Folge 119
Sagen wir es mal so, ich habe viele Anfänge für diese Folge geschrieben und sogar zwei ganze Versionen und dann immer wieder gedacht: nein. Das hilft alles nichts, nicht inhaltlich, nicht emotional, nicht euch, nicht mir.
Letzte Woche fühlte ich mich wirklich einen Millimeter vor dem Abgrund. Wäre diese Abstimmung anders ausgegangen, wäre es kein Millimeter mehr gewesen.
Ich schreibe jetzt mal ein paar Absätze lang so, als würden wir nicht in einer Endzeitgroteske leben oder hätten wenigstens schon einen plausiblen Plan, wie wir gerade noch rechtzeitig wieder rauskommen. Nicht so einen klassischen Plan, der vernünftig, logisch, zwingend ist, sondern so einen, bei dem auch andere Menschen mitmachen, weil sie es fühlen, egal, ob sie es verstehen oder nicht. Das gilt es nämlich gerade hinzunehmen und auszuhalten: Es geht nicht darum, Menschen etwas zu erklären und auch nicht darum, sie zu sehen, sondern, mitreißend auf sie wirken und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie gesehen werden. Im gegenwärtigen Idealfall kommt beides zusammen, aber das geschieht nicht so oft.
Schade, dass die Menschen im Netz, die die Kombination aus professionellem Inhalt und digitaler Performanz draufhaben und längst als ein wirksames Gegengewicht im öffentlichen Raum wirken könnten, in älteren Medien systematisch als Aktivist*in (Nebenklang: Terrorist*in) und Influencer*in (Nebenklang: Amateur*in) kleingeredet worden sind. Schade auch, dass ich offensichtlich selbst so viel ins Nichts erklärt habe, statt seit 2014 systematisch »performative Aufklärung« zu betreiben, also Menschen demokratiestärkende Erfahrungen am eigenen Leib machen zu lassen und sie so positiv zu manipulieren.
– Ist es denn überhaupt Manipulation, wenn man wie ich die Methode offenlegt, das beeinflussende Vorgehen miterzählt?
Obwohl ich schon vor über zehn Jahren wusste, dass dieses Gefühlsüberzeugen notwendig ist, um sozial Schlimmes zu verhindern, war es mir damals selbst noch ein bisschen unheimlich, weil geführtes Fühlenlassen so eine Mario und der Zauberer-Note hat, aber im Grunde ist das Quatsch, denn ich nutze ja den Gegenzauber, bewege Menschen vom Faschismus weg.
Ich bereue also, damals nicht mehr auf mich selbst gehört zu haben. Mal sehen, was ich mit diesem Gefühl mache. Jetzt bewege ich euch erst mal mit mir ein bisschen raus aus der Denk- und Zuversichtsblockade, warum, muss ich, glaube ich nicht erklären: Erstarrt zu sein, ist gerade so naheliegend wie gefährlich. Ich muss uns also lockermachen, damit wir total mitreißende Demokratie-Influencer*innen werden können. Ab in einer Minute muss jeder enttäuschte Mensch mit Wahlberechtigung in unserer Nähe sein wollen, so wie wir sein wollen, mit dabei sein wollen, ein Teil der Bewegung sein wollen. Es fühlen. Spürst du schon den Demokratie-Vibe? Channele die rheinische Frohnatur in dir oder irgendetwas Vergleichbares. Aber rede nicht darüber, jedenfalls nicht so inhaltlich, emotiv ist okay – performe!
Jetzt ist das Gegenteil von Meta gefragt. (In jeder Hinsicht.) Nicht die Stirn runzeln, Maus. Wir denken und reden später wieder. Jetzt holen wir die Gitarre raus und treffen uns mit den Enttäuschten am Lagerfeuer. Du ekelst dich vor den Enttäuschten? Bist du nicht selbst zutiefst enttäuscht? Na, siehst du, hier kann der Gemeinsinn ansetzen.
Um uns ein bisschen fröhlicher zu stimmen – wichtig, wirkt gleich viel sympathischer am Lagerfeuer – greife ich erst mal zum bewährten Stimmungsaufheller Kätzchencontent. (Wenn du es »nicht so mit Tieren hast«, kannst du jetzt ein gutes Buch lesen gehen.)
Etwas Neues: Die Katzenwand
Vor genau einem Jahr reiste ich mit meinem Mann für einen Monat nach Italien, um den Traum für die nächste Lebensphase einer Realitätsprüfung zu unterziehen: Ist es im Winter auf einer Insel angenehm* oder doch eher The Shining? Können wir hier vergleichbar gut oder sogar besser arbeiten? Vereinsamen wir zu zweit oder ist es gerade schön, wieder mehr miteinander zu teilen?
* Auf besagter Insel geschrieben, unterbrochen von einem Stromausfall und Minuten in völliger Dunkelheit, ab morgen Prepperin.
Bei der Hin- und Rückreise machten wir Zwischenstopps in einer großen Stadt und mieteten dort beide Male ein Airbnb, das ein bisschen teurer war, als wir uns sonst Budget geben. Verführt dazu hatte uns jeweils ein bestimmtes Foto in der Anzeige, das die Unterkunft ästhetisch herausragend wirken ließ, einmal war es eine blaue Wand mit dichtgehängten, ziemlich guten Gemälden, das andere Mal eine asiatisierende Wandmalerei aus dem 19. Jahrhundert. Wir verbuchten das Phänomen als »die Instagramwand« und meinten damit, dass quasi mitbezahlt wird, ein besonders tolles Foto und korrespondierendes inneres Bild machen zu können.
Mittlerweile haben wir – wie nannten sie das bei Friedrich »unverantwortliche Arschgeige« Merz: er ist ALL IN gegangen – auf Pump eine winzige Wohnung in unserem italienischen Lieblingsort gekauft und richten diese nach einem sehr gechillten strengen Plan ein: nur wirklich notwendige Dinge plus ein ordentlicher Batzen Schönheit, kein Luxus, aber gute Qualität, alles nach und nach, wenn Geld dafür da ist. Aktuell leben wir hier wie ein junges Studipaar im Auslandssemester, nur sind die Matratzen auf dem Boden mittlerweile schon frische, und unser Besteck wurde von Virgil Abloh designt. Um uns die Wohnung leisten zu können, werden wir sie vermutlich immer im Juli und August vermieten (endlich ekelhafte Kapitalistin), dann ist hier die Hölle los und es werden stolze Preise bezahlt.
Ihr ahnt es schon: Natürlich brauche ich eine Instagramwand. Ich würde sie auch ganz für mich allein brauchen und ich brauche sie auch jetzt noch, wo ich nicht mehr auf Instagram bin. Instagram wird für immer irgendwie in mir sein, Twitter auch, Facebook eher nicht.
Meine Instagramwand wird aus Katzenbildern bestehen und von der Mitte aus weiter nach außen wachsen. Drei Bilder habe ich schon, zwei hängen bereits, aber das Foto ist nicht wirklich aussagekräftig, weil die Bilder random an alten Nägeln hängen. – Die Renovierung der Wände steht noch aus.
Katzenkunst aus Vor-Internetzeiten, also vor ihrer Erlösung durch Cuteness und Memekultur, war ja sehr oft Schauplatz der schlimmsten ästhetischen Gräuel. Im Grunde waren früher nur Clownsbilder noch schrecklicher. Bei der Gelegenheit möchte ich klarstellen, dass es absolut verboten ist, Katzen und Clowns zusammen (Opens in a new window) darzustellen, das geht einfach gar nicht, und lebenslanges Internetverbot ist die einzig angemessene Strafe für so einen Frevel.
Eine Katzenwand für eine Wohnung, in der alles schön sein soll, ist also keine einfache Aufgabe. Das genaue Konzept lautet: weirde, aber cute Katzenbilder, die irritieren, aber nicht verstören, möglichst nur eine Katze, bevorzugt in Öl, bevorzugt Porträts mit Blickkontakt, die nur ich ganz allein aussuchen darf, weil sonst Weltuntergang.
Falls ihr Interesse habt, in das zugehörige rabbit hole mitzukommen, folgt mir zu Ebay, dann verrate ich euch den Stand der Dinge. Aber, wehe, ihr kauft mir Bilder weg, auf deren Preisreduzierung ich warte: Alles über hundert Euro ist für mich tabu. Das größere Bild auf dem Foto kostete zuerst 300 Euro, doch ein Jahr später [Engelsgeduld-Emoji] habe ich es für hundert bekommen. Bei lebenden Künstler*innen, die ich besonders liebe, halte ich mich eventuell auch mal nicht an die Regeln.
Alles aus der Kategorie Viel zu teuer oder Passt nicht ganz ist bei Interesse gern für euch freigegeben. Vielleicht habt ihr ja Geld wie Heu oder ein anderes Instagramkatzenwand-Konzept.
Kaufe ich möglicherweise: Schön weggetretener Blick (Opens in a new window)
Würde ich für 100 Euro kaufen, aber kostet leider mehr:
mehrere Katzen und Blumen, schon ziemlich am Rand des Konzepts, aber toll weird und cute (Opens in a new window) /// kurz vor zu intensiv, aber noch dabei (Opens in a new window) /// Gesicht etwas zu menschlich geraten, aber noch dabei (Opens in a new window) /// sehr cute (Opens in a new window) /// bisschen peinlich und bisschen Clown, aber: ja! (Opens in a new window) /// Bitte bitte reduzieren (Opens in a new window) /// etwas zu lieblicher Rahmen, aber toll (Opens in a new window) /// Plus: schön unheimlich (Opens in a new window)
Viel zu teuer: ich liebe den Blick und die freche Pose (Opens in a new window) /// top (Opens in a new window) /// Ich liebe es (Opens in a new window)
Passt nicht ganz: bisschen zu weiß (Opens in a new window) /// wäre zu dominant in der Konstellation (Opens in a new window) /// sehr weird (Opens in a new window) /// wäre der Ball nicht rot … (Opens in a new window) /// zu elegant und zu teuer (Opens in a new window)
Alles falsch, aber trotzdem großartig (Opens in a new window)
Etwas Altes: Bilder von Tieren, Blumensträußen und anderen idyllischen Subjekten
Ein bestimmter Ebay-Händler in Italien, den ich mir, weil er ein ganz hübsches Katzengemälde anbietet, näher angesehen habe, hat vor allem Gemälde und Zeichnungen von Pferden, Hunden, Katzen, Vögeln, Blumensträußen und, huch, Hitler im Sortiment. Das erinnert mich zunächst an diese Denkspiele für Kinder: Welches Bild passt nicht dazu? Diese Assoziation greift aber zu kurz. In Wirklichkeiten, gut, nicht meiner Wirklichkeit, aber in der von immer mehr anderen Menschen, passt Hitler sehr gut dazu, weil Menschen sich klassischerweise mit Tier- und Blumenbildern das Interieur ihres Zuhauses als emotionale Idylle gestalten, und wenn du auf nationalistische Kriegskultur stehst, dann wirkt Hitler auf dich vermutlich so beruhigend wie auf mich ein Kätzchen. Interessant auch, dass der Händler, zumindest so mein starker Verdacht, die Bilder alle selbst produziert und dann in alte Rahmen steckt, zu ähnlich ist bei ihnen allen der Strich, der Vibe. Da sitzt also irgendwo in Italien ein Typ und zeichnet oder malt Kätzchen, Blumensträuße, Hitler und ab und zu auch noch einen jungen Napoleon. Diese Vorstellung wird mir ab jetzt ein bisschen dabei helfen, die abstruseste alle bisher erlebten Gegenwarten als real anzuerkennen.
Etwas Unheimliches: Eerie Ebay
Bisschen Grusel gefällig? Dann kommt noch mal mit.
Rubrikloses
Erinnert ihr euch an die Zornnatter aus Folge 49 (Opens in a new window)? Sie kommt auch sehr prominent in meinem Buch Vier Wochen (Opens in a new window) vor (VÖ: 8.3.2025). Jetzt hat die Realität die Fiktion überholt. Es kam zur Lebendbegegnung. Zum Glück mit zehn Metern Abstand. Es war okay. Nicht schön, aber okay.
Jetzt höre ich einfach unvermittelt auf, die PGExplaining melden sich sehr bald mit ihrem eigenen Newsletter.
Ciao miau und immer schön mitreißend bleiben, zumindest bis nach den Wahlen.
XOXO,
FrauFrohmann