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Folge 39 

Etwas Altes: Busen

Beim verzweifelten Versuch, schöpferisch zu vergessen, dass eine Redaktion sich zum wiederholten Male nicht zu schade war, noch einen und noch einen und noch einen und noch einen Clickbait-Artikel übers Gendern rauszuwürgen, ist mir etwas wieder eingefallen: In den 1970ern sagten praktisch alle Menschen im Deutschen Busen zu Brüsten, man sagte es nur dann nicht, wenn es galt, akut klugzuscheißen, in dem Falle sagte man: »Busen [bedeutungsvolle Pause] ist eigentlich inkorrekt, denn es bezeichnet nur den Bereich zwischen den Brüsten.« Ich war damals noch sehr klein, aber es ist mir, wenn auch dunkel und unbegrifflich, aufgefallen, dass da zwischen den Erwachsenen kommunikativ etwas Merkwürdiges und latent Unangenehmes passierte. 

Ihr könnt euch, um ein bisschen Spaß zu haben, bei dem es nicht die Falschen trifft, ausnahmslos alle, die aktuell mit reaktionärem Geschwätz die Twittercharts stürmen, vorstellen, wie sie 1977, in irgendeine fragwürdige Nylonpelle gehüllt, zu einer Person, die arglos von Busen sprach, sagten: »Busen [bedeutungsvolle Pause] ist eigentlich inkorrekt, denn es bezeichnet nur den Bereich zwischen den Brüsten.« 

Dazulernen mussten immer schon nur die anderen.

Etwas Neues: Eine These

Privileg = Horror
Marginalisierung = das Unheimliche 

Wisst ihr eigentlich, dass ich die Domain dasunheimliche.com habe? Es könnte sehr gut sein, dass ich sie dieses Jahr wieder in Betrieb nehme, die Zeit ist reif. 

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»When I talk about pictures in my mind I am talking, quite specifically, about images that shimmer around the edges.«  —  Joan Didion, Why I Write (Opens in a new window)

Etwas Uncooles: Bücher schlecht behandeln

Uff, gut, dass ich diesen Text im etwas geschützteren Raum des Newsletters schreibe, ich kann es förmlich spüren, wie sonst wieder erst das Radio anrufen und um einen schönen hot take bitten und dann ein entrüsteter Hochschuldozent, der es mit dem Zuhören und Lesen nicht so genau nimmt, kritisch über mich herfallen würde. Auf beides habe ich aber keine Lust mehr, hatte ich nie, ist aber trotzdem mehrmals passiert. 

Aaaaaalso, heute schreibe ich darüber, wie ich absichtlich ein Buch eingeschmuddelt und dann weggeschmissen habe. Heute. In echt. Das hört oder hörte sich auch in meinen Ohren zunächst einmal schlimm oder zumindest frivol an, denn ich bin vielleicht nicht ex-, auf alle Fälle aber implizit in der Überzeugung erzogen worden, dass man Bücher grundsätzlich nicht vorsätzlich beschädigen sollte, ganz besonders nicht als Deutsche. Was ist also los mit mir, dass ich Bücher zerstöre? 

Ich tue es im gleichen Gestus, in dem ich auch sage, dass Aussagen und Auftritte von Antidemokrat*innen nicht von der Demokratie ausgehalten werden müssen: nicht mit Rechten reden und nicht mit schlechten Büchern die Wohnung teilen. Aber warum bringe ich das schlechte Buch nicht einfach zu einem Mitnehmregal? Ganz einfach, weil ich ja auch nicht Rechten dabei behilflich bin, Personen zu finden, die im Gegensatz zu mir mit Rechten reden würden. 

Ich bin Rechten nichts schuldig und schlechten Büchern auch nicht. Aber was verstehe ich überhaupt unter einem schlechten Buch? Unter einem schlechten Buch verstehe ich ein böses Buch, ein Buch, das Menschen diskriminierende Gedanken, Begriffe, Vorstellungen einpflanzt oder sie wirksam hält. Das Weiterwirken eines schlecht geschriebenen Buchs hingegen ist mir persönlich egal, das würde ich zwar nicht verlegen, aber wenn ich als Leserin an eines gerate, bringe ich es brav (nachhaltig!) zum Tauschregal, vielleicht haben andere Menschen ja ganz andere Vorstellungen von guter Literatur. Aber Bücher, in denen Menschen(gruppen) wie Objekte dargestellt werden, bringe ich zum Müll, denn sie sind Müll, strahlender Giftmüll. 

Auf welches Buch bin ich denn so sauer? Heute auf Bildergeschichten von Wilhelm Busch. Ich bin sauer, dass mir, als ich ein Kind war, irgendwer arglos dieses Gemetzel geschenkt hat – das Label »Kinderbuch-Klassiker« machte es möglich – und dass ich ziemlich oft, halb fasziniert, halb abgestoßen von der unsäglichen Herzlosig- und Grausamkeit, darin gelesen habe. Alles Böse, was uns bis heute noch beschäftigt, findet sich darin: Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Klassismus, Tierquälerei, Folter, Mord. Was mich noch saurer macht: Der Autor beobachtet durchaus strukturelle Ungerechtigkeit und systemische Probleme – ich muss also gar nichts »in der Zeit sehen«, denn er selbst sieht seine Zeit ganz genau –, aber er zeigt nicht das geringste Interesse daran, nach Lösungen zur Überwindung der Gewalt und des Elends zu suchen, es genügt ihm, dass er selbst souverän und ironisch über allem steht. Genau für diese kalte Haltung verachte ich ja auch die Popliterat*innen, die ihre Perspektive jetzt nicht rückwirkend in Frage stellen, was meines Erachtens ohne Gesichts- und Prestigeverlust möglich wäre. 

Klein, aber oh no (oben rechts im Bild)

Und so ist es meine neue Freude, mit fettigen Essfingern unachtsam die Seiten eines toxischen Buches umzublättern, ihm Eselsohren zu machen, seine Bindung knackend zu brechen. So wie die Kinder Max und Moritz im Buch von Wilhelm Busch knackend ermordet werden. Die Recherche für mein Anti-Coolness-Buch verlangt mir viele schreckliche (Re-)Lektüren ab, aber mit dem Wissen von heute muss ich wenigstens zu den Büchern nicht mehr höflich sein. Du bist ein Ding, eine Ware, böses Buch, und ich habe dafür bezahlt, dass ich mit dir machen kann, was ich will. Nein, ich habe keine Angst, dass meinen Büchern ähnlich übel mitgespielt wird, denn die Personen, die das nach diesem Text potenziell tun könnten, lesen weder meinen Newsletter noch haben sie Bücher von mir. Und wenn doch, bitteschön, wer bezahlt hat, darf auch schrotten. Fair enough.   

Haha, ihr habt bei der Überschrift bestimmt gedacht, dass jetzt so ein bibliophil-empfindsamer Artikel darüber kommt, wie barbarisch manche Menschen mit Büchern umgehen. »Kennt ihr sie auch, diese grausamen Menschen, die Bücher aufgeschlagen mit den Seiten nach unten hinlegen?« Nein, wir kennen nur Menschen, die grausam andere Menschen im Mittelmeeer ertrinken oder an der Grenze erfrieren lassen. Wir kennen euch, uns, dich. Ich kenne mich.

Mit Büchern darf man umgehen, wie man möchte, solange sie einem gehören. Die in einem angelegte Achtsam- und Empfindlichkeit sollte man sich bewusst als Mitgefühl für Lebewesen aufsparen.  

(Das Buch Revolution für das Leben (Opens in a new window), in dem Eva von Redecker so gut die lebensfeindliche Sachherrschaft erklärt, fasse ich ganz von selbst vorsichtig an, denn es ist zwar auch eine Sache, aber eine, aus der Leben strömt.)  

Rubrikloses

Wenn sie kein Katzenfutter haben, sollen sie doch Glitter fressen!

Aus dem Augenrollscreenshotarchiv (vor ein paar Jahren auf Insta gesehen): Ist die Ein-rosa-Fingernagel-oder-mehrere-Revolution geglückt?

Warum heißt es Redaktion und nicht Reaktion

Bittebittebitte, lasst Garty Party 2022 möglich sein! #BöseBowle #10JahreFrohmann

Ich, damals, als man noch zu Vorträgen reiste, in Solothurn über Poké..., äh, Literatur sprechend (Opens in a new window) 

(Foto: Gesa Schneider)

Damals war ich sehr gerührt, heute frage ich mich, ob es genauso sweet gelaufen wäre, wenn der Schüler nicht Lorenz geheißen hätte.  – Ich hoffe es. 

Guerlica

Aus: Präraffaelitische Girls erklären Hexerei (Opens in a new window) 

Zurück zum Angemessenen und den Anmessenden, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,
Frau Frohmann

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