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In den Tod gehetzt

Es gibt keine „Polarisierung“. Es gibt nur eine rechte Sekte, die sich in den letzten Jahren immer mehr radikalisiert hat. Zum Tod von Lisa-Maria Kellermayr.  

In Österreich wurde eine Ärztin vom rechtsextremen Impfgegner-Mob in den Tod gehetzt. Lisa-Maria Kellermayr hatte sich von Beginn der Covid-19-Pandemie an um Patienten gekümmert, sie hatte ganz praktische Behandlungserfahrungen gesammelt, als Anfangs alle noch im Blindflug unterwegs waren, sie hatte damit auch eine gewisse Prominenz erlangt, war dann den Covid-Leugnern und Impfgegnern ein Dorn im Auge. Sie erhielt Hassmails, Morddrohungen, in denen ihre Todesart in den grellsten Farben und explizit ausgemalt wurde. Die Polizei nahm sie nicht ernst und fraternisierte noch mit dem Mob. Kellermayr musste sich private Sicherheitsdienste für ihre Arztpraxis organisieren und sich um die Kosten selbst kümmern. Im Grunde haben sie alle allein gelassen. Jetzt nahm sie sich das Leben. Die radikale Hassmeute triumphiert. „Ding Dong die Hex ist tot“, singen sie. Perfide und bösartig lachen diese moralisch verrotteten Gestalten auch noch über den Suizid, wie ein Berliner AfD-Abgeordneter, der der Toten hämisch nachrief, dass sie höchstwahrscheinlich „als Impfpropagandistin mit der schweren Schuld nicht mehr leben wollte“. 

Geradezu skurril die Einlassung der oberösterreichischen Ermittlungsbehörden, die dem Opfer Hilfe versagten und nun umgehend mit der Diagnose zur Stelle waren, es gäbe keine Hinweise auf „Fremdverschulden“ – dabei hat es selten einen Suizidfall gegeben, bei dem das „Fremdverschulden“ derart ostentativ ins Auge sprang.

"Die Gräben zuschütten" - der klebrige Sound des Appeasement 

Abseits des ekelerregenden Ungeistes und der schrulligen Polizistenrhetorik wird im klebrig-süsslichen Sound jetzt die „Polarisierung“ beklagt. Im Pfaffenton sprechen Mittelwegs-Politiker in die Kameras, es ginge darum „die Gräben zuzuschütten“. Zwischen Irrsinn und Verbrechen auf der einen Seite und der vernünftigen Zivilität auf der anderen Seite möchten sie unbedingt noch einen Konsens suchen. Wahrscheinlich hätten sie wohl auch noch zwischen Himmler und Anne Frank eine Art von Mittelweg ausloten wollen. 

Wenn eine kleine Minderheit sich in völlig abgedrehtem Irrsinn hineinschraubt, und ein Teil dieser Minderheit in Hasskampagnen, Einschüchterung, Gewalt – schlichtweg in Terrorismus – abdriftet, dann ist der Begriff der „Polarisierung“ nicht wirklich die akkurate Bezeichnung. Man würde ja auch nicht von einer „Polarisierung“ zwischen den Terroristen des 11. September 2001 und ihren Opfern sprechen. 

Es gibt keine „Polarisierung“. Es gibt nur eine rechte Sekte, die sich in den letzten Jahren immer mehr radikalisiert hat. 

Es ist diese ewige „False Balance“ – diese „falsche Ausgewogenheit“ – die einerseits vom romantischen Ideal der Versöhnung getragen, andererseits einfach Folge von Denkfaulheit ist. Die schmierigen, dummen Begriffe ziehen klebrige, dumme Gedanken sofort nach sich: Etwa den Glauben, wenn man der Hassmeute nur entgegenkomme, sie durch Zugeständnisse besänftige, dann würden „Gräben zugeschüttet“. Leider ist das Gegenteil der Fall. Nachgiebigkeit bestärkt sie, stachelt sie noch auf. 

Die falsche Formel von der "Polarisierung"

Warum ist eigentlich in den siebziger Jahren niemand auf die Idee gekommen, man könnte durch die Erfüllung von einigen Forderungen der „Roten Armee Fraktion“ die Gräben zuschütten? 

Gewiss gibt es Graustufen und Übergänge, nicht jeder und jede, die an einer Anti-Impf-Demo teilnahm, goutiert die Handlungen des militanten Flügels und von Gewalttätern, Despotie-Fans und Psychoterroristen, die Andersdenkende einschüchtern wollen. Aber sehr viele tun dies und noch viel mehr tun dies als Kavaliersdelikte ab. FPÖ-Chef Herbert Kickl ist bei Demos aufgetreten, die dann in Gewalt ausarteten, hat die Meute aufgeputscht, sein Generalsekretär hat hysterisch-kreischend bekundet, hier wachse zusammen, was zusammengehört – und erst unlängst noch hat sich Kickl bei den Anti-Impf-Militanten bedankt. Damit frisst sich in die Gesellschaften eine Gewaltzugeneigtheit hinein. Die Nachsicht und Verständnishuberei muss ein Ende haben. Alles ist auf einer schiefen Bahn und der Geist des Kapitulantentums verstärkt dieses schiefe Ebene noch. 

Protagonisten und Mitläufer sehen ihre Welt bedroht und bilden sich ein, sie würden sich nur wehren. Sie sehen sich als „kritische Geister“, sind aber nur Schlafschafe und nützliche Idioten, die im Chor nachblöken, was ihnen auf den krausesten Telegram-Kanälen eingetrichtert wird. Bei aller „Querfront“ besteht der allergrößte Teil der Radikalisierten dann doch aus schrulligen „konservativen Rebellen“, die einer untergegangenen Welt nachtrauern und ihren Hirngespinsten von Tradition, von „Normalität“, von Werten, von Männlichkeit, und was auch immer, einer guten alten Zeit, die erstens nie gut war und die zweitens nie in der Realität existierte, sondern nur in ihrer Projektion. Es sind Konservative, die in ihrer Obsession, zu bewahren, alles kaputtschlagen, also Feuer und Sprengstoff an die Welt legen, die sie angeblich beschützen wollen. 

Neues zu wollen, ist veraltet. Neu ist, Altes zu wollen.

Sie reden von "Bewahrung" - und sprengen alles in die Luft

Die Uhr soll zurückgedreht werden, mindestens in die 1950er Jahre, in die Zeit der Geborgenheit und Heimatfilme, die Zeit des autoritären Konformismus, von Mief und Tracht, von Dirndl und Niedertrachtenjanker. Alle gesellschaftlichen Modernisierungen, die ja viel mehr sind als nur politische Veränderungen, sondern mehr noch lebenskulturelle Lockerungsübungen, sie alle werden abgelehnt – und zwar aggressiv. Frauenemanzipation, Schwule und Lesben, die sich nicht mehr in Kellerlokalen verstecken müssen, sondern sichtbar sind, Pluralisierung von Gesellschaften, die Auflösung eines konventionellen Mainstreams, die Entstehung verschiedener Lebensstile, die nebeneinander existieren, das Aufkommen eines Geistes des Leben und Leben lassen – all das steht für den Geist von 1968, hinter den die Uhr wieder zurück gedreht werden soll.  

In diesem Hass auf die gesellschaftliche Moderne zeigt sich die ganze Trostlosigkeit der Neuen Rechten. Ihr Hadern mit der Welt. Ihr Hadern mit der Wirklichkeit. Ihr Aufstand gegen die Realität, gegen das Zeitgenössische und gegen die Zukunft, ihre Verklärung einer Vergangenheit, die es ohnehin nie wirklich so gab, wie sie sie sich in ihrer Imagination vorstellen. 

Es ist diese Moderne, die sie hassen, und es ist dieses Gefühl, ins Abseits zu geraten, das sie hassen. 

Diese Leute wollen keine Versöhnung und auch nicht, dass „Gräben zugeschüttet“ werden, sondern nur mehr aufganseln, nur mehr Gehässigkeit und Gereiztheit, die Grenzen des Sagbaren noch mehr ins Menschenverachtende verschieben. 

Einknicken und Streicheleinheiten sind keine Option.

Das echte Integrationsproblem 

Die pluralistische Demokratie muss wehrhaft sein. Man hat die aggressive Dummdreistigkeit jetzt seit Jahren mit Samthandschuhen angefasst – und es sollte langsam klar sein, wohin das führt. Die falsche Toleranz ist keine besonders schlaue Strategie. Die Radikalen müssen von jenen getrennt werden, die noch nicht völlig verloren sind, und das geht nicht mit Streicheleinheiten, sondern mit entschiedener Gegenwehr, moralischer Klarheit und abschreckenden und damit generalpräventiven Strafen. Nicht die Gräben gehören zugeschüttet, sondern die Brücken zu den Demokratiefeinden abgerissen. Nur eine solche Entschiedenheit wird die Mitläufer von den Wortführern trennen und die Spirale der Überbietung unterbrechen. Leute, die sich in einen Tunnel der Aufschaukelung und Selbstradikalisierung begeben haben, werden sowieso nur mehr mit größter Mühe wieder in eine zivilisierte Gesellschaft integrierbar sein. Die Resozialisierung der noch einigermaßen Resozialisierbaren wird Herkulesaufgabe genug. 

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