Der Glücksgriff
Oboistin Miriam Hanika ist Liedermacherin und Komponistin - eine Frau mit klaren Ideen
Am Anfang greift Miriam Hanika erst einmal daneben. Eigentlich möchte sie ausprobieren, ob sie Spaß mit der Klarinette haben könnte. Doch sie holt versehentlich eine Oboe aus dem Musikschrank ihres Vaters im hessischen Lauterbach. Die Holzblasinstrumente sehen sich für Laien zum Verwechseln ähnlich.
Miriam Hanika hätte einfach tauschen können, „doch irgendwie fand ich das witzig“, erinnert sich die 32-Jährige an diesen Tag vor zwanzig Jahren, und im Ohr hatte sie damals auch gleich wieder den klaren Klang ihrer frühen Kindheit, als der Vater Oboe spielte. Und so wurde es die Oboe statt der Klarinette.
Im Rückblick erweist sich dieser Fehlgriff als Glücksgriff. Allerdings nicht gleich. Erst einmal kämpft Miriam Hanika. Zwei Hürden reißt sie mit ihren damals zwölf Jahren nicht: So eine Oboe muss vor dem Spielen aus drei Teilen zusammengesetzt werden, das macht den Weg zum Üben für einen Teenie, auch einen musikalisch ausgesprochen begabten, schwierig. Und, schlimmer noch, das Doppelrohrblatt. Eine komplizierte Sache, die Oboe damit zum Klingen zu bringen. Also hört Miriam Hanika wieder auf.
Foto: Manuel Nieberle
Drei Jahre später will sie von ihrem hessischen Gymnasium auf das Musikinternat Schloss Belvedere in Weimar wechseln, doch nicht mit Klavier als Hauptfachinstrument. Klavier lernen viele, um hier ganz vorne mitzuspielen, muss man brillant sein. Und sehr, sehr, sehr viel üben. Miriam Hanika möchte lieber ein orchester-taugliches Instrument wählen, und erinnert sich an die Oboe. Es packt sie – und sie packt Weimar.
Von da an scheint die Richtung klar. Nach dem Abitur studiert Miriam Hanika Oboe und Englischhorn in München, schließt mit Bachelor und Master ab, gewinnt erste Preise. Die Welt der Orchestermusik könnte ihr offenstehen, in ersten Vorspielen kommt sie in die Endrunde. Und ist es nicht das, was der Sinn dieses Studiums ist und was alle Oboisten wollen, einen sicheren Platz in einem sicheren Orchester für eine sichere Zukunft?
Doch Miriam Hanika zögert. Was will sie für ihr Leben? Die Sicherheit einer Anstellung im Orchester oder die Freiheit einer freischaffenden Musikerin, Liedermacherin, Komponistin? Sie entscheidet sich. Mit Sicherheit für Freiheit.
Und gegen den „je nach Orchester Knochenjob. Für mich hatte sich schon während meines Studiums vieles anders dargestellt, als man sich das in seinem jugendlichen Leichtsinn so vorstellt.“ Seite an Seite mit Musiker-Egos, in Ensembles, in denen Mobbing und zwischenmenschliche Probleme ein offenes Geheimnis sind, „und am Ende ist es für viele doch einfach nur ein Job. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass das die Welt ist, in der ich mich 40 Jahre bis zum Renteneintritt bewegen möchte. Ich bin mit sehr vielen Idealen in dieses Studium gegangen und das hat am Ende einfach nicht mehr zusammengepasst.“
Ihre Entscheidung fühlt sich richtig an. Aber was nun? Miriam Hanika sitzt ihrem angemieteten Tonstudio in München und muss, darf, will sich eine eigene Zukunft aufbauen.
Sie findet sie in sich selbst. In der Musik, die in ihr klingt.
Foto: Ruben König
Die Ernüchterung über die Perspektiven als Orchestermusikerin „muss ich gleich beiseite fegen. Denn was dazu kam, war, dass ich schon vor und während meines Studiums angefangen habe meine eigenen Texte und Lieder zu schreiben. Ich war ein Glückspilz, ich hatte einen Plan B, der für mich letztlich der richtige war.“
Sie konzentriert sich aufs Komponieren, auf ihre warmherzige, zarte, selbstbewusste Musik, die sie gar nicht erst in ein Genre einordnen will. Je mehr Lieder sie schreibt, desto mehr entwickelt sie ihren Stil. Es ist ein Herantasten an das, was zu ihr passt. Sie schreibt ihre eigenen Texte, poetische, politische, gesellschaftskritische. „Ich sage gerne: Andere Leute lesen Kaffeesatz, ich schreibe meine Lieder, weil meine Lieder im Nachhinein oft eine andere Bedeutung bekommen.“
Ein Jahr lang arbeitet Miriam Hanika an ihrem ersten großen Album, versucht sich einzufinden in diese neue Welt, ein Publikum zu finden in ihrem neuen Leben als freie Musikerin. „Es gehört immer wieder sehr viel Mut dazu. Sehr viel Hoffnung. Sehr viel Kreativität.“
„Wanderlust“ nennt sie ihr erstes Album, es erscheint 2019. Das zweite, „Louise“, kommt im Mai 2021 heraus und wird für den Preis der deutschen Schallplattenkritik nominiert. Das dritte ist ein Kind der Pandemie und fertig für eine noch nicht datierte Veröffentlichung, das vierte in Gedanken schon strukturiert. „Ich frage erst einmal nicht, wie viele Alben ich verkauft habe und ob es sich lohnt, das nächste zu machen. Sondern ich mache Musik, weil ich es machen muss. Weil es für mich ein ganz, ganz dringendes Bedürfnis ist, meine Musik aufzuschreiben, aufzunehmen, sie mit anderen Musikern zusammen zu spielen. Wie viele Leute sie dann hören, das ist die nächste Frage, die natürlich essenziell ist für jeden Musiker und Künstler. Wenn man so viel Arbeit reinsteckt, ist es natürlich schön, wenn auch finanziell etwas zurückkommt. Das ist schön und es ist auch wichtig. Aber bisher hat es sich immer ergeben.“
Foto: Manuel Nieberle
Als die Lieder für „Louise“ entstehen, denkt Miriam Hanika viel nach über die Rolle von Frauen in dieser Welt, über weibliche Vorbilder und die Position von Frauen in der freien Musikszene. Die deutsche Liedermacher-Szene ist männlich dominiert, sich hier als Frau zu behaupten, die nicht nur einen netten Eindruck auf der Bühne macht und ihr Liedchen singt, aber dabei bitte gutaussehend, ist eine Herausforderung.
Was in solchen Situationen hilft: der Blick zurück. Ihre emanzipierte Urgroßtante Louise hat diesem Album seinen Namen gegeben, eine taffe Frau mit dem Herz einer Löwin, geboren im falschen Jahrhundert. Eine Frau, die sich mit Politik und Kirche angelegt hat, als das Wort des Geistlichen noch Gesetz und die Politik eine exklusive Männerwelt war. Miriam Hanika nennt Louise als eines ihrer großen Vorbilder. Der Titelsong „ist ein Lied über Zerbrechlichkeit, über das Mensch-Sein – ganz besonders aber ein Lied über das Frau-Sein und über die Bedeutung von Freundschaften und der gegenseitigen Unterstützung von Frauen“, sagt Miriam Hanika.
Es ist eine Freundin, die Miriam Hanika einen wichtigen Schritt voranbringt. Die Mitarbeiterin des Bayerischen Rundfunks schickt Konstantin Wecker ihre „Wanderlust“. An ihrem 30. Geburtstag meldet sich der Komponist und Liedermacher, der ein paar Jahre zuvor ein unabhängiges Plattenlabel gegründet hat, das junge Musiktalente aus dem deutschsprachigen Raum veröffentlicht. „Sturm & Klang“ ist Miriam Hanikas Wunschlabel, „das einzige, bei dem ich mir meine Musik vorstellen konnte“. Dass es klappt: für sie ein riesiges Glück.
„Sturm & Klang“ bietet Miriam Hanika eine unersetzliche Plattform, doch großes Marketing kann das kleine Label eher nicht leisten. Miriam Hanika ist selbst kreativ und aktiv, über ihre Homepage, Instagram – gerade in Pandemiezeiten wichtige Medien, um sich als Künstler Gehör zu verschaffen. „Louise“ hat sie über Crowdfunding finanziert. Es kommt mehr zusammen als erwartet und erhofft; ein wichtiges Polster für die nächsten Projekte. Auch das Musikstipendium der Stadt München, das Miriam Hanika in 2021 bekommen hat, ist eine willkommene finanzielle Unterstützung.
Fünf Jahre ist es jetzt her, dass Miriam Hanika ihr Studium abgeschlossen hat. Sie hat ihren Platz gefunden, nicht nur als Solokünstlerin. Gerade hat sie mit zwei Musikerinnen aus dem Sturm & Klang-Label ein Trio gegründet, Hanika Straub Banez, mit dem Dandelion Quartett ist sie mit einem klassischen Programm unterwegs. „Ich habe vielleicht nicht die Masse an Fans, aber ich habe sehr, sehr treue Fans, die ich alle sehr schätze und die mich als Musiker und Person sehr schätzen. Auf die baue ich, auf die vertraue ich, und ich vertraue darauf, dass es durch sie mehr werden.“
Wie leicht lässt sich ein Leben in wenigen Sätzen zusammenfassen. In Wahrheit ist er ein langer Prozess - mit definiertem Ziel.
„Auf der Suche nach weiblichen Strukturen und Vorbildern auf einem künstlerischen und selbstbestimmten Weg stößt man als Frau auch heute noch schnell an Grenzen. Es gibt sie nicht, die Komponistin, die Liedermacherin, die Oboistin des 20. Jahrhunderts", sagt die Künstlerin. Doch im 21. Jahrhundert gibt es Miriam Hanika.
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