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Folge 111

Life Study of Lady Hamilton as the Cumaean Sybil

Vorweg

Es geht auch in dieser Folge wieder massiv um Katzen, aber wie ich schon vor langer Zeit sagte: »Katzenvideos sind nur auf den ersten Blick banal, sie erzählen uns ganz viel über das Netz und die Gesellschaft. (Opens in a new window)« Also seid tapfer, selbst wenn ihr lieber Hunde oder gar keine Haustiere mögt.

Etwas Altes: Buchmessenmütterhotelzimmerfreude

Ich bin dieses Jahr erneut nicht bei der Leipziger Buchmesse – kein Geld, kein Gefühl der Zugehörigkeit wegen immer größerer rechter Präsenz –, aber ich erinnere mich sehr gut an das, was ich an beiden alten Buchmessen immer am meisten mochte: die Zeit allein im Hotelzimmer. Ein sauberes, idealerweise komplett gesichtsloses Zimmer mit frischer Bettwäsche und WLAN für mich allein (Motel One!), das war meine 21.-Jh.-Version von A Room of One’s Own. Nicht, dass ich in einem dieser temporären eigenen Zimmer jemals etwas Literarisches verfasst hätte – ich schlief in erster Linie oder glotzte Serien. Aber es war ein Frei-Raum, in dem ich mir wenigstens wieder vorstellen konnte, irgendwann mal etwas Schöpferisches auf die Reihe zu bekommen und nicht nur erschöpft zu sein von der Care und vom brotlosen Indieverlegen.

Vielleicht sollte ich fiktive Messen und Konferenzen konzipieren und stattlich staatlich fördern lassen, um Müttern und andere Erschöpften immer mal wieder drei Tage Schlafen und Chillen zu ermöglichen.

Hotelzimmer
Paradies
Nicht-stören-Schild

Etwas Neues: Cat Dads

Aktuell regen sich feministische Journalist*innen und Aktivist*innen zu Recht über überpräsente feministische cis Dads und Dudes auf, die mal wieder das Rad neu erfinden, aber dafür mit minimaler Arbeit maximale Aufmerksamkeit und ein schönes Geschäftsmodell bekommen. Ich möchte mich daran anschließend über Cat Dads aufregen.

Cat Dads haben keine Kinder, sondern Katzen, und, ja, sie nennen sich wirklich selbst so. Feministisch sind sie nur scheinbar, weil sie die an sich wundervolle Erfahrung, die gerade cis Männer unbedingt machen sollten, im Umgang mit einer Katze leichter Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden, gleich wieder in ein Distinktionsmerkmal ummünzen: Hey, falls du, was ja zunehmend wahrscheinlich ist, Feministin bist, ICH bin ein sensibler Cat Dad, mir kannst du getrost vertrauen und auf Instagram folgen. Die Instagram-Cat-Dads sind die neuen Tinder-Feministen, sie sind auf dem nächsten Level unterwegs und machen gleichzeitig Dates und Werbeeinnahmen klar.

Jahre- bis jahrzehntelang haben Menschen, darunter auffallend viele Nicht-cis-Dudes, Cat Content produziert, in dem Katzen in ihrem Katzen- und Cutesein gefeiert wurden. Okay, manchmal wurden und werden Katzen auch kostümiert, das ist ethisch zweifelhaft, aber Katzen lassen sich ja erstaunlich oft und mit der Zeit immer begeisterter auf Dinge ein, die ursprünglich nicht artgerecht sind, etwa rumgeschleppt und abgeküsst werden. Aber das ist ein anderes Thema. Auch ein anderes Thema ist, dass dabei in Einzelfällen durchaus mal sehr viel Geld verdient wurde, aber dann waren auch wieder irgendwelche cis Dudes als Meme-Manager mit an Bord. (Würden sich Meme-Manager heute Meme-Dads nennen?)

Cutes Katzendada ballerte aber üblicherweise einfach so vor sich hin. Für Klicks, ja, aber vor allem als sozialer Kitt des Internets. Da kannten sogar offizielle Intellektuelle plötzlich nichts mehr und hauten ihre Katzenbilder raus. Und das ist bis heute auch das Schöne am Cat Content, er hat etwas Karnevalistisches (das gute, die Ordnung störende Karnevalistische, wie es Bachtin beschreibt). Beim Cat-Content darf Mensch auch mal uncool und cringe sein oder gefühlvoll, was leider in Deutschland ein Synonym für uncool und cringe ist.

Der Cat Dad aber macht, egal, wie lieb er mit ihr umgeht, die Katze zum Accessoire, er lässt sie neben sich herlaufen, um selbst erhabener und magischer zu wirken, wie so ein Ritter in den alten Sagen. Das ist ganz klar Internetlästerung, denn »das Internet ist eine Katze« (Peter Glaser). Cat Dads machen das Gleiche wie übergriffige cis Dudes, die metoo-Romane schreiben. Sie ziehen da eine falsche neue Ordnung ein, wo gerade die Unordnung befreiend wirkte.

Cis Dudes, bitte erfahrt offline, wie es ist, von der Cuteness einer Katze emotional erweckt zu werden. Ihr könnt uns nichts Neues erzählen, denn wir hatten immer schon Gefühle. Miau.

Cute Cat Dada > Cat Dads Blabla

Person mit Katze unter Decke auf Couch
Cutes Privatbild, wie es sich gehört

Etwas Unheimliches: Neoliberaler Cat Content

Nachdem eine Milliarde Fotos, Videos und Memes Menschen eingehämmert haben, dass sie Katzen dafür lieben, per Werkeinstellung unkontrollierbar zu sein und sich nach menschlichen Maßstäben irgendwo zwischen narzisstischem Arschloch und Psychopath zu verhalten, schleicht sich seit einiger Zeit in sozialen Medien ein neues Genre ein: das der selbstoptimierten Streberkatzen.

Streberkatzen öffnen sich selbst die Haustüre.

Streberkatzen benutzen die Menschentoilette und spülen danach ab.

Streberkatzen springen wie Turnierpferde über hohe Hindernisse.

Streberkatzen zapfen sich, wenn sie Durst haben, selbst Wasser aus dem Spender.

Katze zapft sich Wasser aus Spender.

Ja, das sieht erst mal harmlos aus und kommt wie eine neue Unterart von Cat Content daher, in Wirklichkeiten aber ist es heimtückisch, denn es reterritorialisiert den eher anarchischen Katzen sind Katzen sind Katzen-Content – klassischen Cat Content würde ich als »Cute Dada« bezeichnen – ins System des Kapitalismus und der protestantischen Werkmoral.

Ich gebe zu, als es mit den Streberkatzen losging, habe ich auch kurz Laser schief von der Seite angesehen und mich gefragt, warum er trotz seiner überragenden Intelligenz nicht mehr erreicht hat, als ans Fenster zu klopfen, die Kellertüre von innen aufzustoßen und aus dem Klo zu saufen. Dann aber ist mir zum Glück wieder eingefallen, dass Laser absolut perfekt ist und gar nichts lernen muss, weil ich es ja bin, die von ihm lernen konnte und durfte: im Zweifelsfall chillen oder schlafen und allzeit krass und cute sein.

Vermutlich freuen sich Streberkatzen sogar darüber, wenn die Menschen, mit denen sie leben, sich selbst als Cat Dad oder Cat Mom bezeichnen und zu ihnen good boy oder good girl sagen. Streberkatzen sind die felinen Pick me Girls. Sie sind Hundekatzen. Streberkatzen würden Christian Lindner wählen.

Sollte demnächst geleakt werden, dass die Streberkatzenvideos zu einer Guerillamarketingkampagne der FDP gehören, ich wäre nicht überrascht. (Die CDU/CSU kann ja kein Internet.)

Warum unheimlich? Gemeint ist dieses unheimlich, das Menschen, rational betrachtet, fühlen müssten, aber nicht fühlen. Das Unheimliche der im Shirt steckenden Kinderarbeit oder eben die neoliberale Katzenarbeit im Insta-Feed.

Weil das Unheimliche kein verlässlicher Begleiter mehr ist, müsst ihr bitte besonders gut aufpassen, was ihr konsumiert. Das, was unheimlich wirken müsste, es aber nicht tut, macht was mich euch und der Realität, auch wenn ihr es nicht wisst.

Kater Laser auf Treppe unter Bild von Zombie

Rubrikloses

Pinker Stoffbehang mit Aufschrift Non Una Di Meno
Non Una Di Meno in Palermo
Zerbrochene chinesische Teekanne aus den 1920ern
Vor einigen Wochen machte ich mir tiefgründige Gedanke über den zarten Rattangriff, der hundert Jahre überdauert hatte. Ich hätte mir undeep denken können, wie es weitergehen würde. #EmpirischerAberglaube
Nachtrag zur letzten Folge:
Nur wer Katzen füttert, wird ein Blumer.
Wer Katzen menschsplaint, ist und bleibt ein Boomer.

Präraffaelitische Girls erklären

Gemäldeausschnitt. Person liegt am Boden und spielt mit einem Papagei. Hinzugefügter Text:  »Das WLAN ist instabil … ich lasse beim Team-Call die Kamera lieber gleich aus, bin aber ganz bei euch.«

Maus sieht sich. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,
FrauFrohmann

Empfehlt Umsehen lernen gern weiter und schließt, wenn euch überraschend Geld in den Schoß fällt, mal für ein Weilchen ein Bezahl-Abo (Opens in a new window) ab. Danke für diesen und jenen und allen Support.

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