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„Man muss für eine Idee brennen“

Wie Kaplan Bertram Ziegler Menschen für den Glauben begeistern möchte

Die katholische Kirche hat derzeit kein gutes Standing. Eine entscheidende Frage scheint mir vor diesem Hintergrund, wie man diejenigen findet, die sich noch für Kirche begeistern und motivieren lassen…

Was die Relevanz von Kirche in unserer Gesellschaft, in unserem Land angeht, so ist das eine herausfordernde Frage, das ist ganz klar. Und das war mir auch bewusst, als ich mich vor mittlerweile mehr als acht Jahren entschieden habe den Weg zu starten und Priester zu werden.

Neue Gemeindemitglieder zum Beispiel gut aufzunehmen ist heute eine riesige Herausforderung. Menschen sind auf der Suche, aber wie werden sie angesprochen und erreicht? Hier einen Draht zu finden ist eine ganz schwere Aufgabe.

Foto: Privat

Wie versuchen Sie es?

Da muss ich ehrlich sagen, dass ich noch nicht ganz dran bin. Ich versuche neue Gespräche und Gesprächspartner zu finden, zum Beispiel bei Trauergesprächen. Das ist eine Lebensphase, in der Menschen viel offener für kirchliche Ansprache sind…

… das gilt doch sicher für alle Sakramente…

Ja, da gibt es viele Beispiele. Hier überzeugend zu wirken ist mir ganz wichtig. Stand heute ist mir das, finde ich, ganz gut gelungen, aber ich möchte noch mehr in diese Richtung gehen. Ich komme jetzt noch ins Gespräch mit Menschen, die ich in diesen Phasen erlebt habe, und auf die nicht nur ich zugehen muss. Würden diese Menschen mich nicht authentisch erleben, würden sie mich nicht mehr ansprechen, davon bin ich überzeugt.

Die Herausforderung von heute ist nochmals mehr, Menschen zu erreichen. Ich merke, dass ich – obwohl ich Verschiedenes ausprobiere, in verschiedene Richtungen denke – doch nicht immer die Zielgruppe erreiche, die ich mir wünsche.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Ich habe zum Beispiel versucht in den drei Gemeinden Stockstadt, Mainaschaff und Kleinostheim eine Gemeinschaft für Kinder und Jugendliche zu schaffen, denn das ist ja der erste Schritt überhaupt, um etwas zu bewegen, und gleichzeitig die gröβte Hürde.

Ich habe Vertreter aller Gemeinden dafür gewinnen können, wir haben auch wirklich gut vorgeplant, hatten ein schönes Programm zusammengestellt. Und dann kam Corona. Mittlerweile ist klar, dass ich diese Aktion für mich persönlich ad acta legen muss, weil ich nur noch bis Juli 2021 hier vor Ort bin.

Das ist einfach schade, weil ich den Eindruck hatte, dass hier ein echter Aufbruch möglich gewesen wäre. Nun ist aber über ein Jahr vergangen und es wird immer schwerer, diese Begeisterung nochmal zu wecken. Die Beteiligten haben sich weiterentwickelt, sind zum Teil gar nicht mehr da. Man müsste eine neue Idee, eine neue Zündung starten, aber das braucht viel Zeit, mindestens drei Monate.

Was ich auch festgestellt habe: Der Anspruch ist bei manchen sehr hoch. Und bei manchen sehr niedrig, sie melden sich überall an, egal ob eine Aktion vom Bistum angeboten wird, vom Dekanat oder der Pfarrei. Das sind aber sehr wenige…

… und immer die Gleichen.

Und immer die Gleichen! Hier kommen vor allem die Jüngeren, die sich nach Gemeinschaft sehen. Die Älteren haben nach meinem Eindruck nicht den Wunsch hier Verantwortung in der Begleitung Jüngerer zu übernehmen. Da hat sich bei mir schon ein wenig Ernüchterung breit gemacht, dass die Kluft zwischen jüngeren und älteren Jugendlichen immer breiter wird. Das war in meiner eigenen Jugend noch anders, dabei ist das erst um die 15 Jahre her.

Welche Konsequenz, welche Perspektive ziehen Sie für sich aus einer solchen Erfahrung?

Man muss grundsätzlich erst einmal für eine Idee brennen. Wenn ich etwas machen möchte oder will, ist es für mich erst einmal nicht entscheidend, ob das ein groβer Erfolg wird oder ob es nur einzelne anspricht. Ich bin kein übermäβiger Pessimist, aber auch kein übermäßiger Optimist, ich würde mich eher als gutmütigen Realisten definieren. Ich weiβ schon, dass ich eher kleinere Gruppen anspreche. Ich hoffe, bei groβen Ereignissen mitzuwirken, mit einer zündenden Idee andere anstecken zu können, aber ich denke, es beginnt mit kleinen Kreisen, die dann wiederum andere motivieren. Ich glaube, das ist ein dynamisches Vorgehen.

Ich würde mir wünschen, dass ich – auch bei meinen künftigen Stellen – auf vorhandene Gruppen aufbauen und gleichzeitig neue Formate installieren kann, weil auch für mich klar ist, dass manche Menschen gar nicht in die schon etablierten Gruppen hineinwachsen können oder möchten – oder sich generell nur punktuell etwas suchen. Das möchte ich begleiten.

Sie verstehen also kirchliche Arbeit eher als Projektarbeit.

Auf jeden Fall.

Sie haben einen kreativen Zugang zu solchen Projekten, arbeiten mit Medien, mit Musik, mit Youtube. Wie kommen Sie auf die Ideen?

Ich habe einerseits reflektiert, was ich in meiner eigenen Jugend vermisst habe, was es damals vielleicht mangels technischer Möglichkeiten noch gar nicht geben konnte. Andererseits bekommen wir in der Ausbildung verschiedene Ideen vorgestellt, die man dann ausgestalten kann. Daraus ist zum Beispiel mein Filmangebot „blickwechsel“ entstanden.

Das groβe Thema ist ja die Niederschwelligkeit. Wie erreiche ich Menschen, die sich mit dem Glauben schwertun, deren letzter Anknüpfungspunkt viele Jahre her ist, die nicht mehr wissen, wie sie überhaupt mit Glauben noch in Kontakt kommen sollen. Die aber nicht grundsätzlich desinteressiert sind. Den Kurzfilm finde ich da zum Beispiel ein perfektes Medium, weil er pointiert Inhalte vermitteln kann und danach noch Zeit für Austausch ist.

Das Thema Ganzheitlichkeit des Menschen, Erfahrungen mit allen Sinnen, kann und darf in der Kirche noch viel stärker in den Blick genommen werden.

… und muss es vielleicht…

Ja, auch das. Mit allen Sinnen zu arbeiten war in diesem Format eine gute Möglichkeit mich auszuprobieren.

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Für mich war es ein Erfolg, weil diejenigen, die gekommen sind, mir faszinierende Rückmeldungen gegeben haben, mit denen ich so nicht gerechnet habe. Meistens ist die Rückmeldung zu einem kirchlichen Angebot: „Es war schön.“ Das ist schön, aber schön kann ich nicht unbedingt einordnen. Eine gute Rückmeldung war zum Beispiel, dass die Reihe eine neue Anregung zur konkreten Auseinandersetzung mit dem Glauben gegeben hat. Für mich entwickeln sich daraus neue Ideen, zu welchen Inhalten ich ein weiteres Angebot machen könnte. Kurzfilme sind mir bis heute wichtig, zum Beispiel auch über Youtube. Und auf „blickwechsel“ werde ich nach mehr als einem Jahr immer noch angesprochen.

Zu einem Angebot hingehen, sich Zeit dafür nehmen, ist heute für viele ein groβer Schritt…

Ja. Ich merke, dass sich viele Menschen anonym mit Glaubensfragen auseinandersetzen möchten. Glaube wird vielleicht verstärkt noch anonymer.

Also eigentlich genau das Gegenteil davon, wie Kirche bisher funktioniert hat.

Das ist absolut konträr. Ich sehe hier zwei sich gegenüberstehende Gruppierungen. Menschen, die die Gemeinschaft genieβen und auch brauchen, die hier bestärkt werden. Die zweite Gruppe besteht aus Menschen, die im ersten Schritt neutral sind und, wenn es geht, allein auf etwas schauen mögen. Sie finden dann vielleicht einen Zugang, um vielleicht später in eine Gruppe zu gehen. Oder auch gar nicht. Diese anonymen Personen sind natürlich schwierig zu erreichen, weil ich nicht genau weiβ, wie ich sie ansprechen soll.

Aber durch Ihren Youtube-Kanal haben Sie sie ja schon angesprochen.

Ja, das stimmt natürlich. Die Frage ist vielleicht eher, wie sie zu diesem Kanal gefunden haben und wie man sie dabei hält.

Foto: Susanne von Mach

Können Sie akzeptieren, dass Menschen eine Bindung an die spirituelle Institution Kirche, nicht aber an das Haus Kirche haben?

Ich habe die Vision, dass eine Gemeinde eine Kerngruppe an Engagierten braucht, die bei vielen Aktionen da ist und die eigenständig besteht. Aus dieser Gemeinde heraus kann man wieder einen neuen Kreis ziehen von Menschen, die sich zu einzelnen Projekten begeistern lassen, und in einem noch weiteren Kreis stehen Menschen, die man vielleicht für einzelne Bereiche gewinnen kann. Diese drei Kreise sind für mich offen und durchlässig. Das ist meine Vorstellung von Gemeinde. Ich muss nicht immer und überall da sein und mitwirken.

Das würde auch bedeuten, dass sie es annehmen können, dass es eine bestimmte Gruppe an Menschen gibt, die Kirche nur zu bestimmten Ereignissen braucht.

Das ist für mich in Ordnung. Ich kann gut damit leben, wenn Menschen sagen, sie können es im Moment nicht leisten, oder die sagen, sie haben den Draht nicht oder noch nicht. Das entlastet mich auch selbst. Wenn ich immer nur den Anspruch habe, dass jeder überall da sein muss, würde mich das demotivieren.

Was nicht heiβt, dass es nicht immer mein Ziel ist, Menschen grundsätzlich für mehr Kirche, zum Beispiel für Gottesdienste zu begeistern.

Manche meinen, die Kirche muss sich gesundschrumpfen auf den engagierten Kern.

Nein, das sehe ich in diesem Maβe so nicht. Es ist ein Fakt, dass die Gruppe der Katholiken kleiner wird. Ich hoffe gleichzeitig, dass immer wieder Menschen dazukommen, die sich doch begeistern lassen.

Kein Gespräch ohne das Thema Corona. Wie erleben Sie die Pandemie?

Corona war für mich Fluch und Segen zugleich. Natürlich hat Corona alles schwerer gemacht, das ist ein Fakt. Jede Planung bedeutet mehr Zeit, man durchdenkt alles nochmals mehr, die Gestaltung von Gottesdiensten, die Frage, ob Gruppen derzeit überhaupt ein Angebot haben möchten. Es ist alles komplizierter und herausfordernder. Die Zahl der Teilnehmer sinkt, sowohl in Gottesdiensten als auch in Gruppen. In diesem Jahr haben sich zum Beispiel eine erhöhte Anzahl von Kindern und Jugendlichen vom Ministrantendienst endgültig abgemeldet, also nicht nur für die Corona-Zeit.

Ein Segen war es, weil ich mich sonst vielleicht nie mit dem Format Video auseinandergesetzt hätte. Es umzusetzen, mich hier einzuarbeiten, hätte ich mir nicht vorstellen können. Das kam durch die praktische Frage, wie ich Menschen überhaupt noch erreichen kann. Wenn Kirche eine Botschaft von Leben, Hoffnung und Kraft geben möchte, dann jetzt. Also habe ich es ausprobiert und gemerkt, dass das ganz gut funktioniert.

Ich habe in diesem Jahr auch einen ersten online-Kurs gestartet, und das war eine sehr gute, wichtige Erfahrung in jeder Hinsicht: wie tief die Gespräche trotz des „nur“ virtuellen Zusammentreffens waren, wo Grenzen und Möglichkeiten eines solchen online-Angebots sind. Daraus habe ich viel gelernt. Es war einfach mehr Kreativität gefragt. Das hat mir viel Freude gemacht.

Trotzdem haben Sie persönliche Kontakte gesucht mit Ihrem Gesprächsfenster am Pfarrhaus und Ihrem Stand beim Dreikönigstag in der Kirche…

Auf jeden Fall. Der Spendenstand am Dreikönigstag in die Kirche war richtig gut. Dort haben sich so viele Gespräche entwickelt, an die ich anknüpfen konnte. Das war ein niederschwelliges Angebot, das sehr gut angenommen wurde.

Vielleicht braucht es mehr davon.

Sicherlich ja.