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Wenig Geld, sehr viel Angst

Inflation, Krieg, Unsicherheit: Jetzt dreht sich alles um Geld und um Angst. Also um zwei peinliche Dinge, über die ungern gesprochen wird. 

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In diesem Herbst und Winter unseres Missvergnügens frisst sich Angst in unsere Gesellschaften hinein, und es geht bei der Angst, die endemisch wird, um Geld. Neuerdings noch viel mehr als sonst ohnehin und sowieso. Alles dreht sich um das Geld. Alles dreht sich um Angst und um Geld. Viele Menschen haben einen gewissen Wohlstand, aber der steht auf wackeligen Beinen, selbst wenn sie in der Lage waren, Rücklagen zu bilden. Ganz viele Menschen haben überhaupt keine Rücklagen, leben von der Hand in den Mund und bangen, ob sie ihre Gas- und Stromrechnung noch bezahlen können. Die Mieten steigen steil nach oben. 

Die Einkommen halten mit der Inflation nicht mit. Wird man in drei Monaten noch allen Zahlungsverpflichtungen nachkommen können? Die Angst sickert in die Kapillaren unserer Welt hinein, in die Gesellschaft, nimmt von vielen Einzelnen Besitz. Das Nicht-Haben nimmt Besitz von uns.

Peinliche Gefühle

In der Sphäre der Politik wird über Preisdeckel und Einmalzahlungen gesprochen, über Wirtschaftshilfen, über Stützungszahlen an Haushalte, über Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz von Unternehmen. Es ist oft eine geschäftige, routinierte Sprache, auch wenn sie von spektakulären, ungewohnten Umständen handelt. Für die Angst und für das, was Geld mit den Menschen macht, fehlt oft die Sprache, es sind Emotionen, noch dazu solche, die häufig unartikuliert bleiben. Verdrängte Gefühle, verschwiegene Gefühle, peinliche Gefühle.  

Dabei ist jedenfalls die Angst, die keine laute Panik ist, sondern das stille Gefühl, auf wankendem Boden zu balancieren, keineswegs neu. Sie ist nicht plötzlich über uns gekommen. Sie hat nur eine neue Wucht. Schon vor acht Jahren hat der Soziologe Heinz Bude ein ganzes schlaues Buch über die „Gesellschaft der Angst“ geschrieben. Die „Abstiegsangst“ hat seit Jahren einen fixen Platz in vielen Gesellschaftsanalysen. Auch von der „Generation Angst“ war schon die Rede. 

Wir leben in einer Erfolgsgesellschaft, die sich zuvorderst dadurch auszeichnet, dass man den Erfolg ausstellen muss: Du musst optimistisch erscheinen, voller Tatendrang, jeder muss Dir ansehen, welch toller Hecht Du bist. Wo niemand über seine eigene Angst redet, sondern allenfalls über die Angst als gesellschaftliches Phänomen, bleibt das schiere Ausmaß der Angst wahrscheinlich sogar unsichtbar. Die Angst davor, dass die Waschmaschine kaputt geht und man sich keine neue mehr leisten kann. Die Angst vor der Steuernachzahlung. Die Angst vor der Mahnung der Sozialversicherungsanstalt. Die Angst, dass du aus Deiner Wohnung fliegst, dass dein befristeter Mietvertrag nicht mehr verlängert wird, oder die Miete böse nach oben schnalzt. Denn heute hat ja praktisch jeder nur mehr einen befristeten Mietvertrag. 

Auch wenn Sicherheit vorhanden ist, ist sie nie garantiert. Mehr und mehr Leute leben mit dem dauernden Gefühl, dass permanent alles auf des Messers Schneide steht. Wenn man die Leute fragen würde, wovor sie denn gerne frei wären, würden sie wohl spontan als erstes sagen – von dieser Angst wäre ich gerne frei. Sofern sie die Angst überhaupt realisieren, sofern sie sie überhaupt wahrnehmen und von ihr nicht begleitet werden wie von einem Schatten, den man gar nicht mehr bewusst registriert. 

Angst erschöpft

„Angst erschöpft“, schrieb Heinz Bude in seinem Buch. Neid, permanente Aufmerksamkeit auf die Erfolge der anderen, der stete Vergleich mit dem Nachbarn, hinter all dem verberge sich, so Bude, „die tiefe Angst, nicht mithalten zu können, außen vor zu bleiben und allein als der Düpierte übrig zu bleiben... Bude: „Man fühlt sich gehetzt, getrieben und angegriffen. Alles wirkt stumpf, matt und reizlos. Man wacht morgens wie gerädert auf, als habe man nicht geschlafen. Der Rest des Ichs, das den Kaffee macht und den Rechner hochfährt, schafft es nicht, sich gegen den selbstzerstörerischen Hang zu wehren, alles infrage zu stellen... Warum um Himmels willen läuft immer alles so schief?“ Die Angst, die sich überall hineinfrisst, ist aber auch eine zutiefst politische Emotion. Sie ist der Humus, auf dem Radikalismus, Wut und Hass gedeiht. Das moderne Subjekt funktioniert nicht, weil es sich etwas Positives davon erhofft, sondern primär aus Angst. Bude: „Man wird nicht mehr durch eine positive, sondern nur noch durch eine negative Botschaft bei der Stange gehalten.“ Spure, spure jetzt noch mehr - sonst bist du raus. Da steigt der Druck aber dann innen drin. Die Wut ist dann der Deckel am Topf, die hochklappert.

Angst geht langsam in leise Panik über

Jetzt geht die Angst in leise Panik über, wenn die Leute ihre Kontostände, Einkommen und Zahlungsverpflichtungen grob kalkulieren und überschlagen und von der Ahnung gepackt sind: Im Januar, spätesten Februar geht sich das nicht mehr aus. 

Das Charakteristische (und vielleicht extra Gefährliche) ist, dass hier zwei schambesetzte Themen aufeinander treffen: Angst und Geld. 

Angst gibt man nicht gerne zu, es ist ein peinliches Gefühl, und in der der beschriebenen individualisierten Erfolgsgesellschaft gilt das noch mehr: sie fördert ein Posertum, weil man den Erfolg verkörpern muss. 

Die Angst und das Geld ergeben dann eine toxische Mischung. Denn auch das Geld hat Eigenschaften, über die nicht so gerne gesprochen wird. Wer zuviel hat, will nicht darauf reduziert werden, wer zu wenig hat schon gar nicht. Wer arm ist und darüber redet, auf dem klebt die Armut dann wie eine Charaktereigenschaft. Oder wie Mundgeruch. Oder Krebs. Der oder die bleibt die Arme, selbst dann, wenn sie einmal Geld hat.

„Überall mischt es unterschwellig mit“, schreibt Marlene Engelhorn in ihrem neuen Buch „Geld“. Die Autorin wurde bekannt, weil sie einen zweistelligen Millionenbetrag vom Familienvermögen übertragen bekam. Und sich für gerechte Vermögens- und Erbschaftssteuern aussprach. 

Das Reden über Geld hat oft einen doppelten Boden, die Begriffe kommen vielleicht nicht zufällig aus der übermoralisierten religiösen Sphäre, worauf schon viele schlaue Köpfe hinwiesen: Kredit und Credo, Gläubige und Gläubiger, Schuld und Schuldner, Offenbarung und Offenbarungseid, Mission und Emission. Die „unsichtbare Hand“ kann ihre Verwandtschaft mit dem „Heiligen Geist“ auch nicht leugnen. Geld wird von Menschen geschaffen, verwandelt sie aber zu seinem Diener, so ähnlich wie Frankenstein. Das, „was wir besitzen sollten, das besitzt uns“, formulierte Hugo von Hofmannsthal, für Karl Marx hatte das Geld die Macht, „den Blödsinn in Verstand, den Verstand in Blödsinn“ zu verwandeln, und Georg Simmel, der große Soziologe der Moderne, erspürte die vielen Ambiguitäten der Geldkultur. Geld kann Menschen aneinanderbinden (indem es Zahlungsverpflichtungen knüpft), und sie zugleich befreien, denn die Anonymität und Flüchtigkeit moderner Beziehungen wäre ohne Geld schlichtweg unmöglich. Die „Pausenlosigkeit des modernen Lebens“ kann man auch nicht erklären, wenn man über das Gehetze schweigt, mit dem man den Zahlungsmitteln nachrennt. Kulturkritische Nörgelei an der Institution Geld ist deshalb auch von romantischer Pausbäckigkeit, denn ohne den Stachel zur Tätigkeit wäre es um den menschlichen Wohlstand sicherlich schlechter bestellt, ganz abgesehen davon, dass das Geld die moderne Geldwirtschaft hervorbrachte und auch den Investitionskredit, der die Produktionsausweitung, die Produktivitätssteigerung und die rasante Zunahme an Güterproduktion erst ermöglichte.

Im Kerker der Geldsorgen

Zuwenig Geld begründet nicht nur chronische Unsicherheit, sondern auch Unbeweglichkeit, es fesselt an den Status Quo, der nicht in Frage gestellt werden kann. Mangel an Geld kettet an Umstände, macht erpressbar. Mangel an Geld macht manchmal sogar dumm, da im Kopf dauernd diese Sorgen sind. Wer sie nicht hat, der ist freier – im Hirn, und überhaupt. Wer immer über Sorgen grübeln muss, hat den Kopf nicht frei. 

Mangel an Geld begründet, welch treffender Doppelsinn, „Unvermögen“, wohingegen ein Überschuss an Geld buchstäblich „Vermögen“ ist. Es kann dir alles kaufen, dir alle Türen öffnen. Ein volles Konto heißt auch: Der Radius ist groß, vielleicht sogar unendlich groß. 

Reiche hat man sich früher als dicke Männer im Dreiteiler in Villen und mit Zigarren im Mund ausgemalt. Das war schon damals nicht immer richtig. Später wurde es auch deshalb falsch, weil sich die Reichen ihres Reichtums schämten und in der nivellierten Mittelschichtsgesellschaft nicht auffallen wollten. Dann änderte sich das und wir konnten sie als „Winner-Typen“ in prächtigen Home-Storys in „Schöner Wohnen“ bestaunen. Sie waren nicht dick und rauchten auch nicht mehr, sondern achteten auf ihre Gesundheit und ihre Linie und waren stolz auf ihren ästhetischen Stil, den sie nicht mehr verbargen, sondern ausstellten. Und heute ist alles noch einen Dreh anders. Die Klassengrenze ist oft gänzlich unsichtbar, Freunde sitzen wie Gleiche nebeneinander in der Kneipe, hängen im Club ab, bei der Ausstellungseröffnung oder sitzen gemeinsam im Büro. Was man nicht sieht: die einen haben geerbt, die anderen nicht. Die einen zahlen vom kleinen Einkommen 1000.- Euro für die Miete, die anderen leben vom Geerbten in der Eigentumswohnung. Die einen produzieren wie am Fließband, die anderen konzentrieren sich wochenlang liebevoll auf ein dann perfektes Stück und werden dann für ihr „Talent“ geschätzt.

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