Folge 107 …
Vorweg
Diese Newsletterfolge ist ein Sack voller Flöhe, so wie mein Kopf. Drunter und drüber, so wie mein Kopf.
Hier stand ursprünglich, weil zu Schreibbeginn noch »Weihnachtszeit« war, ein ziemlich elaborierter Diss von »Politchrist*innen«, wie etwa Ampelboy Christian Schindner, der mit 18 aus der Kirche austrat, aber mit 43 trotzdem in einer Kirche heiratete. Politchrist*innen interpretiere ich als Fortführung der »Weihnachtschrist*innen«, jenen Personen, die nur zu Weihnachten in ihre Kirche gehen, weil sie dann rührselig sind und sich kurz mal als Teil einer Gemeinschaft fühlen müssen. Maus könnte beide Varianten auch unter »Schaustellchristentum« zusammenfassen. Politchrist*innen sind aber schlimmer als Weihnachtschrist*innen, denn sie sind immer dann »christlich«, wenn sie Wähler*innen irgendwas mit »unsere Kultur« verkaufen wollen und immer dann nicht, wenn es um Menschen in Not geht.
Anschließend schimpfte ich noch weiter über Christ*innen, die auf Basis ihres Glaubens glauben, grundsätzlich gut zu sein und deshalb als Mitmenschen manchmal kleinlich bis lebensbedrohlich handeln. So wie die Mutter einer Freundin, die wirklich alles für Menschen in Not tut, aber selbst potenziell Not erzeugt, wenn sie, wie es ihre freikirchliche Superchristlichgemeinde normiert, Homosexuelle für krank erklärt.
Als ich aber all das lang und breit hingeschrieben hatte, hat es mich instant selbst genervt, also löschte ich es. Was bringt so ein Thema, das die einen eh so sehen und die anderen eh nicht. Verlorene Zeit beim Schreiben und Lesen.
Seitengedanke – heute fun fact, früher unfun: Als frommes Kind hatte ich schreckliche Angst, dass meine Weihnachtschrist*inneneltern in der Hölle landen würden >>> eine Höllenangst zweiter Ordnung. Heute halte ich es für meine größte Kraft, in jeder Hinsicht ungläubig ins Nichts zu blicken und trotzdem die meiste Zeit unnihilistisch ein Mitmensch sein zu können. In sehr instabilen Momenten blinzele ich aber doch manchmal neidisch auf gläubige Menschen, so wie auch auf Konservative. Es werfe die erste religiöse Textsammlung (Hardcover), wer sich nie ein Gedankenhygge wünscht, in dem das unruhige Gehirn mal nicht die ganze Zeit alles kritisch drehen und wenden muss.
Okay, die Newsletterversion eins war also schon im Dezember im digitalen Papierkorb gelandet, aber warum stockte es danach immer noch? Das kam durch etwas Unvermutetes: Lob und Commitment. Mir hatten in ziemlich unterschiedlichen Kontexten und Begegnungsweisen kurz hintereinander mehrere Menschen von ihren aktuell oder dauerhaft radikal veränderten Lebenssituationen erzählt und hinzugefügt, dass Umsehen lernen für sie dabei sehr wichtig geworden sei. Nicht in dem Sinne, dass sie durch meine Texte anders lebten, sondern weil der Newsletter für sie ein Fenster zur Welt und eine stabilisierende Konstante sei, aber ihnen auch ganz einfach Freude machen würde. Das wiederum hat mich sehr gefreut und berührt, aber es hat mir auch eine andere Vorstellung von persönlicher Verantwortlichkeit beim Schreiben eröffnet. Es ist ein Unterschied, ob maus selbstgewählt die Speerspitze der noch nicht allzu breitenwirksamen performativen Aufklärung ist oder ob das Wohlbefinden von Individuen – nicht absolut, aber ein bisschen – von dir und deinem Output abhängt.
Die rationale Konsequenz aus diesem Gedankengang wäre, sich noch mehr Mühe beim Schreiben zu geben und wirklich jeden Sonntagabend eine Folge Umsehen lernen abzuliefern. Die reale Konsequenz aber war eine massive Schreibblockade, die längste in Sachen Newsletter bisher. Aber jetzt geht es wieder. Zwischendurch musste ich einige Male wie in den guten alten Zeiten das Internet vollschreiben und mich instant dafür hassen. – Ist eine Schreibblockade überhaupt eine Schreibblockade, wenn sie sich nur auf bestimmte Projekte und Medien beschränkt? Schreibblockaden sollten ohnehin nicht nur negativ bewertet werden, denn oft sind sie Ausdruck eines inneren Ringens um eine Vorstellung, einen Gedanken, eine Haltung. Komplexes braucht eben Zeit, und manchmal blockt das Gehirn eigensinnig diese notwendige Zeit: DANN MACHE ICH DAS HALT FÜR DICH, WENN DU NICHT CHECKST, WO DIE PRIORITÄTEN LIEGEN, schreit es unvernehmlich. Folglich sind Schreibblockaden nur in kapitalistischer Logik ein eindeutiges Problem, als Teil des Menschseins sind sie okay, aber auch nicht nur okay, weil eben manche Leser*innen den Newsletter gerade wirklich brauchen, so wie ich es brauche, ihn zu schreiben, aber es trotzdem manchmal nicht kann … Loop.
Etwas Altes: Kapitale Minifehler
Weil ich gerade wieder alle Freuden und Leiden des Printverlegens durchlebe, darunter auch: verdruckte Exemplare identifizieren und zeitraubend reklamieren, wobei im Augenwinkel zu allem Überdruss auch noch ein bei der allerletzten Korrektur vergessener Punkt auffällt aka EIN SELBST VERANTWORTETER FEHLER, Kollapsgeräusch, denke ich über alle Bereiche des Publizierens wieder neu nach. Ich bin keine Perfektionistin (und finde, nebenbei bemerkt, positiv gemeinte Selbstbezeichnungen grundsätzlich cringe), aber ich bin ein Kontrollfreak und bei der Textarbeit – außer, ich bin anämisch und mein Gehirn deshalb Matsch – sehr gründlich. Fehler in Büchern hasse ich ja schon als Leserin, da kann ich als Verlegerin kaum entspannter sein. Verzeihen kann ich mir nur ein, zwei Tippfehler pro Buch, aber selbst die kann ich mir nicht wirklich verzeihen. Schreibfehler darf maus lang und breit im Internet machen, da locker zu sein, gibt mir mittlerweile fast einen Kick, aber Bücher sind einfach zu luxuriös, um sie nicht möglichst ORDENTLICH zu machen.Inhaltliche Fehler mag ich mir gar nicht vorstellen, sie würden mich vermutlich zur Betriebsaufgabe bringen. Eine Kollegin von mir sieht es einen Hauch gelassener, was definitiv vernünftig ist, aber auch sie meinte neulich, das hätte sie erst lernen müssen. Ihr würden immer mal wieder Menschen – sie lachte: ausnahmslos Männer – kleine inhaltliche Fehler mitteilen. Was die Bauart eines Autos angehe etwa. So etwas habe ich selbst noch nicht erlebt, aber beim erneuten Nachdenken darüber merke ich gerade, dass ich erstaunlicherweise mit diesen Fehler anmerkenden Männern sympathisiere. – Das erinnert mich an den Eröffnungssatz von Gabriel Yoran in seiner neuen Kolumne Die Verkrempelung der Welt (Opens in a new window), wo er schreibt, er sei jetzt seine Mutter. – Ich bin jetzt analog ein Boomermann, den ein sachlicher kleiner Fehler aus dem Buch rausschleudert, und zwar ein für allemal. Ich bin aber natürlich kein vollständiger Boomermann – als Frau ist dafür ja bekanntlich schon mein Gehirn zu klein, deshalb schreibe ich nicht voller bester Aufklärungsabsichten an den Verlag, sondern boomere mit meinem Fehlerbemerken allein vor mich hin.
Ein Beispiel für so ein aus meiner Sicht schreckliches Fehlerchen? In einem Roman, den ich ansonsten gut fand, stand, eine Karottenhose wäre ein 90s-Kleidungsstück. Tatsächlich ist eine Karottenhose aber das notorische Kleidungsstück der 1980er. Bitte gar nicht erst versuchen, mir etwas anderes zu erzählen, denn ich bin Supermegahyperexpertin für 80er-Styles. Das heißt aber nicht, dass ihr dieses Detail nicht total egal finden könnt und dürft. Es ist nur für mich ganz persönlich ein Rezeptionsdesaster: mein individuelles Lesen und meine Reaktionen darauf sind betroffen. Sehr betroffen, denn der Roman mit der falsch gerahmten Karottenhose war tot für mich, ein einziges falsches Zeichen, eine 9 statt einer 8, hatte ihn gekillt. Beleidigt las ich das Buch zu Ende, nur um nichts mehr an ihm zu finden. Ich glaube aber, plot twist, dass dieses Geschocktreagieren von mir gar nicht so kleinlich war, sondern etwas, das auch andere Lesende jeweils an sehr unterschiedlichen Stellen erleben, so etwas wie eine umgekehrte Madeleine-Erfahrung: Ein für dich persönlich, für dein Portfolio innerer Bilder bedeutender kulturgeschichtlicher Fehler in einer Fiktion, die suggeriert, reale Zeitgeschichte aufzurufen, taucht deine ganze erinnerte Welt und mit ihr dich mit einem Schlag in ein anderes Licht, lässt alles falsch und unecht wirken. Da wird maus ja wohl noch kleinlich reagieren dürfen. – Überlegt bitte mal und schreibt mir, ob ihr euch an eine ähnliche Lese-Überempörung wegen eines Fehlers erinnert. Personen, die dauernd Fehler an Verlage melden, bitte nicht mitmachen.
Fürs Verlegen habe ich mir schon vor einer Weile überlegt, dass ich Bücher so in die Welt schicken möchte, dass sie entweder so gut wie nichts voraussetzen oder so gut wie alles. Also entweder umfangreiche Glossare erstellen, weil manche wissen, was die Landshut-Entführung war und manche, was Mob Wife Aesthetic ist, und manche sehr gut googeln können und manche Sappho im Original zitieren. Niemaus aber kann und weiß alles, auch wenn sich immer noch manche Dudes so aufführen. Mein Nachdenken übers Verlegen (ich will alles, deshalb geht gar nichts) kommt meist zu dem Schluss, dass ich mich gern embryonal zusammenrollen und meinen Verlag der sehr fähigen, etwas pragmatischeren Kollegin zur Übernahme anbieten möchte, während ich selbst nur noch PGExplaining-Posts und -Bücher schreibe, weil das die einzige Tätigkeit ist, die mir sinnvoll erscheint und mit Frohmann-Ressourcen zu meiner vollen Zufriedenheit machbar ist. Na ja, außer, dass ich auch regelmäßig Dutzende verdruckter PGExplaining-Bücher wütend abfotografieren, reklamieren und zurückschicken muss. Also nur noch Posts machen? Nein, auch nicht gut, denn auf Megalodude-Plattformen ist kein Verlass. Also doch wie gehabt das Komplettprogramm aus sich ständig verändernden Vorstellungen, Gedanken, Anforderungen, Freuden und Nöten beim Verlegen und Schreiben aushalten. Akzeptieren, dass dieser Weg immer zu anstrengend sein wird, aber, wenn maus philosophisch und nicht fdpisch denkt, eben auch freier ist als eine schnelle Autofahrt im Porsche.
Vielleicht verlege ich den Verlag nach Italien. Dann wird es noch ein bisschen unübersichtlicher und komplizierter, aber ich bin wenigstens in Italien. Mein bürgerliches und mein revolutionäres Ich umarmen sich im Wunsch, am Lieblingsort in der Via Antonio Gramsci zu wohnen. Mit so einer Adresse könnte ich mich garantiert IMMER konzentrieren und würde NIE endlos verspätet den Newsletter losschicken.
Noch etwas Altes: In schlechte Gesellschaft zur Rettung der deutschen Sprache geraten
Ein anderer alter, mehr revolutionärer als bürgerlicher Traum von mir ist es, im Nein-Herr-Outfit auf allen Buchmessen alle Stände von allen Gesellschaften zur Kettung und Erkaltung der deutschen Sprache abzuklappern und durch meine bloße Gegenwart zu stören. Auch das ist performative Aufklärung, nein, wäre, denn leider bin ich nach wie vor in ersten Momenten ein bisschen schüchtern. Vor ekligen Buchmessenständen stehe ich also erst mal scheu rum und sage gar nichts. Vor nicht ekligen Buchmessenständen genauso, außer ich kenne deren Mieter*innen bereits gut. Außerdem war ich eh schon längere Zeit nicht mehr bei einer der alten Buchmessen, wie will ich da vor ekligen Buchmessenständen stehen? – Vielleicht schreibe ich mal eine Kurzgeschichte, in der die Präraffaelitischen Girls auf den alten Buchmessen an die Stände der Gesellschaften zur Kettung und Erkaltung der deutschen Sprache treten und diese in Schutt und Asche girlssplainen,– die Girls müssen ja auch sonst eine Menge für mich erledigen, dann können sie das bitte auch noch eben übernehmen.
»Nein Herr«-Sweatshirt mit gern dazu getragenem Rock, als es noch »Nein, Vater« hieß: Die Girls lernen ja auch immer weiter und nutzen deshalb mittlerweile die deutlicher nicht biologistische strukturelle Bezeichnung »Herr«.
Leider aber erschöpft sich das Problem nicht darin, dass ich mich bisher nicht traute, auf Messen zu stressen, nein, ich bin sogar irgendwie ungewollt auf die falsche Seite geraten. Seit ungefähr zwei Jahren trage ich ein kleines Trauma mit mir herum, es kann auch als ein kleiner Spuk bezeichnet werden, oder wie würdet ihr es nennen, wenn ein Frohmann-Titel mitsamt dem Verlag positiv in einer Zeitschrift namens Die Deutsche Schrift besprochen werden.
Waaaaaaaaaaas?
Vor gut zwei Jahren bekam ich per Mail eine Anfrage. Man wolle das Buch Warum heißt es Traum und nicht Memoryschaum (Opens in a new window) von Gabriel Yoran und Christoph Rauscher besprechen, dafür werde ein Rezensionsexemplar benötigt. Ich war instant in Alarmbereitschaft, denn das fühlte sich genauso an wie damals, als das erste Girls-Buch in der transfeindlichen EMMA besprochen werden sollte, was ich durch Nichtreaktion verhinderte. Also antwortete ich auch dem Herrn von der Frakturschrift erst mal gar nicht, um zu überlegen, wie ich weiter vorgehen sollte. Ideale Voraussetzungen für eine Verdrängung. Etwa zwei Wochen später kam eine etwas ungehaltene zweite Mail, aus Sicht des Absenders vollkommen zu Recht, er konnte ja nichts für meine komplexen inneren Bewegungen. Also schickte ich, vermutlich durch den scharfen Ton im autoritären deutschen Charakter getroffen, nun doch gehorsam das geforderte Rezensionsexemplar – natürlich wurde darunter ausdrücklich ein Printbuch verstanden. Einige Zeit später bekam ich mit der Post eine Ausgabe von Die deutsche Schrift, und es frakturte schon auf dem Umschlag. Auch die Besprechung war in Frakturschrift gesetzt. Ebenso die anderen Artikel im Heft, von denen einer den Titel »Der Triumph der Genderdeutschen: Woke Angriffe auf Kinderlieder« trug. Ja, lacht nur, ich habe es verdient. Ich legte das Magazin irgendwo in meinem Arbeitszimmer ab, um mich später damit zu beschäftigen, wenn das Ohren- und Augensausen abgenommen haben würde.
Für mich war das Ganze eine inkommensurable Erfahrung, die mit meinem Gehirn so etwas machte wie manchmal frische Farbe mit Fensterrahmen, im amerikanischen Englisch heißt das, wenn ich mich richtig erinnere, paint locked: Ein mit getrockneter Farbe verklebtes Fenster lässt sich nicht mehr öffnen, obwohl doch beim Streichen eigentlich etwas Konstruktives hätte stattfinden sollen. So erging es mir. Ich war zu und ging nicht mehr auf, ja, ich konnte nicht mal den Autoren davon erzählen. Gabriel Yoran weiß seit etwa einem Jahr immerhin, dass es diese ominöse Begebenheit gab. Jetzt ist die ganze Wahrheit raus: Der Frohmann Verlag ist bei Sprachwächtern beliebt. Ich kann es immer noch nicht einordnen. Mich nicht freuen. Überhaupt etwas fühlen. Und die Besprechung, die ich hier nun eigentlich abfotografiert einbauen wollte, ist verschwunden. Ich muss weitersuchen. Aber vielleicht spukt es auch wirklich. Wenn nicht in diesem Kontext, wann dann …
Digital gesichert habe ich aber wohl, bevor mich die Kräfte verließen, das Anschreiben und zwei mitgesendete Lesezeichen.
Schnauf.
My ass
Kind, beschäftige dich doch mal mit Frakturschrift, da lernst du bestimmt nette Leute kennen.
Etwas Neues: Schluss mit gute Familienseite, schlechte Familienseite
Doch noch mal zurück zu Weihnachten, das wir hier im Haushalt säkular umgedeutet als ein Familienzusammensein feiern. Erstmals waren in diesem Jahr die Freundinnen der Kinder mit dabei, und es wurde viel darüber gesprochen, wer bei sich zuhause feiert und, wenn ja, wie und wer dabei welche Aufgaben und Rollen übernimmt. Daran anschließend habe ich nicht zum ersten Mal darüber nachgedacht, dass in allen Familien, die ich kenne unhinterfragt eine elterliche Familie als die bessere Verwandtschaft dargestellt und tradiert, also für die Enkel*innen prägender wird, in cis het Familien ist es meist die des Mannes. Es geht dabei zwar nicht mehr so drastisch zu wie früher, wo einfach klar war, dass als Familienauffälligkeit ein akademischer Background sozial schwerer wirkt als etwa eine diskriminierungsarme Art, andere Menschen zu betrachten. Weg ist es aber nicht.
Denkt mal über eure eigenen Familien nach. Wird da auch die eine Elternfamilie mehr gehypet als die andere und, wenn ja, warum? Was wird dadurch weniger als familiäre Qualität geschätzt und überliefert? Wenn ihr nicht in familiären Strukturen lebt, freut euch an dieser Stelle, dass ihr eine Sorge weniger in eurem Leben habt.
Noch etwas Neues: Für mich bitte die Blumenschlachtplatte
Seit es auch im allgemeinen Angebot mehr vegane Wurst- und Fleisch-Ersatzprodukte gibt, werden Menschen, die selbst vermutlich eher ihren Benziner anzünden als bewusst veganes Essen anrühren würden, nicht müde, im Internet zu schreiben: Was iiiiich ja nicht verstehe, ist, warum man als Veganer unbedingt vegane Wurst und Schnitzel braucht. – Also iiiiiich verstehe das schon, denn ich bin eine SO EINE, die heutzutage zwar viel weniger altdeutsche Stullenmahlzeiten zu sich nimmt, wenn sie stattdessen auch etwas Warmes haben kann, aber wenn sie dann Brot isst, eine ausgesprochene Vorliebe für vegane Wurst- und Fleischnachahmungen hat. Ich sage Blumenwurst und Blumenfleisch dazu. Weil Veganuary ist, empfehle ich euch jetzt unaufgefordert und unbezahlt meine aktuellen Lieblingsprodukte aus dem Segment Vegane*r Bauarbeiter*in:
Wie anscheinend viele Menschen liebe ich die Salamiblumenwurst (»Vegane Salami klassisch«) von Rügenwalder, diese ist sehr oft im Discounter ausverkauft. Die Firma Rügenwalder ist vermutlich wie meisten großen Firmen auch 2024 noch schlimm, damit beschäftige ich mich mal genauer, sobald die AfD verboten ist,– das hier sind heute also nur Geschmacksempfehlungen. Von der vermutlich immer noch schlimmen Firma Rügenwalder mag ich auch die Mini-Blumenfrikadellen (»Vegane Mühlen Frikadellen Minis«).
Ultrafan bin ich von zwei veganen Feinkostsalaten aus dem Hause Popp: Blumeneiersalat und Blumenfleischsalat: besser und originalgetreuer als sämtliche Originale. (Auch über Walter Popps mögliche Schandtaten weiß ich aktuell noch nichts, seht es mir bitte nach.)
Meine letzte Empfehlung ist »Like Chicken« von Like Meat. Zubereitungstipp: Wenn maus die Stücke etwas kleiner schneidet, als sie ohnehin sind, werden sie beim Braten noch krosser.
Geschmacklich sind ja mittlerweile viele vegane Produkte top, doch ist die Konsistenz manchmal anders als vom Tierprodukt her gewöhnt: Blumenschmierwurst etwa, also Blumentee- und -leberwurst, hat oft noch etwas anders Schmieriges als Tiertee- und -leberwurst. (»Schmierwurst« steht übrigens auf meiner inneren Liste ekelhafter Wörter.)
Meine Empfehlungen sind ja nichts zum Schmieren und die Konsistenz ist bei allen gut. Allerdings sieht die Rügenwalder-Blumensalami irgendwie gezeichnet aus, und zwar ziemlich genau wie eine Salami-Illustration aus einem Kinderbuch, aber so viel V(egan)-Effekt kann ich gut ab, wenn dafür kein Tierlein leiden muss. Mein Konsumgefühl bei veganen Produkten hat überhaupt eine mentale Nähe zum Kinderspiel, es ähnelt dem Kaufladenspielen, vermutlich weil mir die ganze Zeit miterzählt wird, dass meine Blumenwurst eine Nachahmung der Wurstnatur und damit nicht echt ist. Blumenwurst verhält sich zu Fleischwurst wie Roman zu Realität. Oder so ähnlich.
Wie gemalt: die Blumensalami, lebensecht hingegen der Blumenfleischsalat (wobei die Salami auf dem Foto kontraproduktiv echter als in echt aussieht)
Etwas Geborgtes: Ein Zitat
»Und wie ist die Welt?«
»Verwischt ist sie, unscharf, flackernd, mal so, dann wieder anders, je nach Blickwinkel.«Olga Tokarczuk, EMPUSION (Opens in a new window), 340
Ich hatte in Umsehen lernen schon aus dem Buch zitiert, als ich gerade erst angefangen hatte, es zu lesen. Dann ist etwas Merkwürdiges passiert, aber nicht so merkwürdig, als dass es mir vorher noch nie passiert wäre: Ich habe so ein unbestimmtes Gefühl entwickelt, dass EMPUSION ein ganz wichtiges Buch für mich werden, weil ich darin Eigenes anders finden würde, und ich es deshalb besser nicht husch husch zwischendurch lesen sollte. Am Sonntag vor einer Woche fand ich dann endlich die richtige Leseruhe, außen und innen. Und, wow, EMPUSION hat wirklich alles, was ich brauche, um einem Buch zu verfallen: Es ist sehr klug, sehr philosophisch, aber nicht auf eine Weise, dass maus dafür ein Philosophiestudium benötigen würde (es schadet aber auch nicht); ja, Zauberberg liegt oberflächlich als Referenz nahe, aber für mich viel interessanter ist, dass der Text durch und durch mit Kafka getränkt ist, wiederum auf eine Weise, die Menschen, die nicht lächerlich lange zu Kafka geforscht haben, nicht ausschließt (es schadet aber auch nicht); es ist reich an Naturbeschreibungen, die einen ganz neuen Blick und Ton aufweisen, nichts mehr gemein haben mit diesen sterbensöden Landschaftsbeschreibungen, die ein Lesegefühl wie eine lateinische Grammatik erzeugen; es ist ein gewaltiges Hexenbuch, obwohl scheinbar nur Männer reden; es ist ein bisschen unheimlich und sehr unterhaltsam. Und es gibt diese unglaublich aufregende, vielwissende Erzählstimme, eine Art transpersonales Wir. EMPUSION ist eine Lese- und Denkwonne. Schade, dass ich immer behaupte, nur zu empfehlen, aber keine Literaturkritik zu betreiben, ausnahmsweise hätte ich mal Lust dazu, weil Olga Tokarczuk nach alten und neuen Maßstäben eine großartige Autorin ist.
Noch etwas Geborgtes: noch ein Zitat
»Es ist mir mulmig, wenn ich Roboter wie Menschen lächeln sehe, nachdem sie Dinge getan haben, die Menschen nicht tun oder nicht zu tun brauchen.« – Bora Chung, Der Fluch des Hasen (Opens in a new window), S. 114
Das Buch sieht so poppig aus, dabei sind die Geschichten darin sehr, sehr düster. Hier wird maus wirklich vom Cover getäuscht, aber auf eine gute Weise. Ein Blurb spricht von »K-Horror«, aber ich würde es eher als Globalhorror aus intersektional feministischer Sicht bezeichnen.
Wie im Vorwort zu Gewalt und Poesie (Opens in a new window) beschrieben, bin ich als Horrorrezipientin in den letzten Jahren wieder viel empfindlicher geworden und so erwischten mich die universalen menschlichen Grausamkeiten in manchen Geschichten ohne den guten alten Coolness-Schutzschild. Ob mir das wohltut, weiß ich nicht, meiner Welterfahrung und -sicht tut es gewiss gut. Empathiefähigkeit ist vielleicht einfach nicht mit dem Hyggekonzept kompatibel.
Ich las ein bisschen skeptisch los, weil ich offensichtlich groteske Szenerien nicht leiden kann und gleich ein sprechender Kopf im Klo auftauchte (mein persönlicher Platz zwei hinter der Tod klingelt an der Wohnungstür), aber bin dann doch mal wieder froh gewesen, dass ich auch nervig anhebende Bücher weiter und zu Ende lese. Selbst die Story mit dem Klokopf gefiel mir nach ein paar Seiten und dann kamen mehr und mehr Geschichten, deren Bilder mich nicht mehr loslassen werden. Worauf ich sehr stehe, ist, wenn mythisches Erzählen mit Gegenwärtigem verbunden wird. Natürlich nur, wenn das sehr gut gemacht ist, aber das ist in EMPUSION der Fall und auch bei Der Fluch des Hasen.
Etwas Unheimliches: Deutschland
Immer noch, immer wieder, immer neu.
Rubrikloses
Wie unglaublich frech sind weiße Startup-Kolonialherren, die sich ernsthaft hinstellen und behaupten, sie hätten die Praline neu erfunden, ohne zu erwähnen, dass schokolierte Datteln bzw. alle möglichen pralinenhaften Süßigkeiten mit Datteln und Schokolade ein sehr leckerer alter Hut bei sehr großen Personengruppen sind, aus denen sie ganz offensichtlich niemaus im Freund*innenkreis haben, weil sonst würden sie sich schämen, so frech zu sein. Martin, mit diesem Selbst-Wow-Gestus kannst du vielleicht über die Neuerfindung der Rübenpraline sprechen, so aber ist es einfach unanständig, deine Story nicht mit »Inspiriert von traditionellen Süßigkeiten, wie es sie etwa in den Ländern XYZ [deine Rechercheaufgabe vor der nächsten Investorenrunde] gibt« anzufangen. Es fällt dir kein Zacken aus der Krone und es wird keine deutsche Dattelpraline weniger verkauft, wenn Credits gegeben werden.
#AufInstaGesehen Noch mal zurück zur neulich angerissenen Frage: Wie okay ist es, wenn Weltkonzerne Shirts mit Motiven an den Mainstream verkaufen, die anderswo sub- oder jugendkulturell bedeutend sind bzw. waren. Meine vorläufige Bilanz war: Typisch scheiße vom Kapitalismus, aber gern die nichts ahnenden Jugendlichen, die das kaufen in Ruhe lassen. Jetzt ist mir aber diese Shirtwerbung begegnet und da sehe ich doch noch ein neues Problem.
Auf diesem Shirt ist Deborah Harry zu sehen, Sängerin der Band Blondie. Der Bandname Blondie steht aber nur auf dem Ärmel, ist also nicht lesbar, wenn das Shirt mit offener Jacke wie auf dem linken Bild der Anzeige getragen wird. In dem Fall ist da dann wirklich nur noch »ein Blondie« – bisschen aus der Mode gekommene misogyne Bezeichnung für eine blonde Frau – und nicht Deborah Harry zu erkennen, die »Blondie« subversiv benutzt und positiv umgedeutet hat. Gleichzeitig wird in der Werbung von einem »Statement-Piece« gesprochen. Wenn aber weder Träger*in noch Betrachter*in gesichert verstehen können, dass DAS Blondie DIE Blondie ist – wenn ich die Band nicht kenne, muss ich ja annehmen, dass da Blondie steht, weil ein random Blondie abgebildet ist – kann sich Statement eigentlich nur noch auf die Trägerin selbst beziehen, die dann irgendein vage indie und punk und off wirkendes Shirt anhat, um auf andere indie und punk und off zu wirken. Dazu passt auch die bisschen rotzige Pose des Models auf dem rechten Bild. Das ist alles nicht verwerflich, aber schon etwas deutlich anderes als ein Bandshirt, bei dem Menschen üblicherweise nicht nur mit einem Vibe assoziiert werden wollen, sondern mit einem komplexen Wirkungszusammenhang von Musik, Image und Vibe.
tbc
Vor dem neuen Teppich dem Kater eine Gefährderansprache halten
Formulierungen, die einfach nur sagen: GLAUB MIR KEIN WORT: »klare Kante gegen XY zeigen«, »sich für die Zukunft aufstellen«.
Seid ihr auch so fasziniert davon, dass Menschen gefühlt jahrhundertelang extrem hässliche Schneemänner bauten und erst das Internet sie von dieser Traditionsfixierung erlöst hat. Willkommen, Schneekätzchen und alle erdenklichen Schneenime-Characters.
Es werden ja immer mal wieder neue Tierarten entdeckt und damit Nachrichten geschrieben, die zu den 0,1 Prozent gehören, über die maus sich freut. Dieses allgemeine Entdecken gibt es aber auch diesseits der Forschung auf individueller Ebene, wenn maus zum ersten Mal eine allgemein längst entdeckte Tierart zur Kenntnis nimmt. Mir war bis vor wenigen Tagen entgangen, dass es Binturongs gibt, dabei sehen sie nicht nur meinen Lieblingstieren, Tasmanischen Teufeln, ziemlich ähnlich, sie sind überdies auch noch Katzen, genauer gesagt, Schleichkatzen. (>>>Binturongs have it all.) Früher wurden sie für Bären gehalten, ein lässlicher Irrtum, denn Binturongs haben wirklich eine Bärchennote. Bisschen Maus ist natürlich auch dabei.
Von Bart Van den Bosch - Eigenes Werk, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=774586 (Opens in a new window)
Stichwort Maus, falls noch nicht geschehen, könnt ihr diesen Hygge-Artikel über Internet-Mauskultur lesen. Der Frohmaus Verlag wird auch erwähnt, und zwar wegen dieses Newsletters hier, den ihr, weil ihr Maus-Avantgarde seid, natürlich abonniertet, bevor es Trend wurde.
https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/gesellschaft/maus-sprache-el-hotzo-e280654/?reduced=true (Opens in a new window)Ist übrigen ist es ganz schön raffiniert, über etwas zu schreiben, das dann viele Menschen mit Reichweite gern teilen, weil es ausnahmsweise nicht um garstige Hot takes geht. Maus wird maus ja gern genannt. Ich habe sogar ein SZ-Probeabo abgeschlossen, um den Artikel überhaupt lesen zu können, bitte erinnert mich daran, es in zwei Wochen zu kündigen. (Nachtrag: Zu spät, bitte erinnert mich nächste Woche daran.)
Vielleicht satteln ja auch andere Redaktionen versuchsweise auf harmlosen Clickbait um, damit wäre schon ein bisschen was gewonnen.
Ich finde, Akronyme, wie etwa CDU, sind Zeitoptimierungsgaga und verhunzen unsere schöne deutsche Sprache, außerdem sind sie exklusiv, nicht inklusiv. Ich werde das nicht länger hinnehmen und Behörden und Institutionen auffordern, nicht mehr zu akronymisieren.
#AufInstaGesehen Ein weißer, dunkelblonder, behornbrillter Jan und ein weißer, dunkelblonder, behornbrillter Jan treten gemeinsam bei einer Veranstaltung namens »Lyrikdoppel« auf. Ich weiß nicht, ob der Titel ironisch auf die doppelten Jans anspielt, aber kann mich mit der Frage auch nicht länger aufhalten, um nicht, es geschieht, ach, so schnell, Menschen aus dem Blick zu verlieren, die kein weißer, dunkelblonder, behornbrillter Jan sind.
Viele von euch waren demonstrieren, als Aufwandsentschädigung bekommt ihr eine Dosis Katzengold.
Präraffaelitische Girls erklären
Zurück zu den Demos, und wenn euch – auf persönlicher Ebene durchaus verständlich – nervt, wer da jetzt zum Teil und warum demonstriert, bitte nicht vergessen: Keine Stilkritik im Widerstand. (Sonst wird das nichts mehr mit solidarischen Bewegungen, formerly known als Linke.)
Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
Hier noch zwei Downloadkalender als Geschenk (Opens in a new window). Bisschen spät, aber schön. So was passiert, wenn der Newsletter mitsamt der Newsletternden zwischen den Jahren hängenbleibt.
XOXO,
FrauFrohmann
Das Coverbild ist minus der rosa Einfärbung ein Selbstporträt von Berthe Morisot aus dem Jahr 1885. Cis-Mann-Redakteurs-Paradies Wikipedia Deutschland hat natürlich nicht mehr drauf, als Berthe Morisot als eine der vier bedeutendsten impressionistischen Malerinnen einzuordnen. Wo käme mann denn auch hin, wenn sie einfach bedeutende Vertreterin des Impressionismus genannt würde.
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