Warum die AfD so viel über Demokratie redet
Hallöchen,
nachdem wir in den vergangenen beiden Ausgaben unseren re:publica-Vortrag nochmals für euch aufgeschrieben haben, könnt ihr ihn nun auch nachschauen (Opens in a new window), wenn ihr das wollt😍.
Kommen wir jetzt aber zu den aktuellen Entwicklungen (und nein, die TV-Debatte zwischen Wagenknecht und Weidel haben wir “leider” verpasst): Aber da gibt es derzeit ja kein Vorbeikommen an der Streitfrage um ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD.
Der aktuelle ARD-DeutschlandTrend (Opens in a new window) zeigt, dass 42 Prozent die Einleitung eines solchen Verfahrens für angemessen halten, das sind fünf Punkte mehr als im Februar. Aber mehr noch, insgesamt 46 Prozent, sprechen sich gegen so ein Verfahren aus. Gleichzeitig sind 68 Prozent aller Befragten der Meinung, eine starke AfD gefährde die Demokratie und den Rechtsstaat.
Wir haben hier noch keine endgültige Überzeugung gefunden und deshalb würde uns auch eure Meinung interessieren: Ist der AfD noch mit anderen Mitteln beizukommen? Wenn ja, welche? Oder muss ein Parteiverbotsverfahren, mit allen Konsequenzen und Unsicherheiten, kommen? Schreibt uns gern: wierechtereden@proton.me (Opens in a new window).
Passend dazu widmen wir uns heute und kommende Woche der AfD und ihrem Demokratie-Begriff!
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Worum geht’s?
“Mehr Demokratie wagen (Opens in a new window)!”
Was?! Geht’s heut ernsthaft um den ehemaligen SPD-Kanzler Willy Brandt?
Nein.
Es geht um die AfD und ihre Umdeutung und Nutzung des Demokratie-Begriffs.
Dazu zählt, dass sie sich die Aussage Brandts, die zum Leitmotiv seiner Kanzlerschaft wurde (Opens in a new window), mehrfach zu eigen gemacht hat.
In einigen Anträgen berief sich beispielsweise die AfD-Bundestagsfraktion darauf. 2021 wollte sie “Mehr Demokratie wagen und eine Bürgerstunde im Bundestag einführen (Opens in a new window)” und 2023 plante sie “Mehr Demokratie wagen - Echte Bürgerbeteiligung durch bundesweite Volksentscheide statt Bürgerräte (Opens in a new window)”.
Aber auch AfD-Landesverbände, etwa in Bayern (Opens in a new window) und Brandenburg (Opens in a new window), stellten Kampagnen unter den Titel “Mehr Demokratie wagen”.
Dass sich die AfD bei Willy Brandt bedient, ist nur ein Beispiel dafür, wie die in Teilen rechtsextreme Partei seit Jahren schon ihre demokratische Verfasstheit betont. Wie und warum sie das macht, das schauen wir uns heute genauer an.
Kommende Woche wollen wir dann darauf eingehen, was die AfD eigentlich genau meint, wenn sie von Demokratie spricht.
Das ist die Strategie dahinter
Unser Eingangszitat stammt vom AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner. Wie seine Rede weitergeht, dazu kommen wir gleich.
An dieser Stelle wollen wir aber einen kurzen Einschub machen, weil Brandner aktuell in der Berichterstattung ist. Diese Woche wurde seine Immunität aufgehoben (Opens in a new window) und damit der Weg für ein Strafverfahren gegen ihn frei gemacht. Laut t-online (Opens in a new window) ist der Grund, über den der Jurist Brandner gerade nicht sprechen darf, dass er eine Spiegel-Journalistin als “Faschistin” bezeichnet hat (über den Fall gibt es mehrere Berichte, unter anderem auf Legal Tribune Online (Opens in a new window)).
Dagegen ging die Journalistin vor und erwirkte im Januar vor dem Landgericht Berlin, dass Brandner aufgrund seiner haltlosen Aussage ein Ordnungsgeld bezahlen musste. Nur: Danach wiederholte Brandner die Aussage noch zweimal öffentlich und nannte die Journalistin “Oberfaschistin” und “Spiegel-Faschistin”. Beide Aussagen zogen im April und im August weitere und höhere Ordnungsgelder nach sich, die sich auf mittlerweile 50.000 Euro (Opens in a new window) summieren. Aus dem Rechtsstreit entwickelte sich nun offenbar ein Strafverfahren.
Aber zurück zu “Mehr Demokratie wagen2, auf das sich Brandner mehrfach bezogen hat. Er sagte beispielsweise in einer Bundestagsrede 2022 (Opens in a new window), dass es sich dabei um “gelebte DNA” der AfD handle, die Überzeugung dahinter ziehe sich wie ein “blauer Faden durch unsere Arbeit in den Ländern”, was sich darin äußere, dass die AfD mehr direkte Demokratie, “Stichwort Volksentscheide”, eine Amtszeit-Begrenzung für den Bundeskanzler oder die Abschaffung der parlamentarischen Staatssekretäre fordere.
Von den konkreten Zielen abgesehen, dürfte die Strategie hinter der Einverleibung des Brandt-Zitats sein, sich als 🔎lupenreine demokratische Partei darstellen und somit einmal mehr verharmlosen und normalisieren, also als eine Partei unter vielen darstellen zu wollen.
Und was sollte sich dafür besser eignen, als sich mit der historischen Bedeutung eines Friedensnobelpreisträgers und großen Demokraten aufzuladen?
Aber schon 2016, als die AfD erstmals “mehr Demokratie wagen” wollte, reagierten SPD-Politiker:innen empört. Der damalige stellvertretende Bundesvorsitzende der Sozialdemokraten, Ralf Stegner, sagte (Opens in a new window) beispielsweise:
“Der Antifaschist, Flüchtling und spätere Parteivorsitzende der SPD, Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt hätte für so einen rechtspopulistischen Haufen allenfalls Verachtung übrig gehabt. Insofern ist der Versuch der AfD, sich für ihre üble Propaganda gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger ein sozialdemokratisches Gütesiegel zu klauen, ebenso unverschämt wie lächerlich.”
♥️ AfD belebt die Demokratie
Es gibt noch weitere Demokratie-Narrative, die die AfD in den vergangenen Jahren etablieren wollte. Eines ist ihre Selbstbeschreibung als “größtes Demokratieprojekt der letzten Jahre (Opens in a new window)”. Die Aussage tätigte nach der Landtagswahl in Thüringen 2019 der damalige stellvertretende AfD-Bundessprecher, Georg Pazderski. Und Björn Höcke, der dort damals schon Spitzenkandidat war, ergänzte, dass die AfD als großer “Demokratiebeleber” wirke, weil sie von allen Parteien die meisten Nichtwähler:innen an die Urne gebracht habe. Und das stimmt. Analysen zeigten, dass die AfD viele Menschen mobilisieren und an sich binden konnte, die zuvor keine politische Heimat gefunden und deshalb nicht gewählt hatten.
Eine Belebung der Demokratie stellte der Soziologe Robert Feustel 2019 deshalb aber nicht fest. Er sagte damals im Deutschlandfunk (Opens in a new window), dass zwar durchaus eine “Repolitisierung” stattgefunden habe, dass also mehr Menschen gewählt hätten. Allerdings ergebe sich daraus nicht automatisch mehr Demokratie, nur weil viele mitmachen wüden: “[…] Wenn knapp 24 Prozent in Thüringen einen Faschisten wählen, der dazu angetreten ist, die Demokratie, wie wir sie kennen, abzuschaffen, dann ist das nicht nur ein gutes Zeichen einer Repolitisierung.”
Die Strategie, gute Wahlergebnisse zu nutzen, um sich als demokratische Partei zu präsentieren, nutzt die AfD bis heute. Zuletzt bei den diesjährigen Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, bei denen sie entweder die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten oder knapp auf Platz zwei landete. Und es stimmt ja auch: Die AfD ist damit eine Partei, die sehr erfolgreich bei demokratischen Wahlen abgeschnitten hat.
Aber ist sie deshalb eine demokratische Partei?
Davon sind zumindest ihre Anhänger:innen überzeugt. Das liegt sicherlich auch daran, dass sich die AfD mit einprägsamen Erzählungen einen demokratischen Anstrich verliehen hat.
Ob das auch inhaltlich gilt, könnte schon bald auf den Prüfstand kommen und dürfte ein weiterer Grund für das aggressive Demokratie-Selbst-Labeling der AfD sein: Sie will ihre Wähler:innen und Unterstützer:innen auf ein mögliches Parteiverbotsverfahren vorbereiten.
🛡️ Immunisierung der eigenen Wähler:innen
Grundsätzlich gilt: Eine Partei in Deutschland muss demokratisch sein. Das legt das Grundgesetz fest. In Artikel 21 heißt es dazu (Opens in a new window):
“Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.”
Das Problem der AfD: Zuletzt hieß es, dass eine fraktionsübergreifende Gruppe (Opens in a new window) im Bundestag ein Verbotsverfahren (Opens in a new window) und damit eine Prüfung der Verfassungswidrigkeit der AfD vorantreibt.
Gründe dafür gibt es: Die AfD-Bundespartei wurde als rechtsextremer Verdachtsfall und drei ostdeutsche Landesverbände, sowie die Nachwuchsorganisation Junge Alternative wurden von Verfassungsschutz-Organisationen als gesichert rechtsextrem eingestuft. Dazu kommen zahlreiche nachgewiesene Verbindungen in die rechtsextreme Szene, wie beispielsweise eine BR-Recherche aus dem Frühjahr aufgedeckt hat: “AfD im Bundestag beschäftigt mehr als 100 Rechtsextreme (Opens in a new window)”.
Das alles sind undemokratische Tendenzen.
Wenn sich die AfD also als besonders demokratisch darstellt, geht es ihr wohl auch darum, ihre Wähler:innen gegen Argumente, die im Laufe eines Verbotsverfahrens vorgebracht werden könnten, zu immunisieren.
🎥 Die Realität umkehren
Eine Strategie, um das zu erreichen, ist die Diskreditierung des gesamten Staatsapparats. Beispielsweise erzählt die AfD immer wieder, dass der Verfassungsschutz gelenkt werde, die Justiz nur “politische Schauprozesse” durchführe und alle anderen Parteien - die sogenannten “Kartellparteien” - unter einer Decke stecken würden.
Ein Beispiel für das letzte Narrativ zeigt ein X-Beitrag (Opens in a new window) des Faschisten Björn Höcke (Opens in a new window). Darin schreibt er, dass in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland zwar die Regierungen gewechselt, es aber “keinen Machtwechsel” gegeben habe. Der Grund: Alle anderen Parteien würden ein Kartell bilden - also eine verbotene Vereinigung (Opens in a new window), die, so könnte man die Aussage Höckes weiterführen, dank geheimer Absprachen den politischen Wettbewerb zerstören und insgeheim kollaborieren würden. Umgekehrt hingegen sei die AfD, so schreibt es dann wieder Höcke, nicht nur “Scheinopposition”.
Setzt man alle diese Aussagen zu einem Weltbild zusammen, ergibt sich eine vollkommen andere Realität. Eine Realität, in der die AfD die einzige demokratische Partei ist und alle anderen Parteien antidemokratische Ziele verfolgen, sich dazu dem Verfassungsschutz und der Justiz bedienen und nicht einmal vor einem Parteiverbotsverfahren zurückschrecken, um mit der AfD die einzig wahre Opposition zu eliminieren.
Und dieses Weltbild verfängt, wie uns in einer früheren Newsletterausgabe (Opens in a new window) der Politologie Marcel Lewandowsky erzählt hat. Darin sagte er, dass es die AfD geschafft habe, ihren Wähler:innen zu vermitteln, dass sie “in einer totalitären Diktatur ohne Meinungsfreiheit leben” würden. Bei vielen Anhänger:innen habe sich zudem das Bild verfestigt, dass sie mit ihrer Wahl für die AfD für die Demokratie stimmen würden.
Nur, für was für eine Demokratie steht die AfD eigentlich?
Darum geht es kommende Woche.
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