaft schläft immer noch und plappert deren Mythen nach oder lädt AfD-Politiker in Live-Talkshows ein. Und dann werde ich bei der nächsten Konferenz von Journalisten gefragt, was man gegen Desinformation tun könne.
Und warum glaubst du, übernehmen demokratische Politiker:innen die Narrative?
Sie haben immer noch nicht begriffen, wie die extreme Rechte, oder Populismus im Allgemeinen, funktioniert. Da kann man ihnen 1.000 Studien vorlegen. Sie denken weiterhin, dass es funktioniert, Wähler zu sich zu locken, wenn sie Themen anderer Parteien übernehmen. So wie Angela Merkel sozialdemokratische Themen von der SPD übernommen hat. Und weil demokratische Parteien für Inhalte stehen, verlieren sie, wenn andere Parteien ihre Themen besetzen. Für populistische Parteien sind Inhalte aber höchstens Platzhalter für Propaganda und die dahinterstehenden Narrative. Die AfD hat sich nicht für eine Bezahlkarte für Migranten gegründet. Die AfD hat sich als Anti-Euro-Partei gegründet und möchte heute Massendeportationen.
Wie wichtig ist Sprache für die Neuen Rechten?
Es ist alles, was sie haben. Und sie sind sehr gut darin. Vor allem, weil sie nicht regieren müssen und bislang keine Versprechen, die sie geben, brechen mussten. Sie können lügen und täuschen, wie sie wollen - und es hat keine Konsequenzen. Auch, weil sie ihre Follower ideologisch komplett abgeschottet haben und insbesondere durch Social Media einen eigenen Debattenraum haben, in dem klassische Spielregeln - beispielsweise die Evaluierung durch eine Redaktion, die verantwortungsbewusst mit Informationen umgeht - nicht gelten. Noch dazu werden die emotionalen Inhalte von den Algorithmen der Plattformen gepusht. Social Media und Populismus ist ein “match made in heaven”. Man könnte so weit gehen und sagen: Social Media hat den heutigen Populismus erst möglich gemacht.
Welches progressive Gegennarrativ könnte man dagegensetzen?
Eins könnte das mittlerweile etwas abgedroschene “Wir sind mehr” sein, das sich nach den Correctiv-Enthüllungen deutlich auf den Straßen gezeigt hat: “Wir stehen für Zusammenhalt”, “Wir reichen einander die Hand”.
Ein zweites sehen wir gerade jetzt in den USA, wo die Demokraten mit Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris und ihrem Vize Tim Walz zu ihrem Lachen zurückgefunden haben. Ihr Optimismus kann als positives Gegennarrativ zu den dystopischen Erzählungen der extremen Rechten stehen: “Wir haben Freude”, “Wir sind optimistisch”, “Wir machen die Welt besser, in dem wir zusammenarbeiten” - und zwar über künstliche Grenzen hinweg.
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