„Wie genial ist das?“
Nadija Frank macht mit dem „Sternenband“ verwaiste Eltern sichtbar
Da war dieses Video über Sterneneltern, die Fehlgeburt der Freundin auf ihrer Hochzeit und die Angst um ihr eigenes ungeborenes Kind: Nadija Frank aus Nauen in Brandenburg wollte etwas tun. Warum werden diese Eltern so wenig gesehen? Die junge Mutter begann, Sterneneltern im Alltag unkompliziert sichtbar zu machen: mit ihrem Sternenband. Nadija Franks hat eine Vision. Anhand des schwarzen Armbands mit Stern und farbigen Perlen sollen verwaiste Eltern erkennbar sein - für sich und für andere. Denn genau an dieser Sichtbarkeit fehle es, sagt die 35-Jährige. Sie will den Tod nicht nur von ungeborenen Kindern enttabuisieren.
An die 10.000 Bänder hat Nadija Frank mittlerweile geknüpft und verschickt, einen Helferkreis aufgebaut, ein Verein soll entstehen. Die verwaisten Eltern zahlen für ihr Armband nur, wenn und so viel, wie sie möchten. Um ihre Initiative bekannter zu machen, hat sich Nadija Frank gerade als Miss Germany beworben und ist mittlerweile in der Runde der letzten 80 angekommen.
Warum willst Du Miss Germany werden?
Ich mache alles, um das Sternenband bekannt zu machen. Der Wettbewerb stellt ja mittlerweile echte Frauen mit echten Geschichten in den Mittelpunkt. Ich dachte: Ich bin echt, ich habe ein Projekt, ich habe eine Mission, ich passe hier zu tausend Prozent rein.
Fotos: privat
Was bedeutet Deine Initiative Sternenband für Dich?
Ich denke öfter darüber nach, was der Sinn des Lebens ist. Worin besteht der Sinn, dass wir überhaupt hier sind? Was sollte man hinterlassen? Ist Arbeiten gehen der Sinn des Lebens? Wenn das Herz nicht daran hängt: nein. Die Kinder? Ich liebe meine Kinder, aber sie sind nicht der Sinn meines Lebens, ich muss mit mir selbst im Reinen sein. Den Sinn des Lebens zu finden ist eine riesige Verantwortung, die ich nicht auf meine Kinder abwälzen kann.
Meine Initiative Sternenband geht auf jeden Fall in die Richtung Sinn des Lebens. Meine Vision ist, dass das Sternenband mich überdauert, ich hier einen Fußabdruck hinterlasse. Und das ist für mich ein Sinn meines Lebens.
Wie bist Du auf diese Idee gekommen?
Ich habe ein Video gesehen, in dem Sterneneltern zu Wort gekommen sind. Die Grundaussage war, dass sie sich alleine fühlen. Auf Grund des Wissens, das ich mir schon angeeignet hatte, wusste ich aber, dass sie nicht alleine sind, ganz im Gegenteil. Ich habe Sterneneltern angesprochen, ob es ein Erkennungszeichen gibt – nein -, und ob sie eines tragen würden: ja. Ich habe mich noch am gleichen Abend hingesetzt und im Internet Material bestellt. Das war wie eine Kurzschlussreaktion.
Inwiefern hattest Du Dir schon Wissen angeeignet?
Ich wollte Hebamme werden. Ich war mehr als zehn Jahre lang bei einer Bank angestellt, ein super Arbeitgeber, tolle Arbeitszeiten, aber es hat mich nie wirklich interessiert, mein Herz hing nicht ansatzweise an diesem Job. Ich wollte das irgendwann nicht mehr, habe dann intern gewechselt. Dann wurde ich schwanger und habe gemerkt, dass mich das Thema Schwangerschaft und Geburt unglaublich fesselt. Ich habe mir Fachliteratur gekauft, habe dort von Sterneneltern erfahren. Auf unserer Hochzeit hat dann eine sehr gute Freundin ihr Kind verloren, die gleichzeitig mit mir schwanger war. Ich habe das aber erst einige Tage später erfahren. Das war natürlich ein Schock.
Einige Zeit später wurde bei meiner ungeborenen Tochter ein Herzfehler diagnostiziert. Das war wieder ein Schock, weil ich selbst einen Herzfehler hatte und als Baby operiert wurde. Meine Tochter hatte aber großes Glück, sie ist gesund, alles ist gut.
Was wurde aus dem Traum Hebamme zu werden?
Als meine Tochter ein halbes Jahr alt war, habe ich in Berlin ein Praktikum in einem Krankenhaus gemacht und war Feuer und Flamme. Das praktische Arbeiten hat mir noch mehr Spaß gemacht als die Theorie. Ich bin noch nie so beflügelt von einer Arbeit nach Hause gegangen. Nach der Geburt meines zweiten Kindes bin ich in meinem Heimatort Nauen zu einem zweiten Praktikum ins Krankenhaus gegangen. Ich habe mich dort um eine Ausbildungsstelle beworben und wurde auch genommen. Doch dann musste ich die Ausbildung abbrechen, weil mein Sohn eine Autoimmunerkrankung entwickelte. Mein Mann konnte die Betreuung wegen seines Jobs nicht mit auffangen, ich habe keine Familie vor Ort. Als ich die Kündigung geschrieben habe, habe ich zwei Tage lang geweint. Denn ich wusste: Wenn ich die Ausbildung jetzt nicht mache, werde ich niemals Hebamme.
Warum nicht?
Ich habe kein Abitur, sondern einen Wirtschaftsabschluss. Die Hebammenausbildung wird ja jetzt ein Studium. Das Abitur für mich nachzuholen ist fast unmöglich, weil ich keine zweite Fremdsprache kann, nicht Physik, Biologie, Chemie in der Schule hatte. Bis ich das Abitur hätte, dann das Studium – ich wäre ja Mitte, Ende 40, bis ich fertig wäre. Das mache ich nicht, das ist unrealistisch. Ich sage mir: Alles kommt, wie es kommen soll, alles hat einen Sinn. Den Sinn, den ich für mich gefunden habe, ist, dass ich mich jetzt voll und ganz auf meine Initiative Sternenband konzentrieren kann. Und jetzt geht es wirklich rund. Ich verschicke mehr als tausend Bänder im Monat. Das ist schon verrückt.
Welche Bedeutung haben die einzelnen Komponenten des Sternenbands?
Es ist ein schwarzes Gummiband. Anfangs waren die Bänder farbig, das Band war aus Baumwolle, das war mir aber nicht haltbar und passend genug. Ich selbst würde kein rotes und auch kein grünes Band anziehen. So bin ich auf das schwarze Band gekommen. Ich arbeite mittlerweile mit einem neuen Gummiband, das wirklich geil ist. Es leiert nicht aus, verformt sich nicht, es ist einfach perfekt. Ich trage es selbst, um das Material zu testen.
Der silberne Stern steht für das Sternenkind.
Und für jedes verstorbene Kind der Eltern ist eine farbige Perle daran befestigt. Für jedes Trimester, in dem das Kind gehen musste, gibt es eine eigene Farbe.
Ich kann etwa 60 Prozent der Bänder vorfädeln, weil es einfach zu viele verschiedene Kombinationen gibt. Die restlichen 40 Prozent fertige ich nach Bestellung an.
Ich wollte anfangs gar keine Unterschiede machen zwischen den Perlen, weil ich der Meinung bin, dass Liebe keine Grenzen kennt und es egal ist, ob eine Mama ihr Kind in der siebten oder der 40. Woche verliert. Nachdem ich selbst aber nicht betroffen bin und die Mamas, die ich gesprochen habe, sich eine farbliche Unterscheidung wünschen, habe ich sie eingeführt.
Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Erleichterung ist, wenn man nicht so viel erklären muss. Warum hast Du Dich für ein Armband entschieden?
Weil man es immer tragen kann, weil es den Hauptschmuck nicht überdeckt.
Tragen es mehr Mütter oder Väter?
Zu 98 Prozent tragen es Mamas.
Erfährst Du etwas über die Geschichten der Mütter?
Als ich noch keine Internetseite hatte, habe ich ellenlange Emails mit berührenden Geschichten bekommen. Das hat mich wirklich sehr geehrt, war aber nicht praktikabel, weil einfach oft Informationen fehlten, die ich mir dann mühsam nachorganisieren musste. Jetzt habe ich auf der Homepage ein Bestellformular, und damit ist der Arbeitsprozess wesentlich einfacher geworden. Allerdings bekomme ich jetzt nicht mehr so viele Geschichten erzählt, was ich schade finde. Deshalb habe ich auf meinem Instagram-Account die „Sternchen-Geschichten“ begonnen, auf denen ich Geschichten der Mütter erzähle. Instagram ist der wichtigste Kanal zur Verbreitung meiner Idee.
Wird es kostenfrei bleiben?
Ja. Ich hoffe einfach, dass sich mit meinem zweiten gerade gestarteten Projekt – der Trauerbegleitung von Sterneneltern – auch das Sternenband trägt. Falls Sternenband ein Verein wird, bekomme ich vielleicht auch Sponsoren.
Wie viele Bänder hast Du mittlerweile verschickt?
Ich habe keine Ahnung! Ich kann es ungefähr abschätzen über die Bestellung der Sterne. Ich lasse sie mir in 1000er-Packs liefern, und ich bestelle mindestens einmal im Monat – seit Ende vergangenen Jahres. Allerdings mache ich das Sternenband ja schon seit 2018, deshalb kann man es schwierig hochrechnen. Es sind vielleicht 10.000 Stück, die ich innerhalb Deutschlands und in den deutschsprachigen Raum verschicke. Es sind sogar schon Bänder nach Amerika, Frankreich, Italien und Luxemburg gegangen.
Bist Du selbst Sternenmama?
Nein! Ich habe einfach mein Herz darin verloren. Nach dem Video, dem Erlebnis meiner Freundin und dem Herzfehler meiner Tochter habe ich gewusst: Ich will was tun. Und ich habe die Vision, dass irgendwann jeder dieses Band tragen kann und kennt. So erkennen sich Betroffene, ohne sich über Instagram und Facebook outen zu müssen. Ich will jetzt in Austausch gehen mit Gynäkologen, Bestattern, Kreissälen, Hebammen – es gibt so viele Anknüpfungspunkte. Eventuell wandle ich dafür das Sternenband in einen Verein um.
Wie organisiert Du es im Moment?
Im Moment läuft es als Kleingewerbe. Ich verlange keinen festgelegten Preis, sondern jeder darf mir geben, was er möchte. Ich will, dass keiner überlegen muss, ob er das Band nimmt oder nicht. Das war mir ganz wichtig. Wenn mir jeder fünf Euro geben würde, hätte ich aktuell 5000 Euro im Monat. Dann könnte ich vom Sternenband leben, das wäre genial! Ist aber leider nicht so.
Die Realität sieht so aus, dass viele Menschen nichts geben. Manche geben fünf, manche zehn Euro, bis zu 150 Euro war schon alles dabei. Es trägt sich, die Materialkosten, der Versand, das ist alles in Ordnung. Es bleibt aber nichts für mich übrig. Und ich sitze jeden Tag meine drei bis sechs Stunden da und beschäftige mich mit dem Sternenband – mit allem, was dazu hängt. Im Moment schreibe ich handschriftlich jedes Kuvert – und das ist einfach viel.
Aber ich hatte ja in Zeiten von Corona und auch mit der Autoimmunerkrankung meines Sohnes viele Zeiten, in denen ich sonst nichts machen kann. Der Versand eines Sternenbands kann bis zu zwei Wochen dauern, und damit bekomme ich es gut gewuppt. Ich habe mittlerweile auch ein Helferteam, das sich langsam einspielt.
Was macht die am glücklichsten?
Die Dankbarkeit! Am allerglücklichsten macht mich, wenn ich die Geschichten höre, wie sich Menschen über das Sternenband kennenlerne. Wenn mir eine Mama schreibt, dass sie sich nicht mehr allein fühlt, weil sie andere verwaiste Mütter jetzt erkennen kann – wie genial ist das? Und selbst nicht Betroffene: Wenn sie anhand des Sternenbands diese Mütter und Väter erkennen können, dann wird eine Frau, die Ende 30 ist, vielleicht nicht doof angesprochen, wann sie denn endlich Kinder bekommt.
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