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Reich und dumm

Die Ideologie der Meritokratie behauptet einen Zusammenhang von Smartness und Status und Einkommen. Aber wie ist das mit der aufreizenden Gefühlsdummheit und aufgeblasene Einfältigkeit der Privilegierten?

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Bildung ist eine Ideologie, wenngleich das Unbildung oder Unwissenheit zu nichts Erstrebenswertem macht. „Wissen ist Macht“, war nicht nur ein Kampfruf der Aufklärung, sondern auch der Arbeiterbewegung. Dass die Herrschenden die arbeitenden Klassen in Ignoranz und Unwissen halten wollten, um sie leichter ausbeuten zu können und vor allem um ihre Ausbeutung leichter legitimieren zu können, galt als ausgemacht. Dass man Wissen verbreiten, den verlausten analphabetischen Proleten lesen und schreiben vermitteln solle, sie mit Erkenntnissen der Wissenschaften vertraut machen und auch mit praktischen Einsichten ausstatten sollte (wie putze ich mir richtig die Zähne? Warum soll man die Stube wischen und nicht nur fegen?), wurde als Selbstverständlichkeit des Prozesses der Emanzipation angesehen. Damals schrie deswegen noch niemand „Tugendterror“ oder „Umerziehung“. Ja, natürlich wollte man „umerziehen“, was denn sonst, wenn die Hebung der zivilisatorischen und geistigen Niveaus ein Ziel der Revolutionäre und Reformisten ist?

Irgendwann viel später wurde dann „Aufstieg durch Bildung“ propagiert, und damit war nicht nur gemeint, dass durch Bildung die ökonomischen Chancen der Proleten verbessert werden sollen, sondern dass durch Bildung die Proleten aufhören sollten, Proleten zu sein. Die Kinder der arbeitenden Klassen sollten in die Mittelschicht erhoben werden, in die Angestelltenmilieus und die Schichten der „Modern Professionals“. Die soziale Mobilität und die Klassendurchlässigkeit wurden gefeiert, man sah eine nivellierte Mittelschichtsgesellschaft winken. In den kurzen Epochen der Bildungsexpansion erlebte all das eine gewisse Bestätigung in der Wirklichkeit, als ganze Kohorten die Möglichkeit erhielten, aufs Gymnasium zu gehen, für die früher das Gymnasium nicht gedacht war.

Doch bereits damals zeichnete sich ein gewisser paradoxer Doppelcharakter von Bildung ab, eine tragische Konstellation. Die arbeitenden Klassen waren ja nie homogene Bevölkerungsgruppen, da gab es die gut qualifizierten Facharbeiter und die unqualifizierten Hilfsarbeiter, zwischen „Arbeiteraristokratie“ und „Lumpenproletariat“, um hier versunkene Begriffe von Gestern zu verwenden, gab es viele Graustufen und -zonen. Es gab die Disziplinierteren und die Undisziplinierten. Es gab die Männer, die ihren Wochenlohn am Sonnabend im Papiersäckchen erhielten und prompt versoffen, und die anderen Männer, deren Frauen darauf bestanden, dass ordentlich gewirtschaftet werde und der Malocher nach Lohnausgabe brav nach Hause käme. Diese verschiedenen proletarischen Milieus bildenten die gemeinsamen Lebenswelten in den Arbeitervorstädten. Unterschiedliche Schichten einer Klasse, die aber weitgehend zusammenlebten. Die Oberen der Unteren, wenn man das so nennen mag, strukturierten das Leben in den Vierteln. Sie sorgten dafür, dass auch die Unteren der Unteren irgendwie mitgezogen werden. Die Oberen der Unteren waren einfach auch die Interessensvertreter der Unteren, zum Nutzen der Unteren der Unteren.

Die Kinder der Oberen der Unteren machten dann den Bildungsaufstieg, desertierten aber damit auch aus der Rolle, die ihre Elterngeneration noch wahrgenommen hatte. Von der Bildungsexpansion profitierte ein Teil der arbeitenden Klassen, doch der Preis dafür war auch, dass der andere Teil der arbeitenden Klassen zurückblieb, aber ohne die Arbeiteraristokratie, die früher Verbesserungen durchgesetzt hätte oder politische Forderungen zu formulieren verstand. Die Bildungsexpansion hatte aber auch noch eine zweite Folge: sie diente als Beweis, dass es ja jeder schaffen könne, dass eine ungleiche Gesellschaft keine ungerechte Gesellschaft sein müsse. Wenn die einen den Aufstieg schaffen, die anderen nicht, dann muss es doch am Fleiß und der Disziplin der einen, und an der Faulheit der Anderen liegen. Dann sind die Chancenarmut und der Abstieg ja zwar beklagenswert, aber nicht ungerecht. Hätten sie sich mehr angestrengt, hätten sie es auch schaffen können.

Und da wird Bildung zur Ideologie. Sie dient zur Rechtfertigung von Verhältnissen.

Die Reichen und Privilegierten haben heute gelernt, dass sie ein paar ausgesuchte Arme und Unterprivilegierte benötigen, um ihre Herrschaft zu rechtfertigen, und die Bildungsinstitutionen sind heute auch Instrumente dieser Legitimierung. Es ist eine ihrer Funktionen, die Reichen davon zu überzeugen, dass sie ihren Reichtum verdient haben. Sie sind Instrumente, die Ungleichheit herzustellen, zu zementieren und zu legitimieren. „Die Funktion von (sehr wenigen) armen Leuten in Harvard ist, die (sehr vielen) reichen Menschen in Harvard zu versichern, dass man sich eine gute Ausbildung nicht kaufen kann“, formuliert Walter Benn Michaels.

All das ist ein Thema mit viel Ambiguität, da Wissenserwerb, Bildung, lebenslanges Lernen ja nichts Schlechtes, sondern etwas Gutes sind, sie aber zugleich heute auch legitimatorische Funktion haben, die meritokratische Phantasie befeuern, dass der Erfolgreiche seinen Erfolg schon verdient haben werde und der Loser demnach auch seinen Misserfolg. Diese Rhetoriken haben aber auch psychopolitische Wirkungen. Wem Aufstieg durch Bildung versprochen wird, wird zugleich gesagt, dass sein unterprivilegierter Status Quo zwar beklagenswert sei, aber änderbar, wenn er sich nur bemüht. Was aber natürlich erstens auch heißt: Heute und morgen wird sich daran nichts ändern, aber vielleicht in zehn Jahren, wenn du fleißig an deiner Selbstveränderung arbeitest. Und zweitens wird den Leuten damit natürlich gesagt: So wie du bist, bist du nicht okay. Du bist schlecht, aber du hast Verbesserungspotential. Nütze es!

Die Botschaft kommt an, vielleicht nicht einmal explizit verbalisiert, sondern als ein Gefühl, ein Empfinden, herablassend behandelt zu werden, evozierte die Frage, warum man denn verdammt noch mal nicht okay sein solle, man mache doch nichts falsch, sondern eigentlich alles richtig. Die psychopolitische Folge der Botschaft ist dann Bitterkeit.

Der Erfolgreiche wird als schlau hingestellt, der Privilegierte als klug und intelligent. Dann versteht sich von selbst, dass Erfolgreiche und Privilegierte aufgrund ihrer Schlauheit, Klugheit und Intelligenz einfach gerechterweise ökonomisch bessergestellt sind, und außerdem eigentlich mehr zu sagen haben sollen. Denn es sollen ja die Klugen führen, nicht die Dummen, damit bei der Führung etwas Kluges herauskomme.

Aber mit der Klugheit ist es so eine Sache. Um an die Spitze zu gelangen, auch um einen Platz an den wichtigen Bildungsinstitutionen zu ergattern, muss man nicht intelligent sein. Hauptsache, man hält sich für etwas Besseres, wie John K. Galbraith einmal anmerkte. Die aufgeblasene Selbstgewissheit, die dreiste Selbstüberzeugtheit der sogenannten besseren Leute ist ja schon ihre eigene Form von Dummheit, sogar wenn sie mit durchschnittlicher Intelligenz einher geht. Wobei natürlich auch die Kombination von „Reich und dumm“ durchaus häufig ist. Womöglich begünstigen Reichtum und die Erfolgskultur, die dem Winner versichert, ein schlauer Typ zu sein, sogar ein Verharren in Dummheit und geistiger Simplizität. Dem ohnehin Erfolgreichen, und sei er mit tausend goldenen Löffeln im Mund geboren, wird ja gerade nicht vermittelt, er müsse an sich arbeiten, sich verändern, um eine bessere Version seines Ich zu erschaffen. Er ist ja gewissermaßen schon perfekt. Insofern ist die häufig beobachtbare Gefühlsdummheit der Hochwohlgeboren und der besseren Leute, deren aufreizend-aufgeblasene Selbstverliebtheit gewiss nicht nur ein Ausdruck individueller Unintelligenz, sondern gesellschaftlich gemacht. Wer im Bewusstsein durchs Leben geht, sowieso ein toller Hecht zu sein, wird erstens wenig Anlass haben, an seiner Einfältigkeit etwas zu ändern, er wird auch durch sein pomadig-überhebliches Selbstbild nicht davor zurückschrecken, seine Einfältigkeit lärmend aller Welt unter Beweis zu stellen.

Die Talkshows sind voll mit Anschauungsmaterial. Der „Aufstieg durch Bildung“ wird dennoch viel zu selten durch einen „Abstieg durch Dummheit“ vervollkommnet.

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