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Die Misshandlung von palästinensischen Gefangenen

Derzeit geht die Meldung durch Social Media, ein palästinensischer Gefangener soll von Soldaten der israelischen Streitkräfte mit einem Besenstiel anal vergewaltigt worden sein.
Da ich mich bereits im Mai zu dem Thema geäußert habe, habe ich nicht ausführlich darüber berichtet. Das hole ich gerne nach.
Kontext ist wichtig. Kontext ist keine Verharmlosung.

Am 23.05.24 erschien der Beitrag des Fernseh-Magazins Monitor „Inside Israels Haftlager“. Der etwa 10-minütige Beitrag ist bis heute online. Er stammt von Hanna Resch und Achim Pollmeier.

Im Kern geht es um das Gefangenenlager Sde Teiman. Das Georg Restle in der Moderation als „geheimes Gefangenenlager“ bezeichnet. Was bereits irreführend ist. Man kann kein Gefangenenlager in der Negev geheim halten. Es ist sogar das Straßenschild zu sehen. Restle selber spricht seine Moderation vor einem Luftbild des Lagers, weniger geheim geht es kaum.
Dass Journalisten keinen Zugang erhalten, dürfte in deutschen Gefängnissen nicht anders aussehen.

Der Aufmacher des Beitrags ist ein Gefangener, dem ein Bein amputiert werden musste. Daraus wurden auf Social Media Gefangene, denen Gliedmaßen abgeschnitten werden.

Der ehemalige Gefangene, der interviewt wurde, ist Sufyan Abu Salah. Er wurde festgenommen, weil eine Schule umstellt wurde, in der er mit seiner Familie Schutz gesucht hatte.
Inzwischen ist gut dokumentiert, dass die Hamas in Schulen vor allem der UNRWA nicht nur Schutz sucht, sondern sogar innerhalb dieser Flüchtlingsunterkünfte Raketenwerfer installieren.

Foto: Nach einem Luftschlag auf eine UNRWA Schule im Juli.

Salah wurde ins Gefangenenlager Sde Teiman gebracht.
Laut seinen Aussagen war er dort mit Einwegfesseln arretiert. Die Fessel an einem Fußgelenk schnitt ins Fleisch, was sich aufgrund mangelnder Versorgung entzündete.
Daraufhin wurde er in ein ziviles Krankenhaus gebracht, wo die israelischen Ärzte entscheiden, dass der Unterschenkel amputiert werden muss. Nach einer entsprechenden Versorgung wurde er freigelassen.

Sde Teiman

Sde Teiman ist kein reguläres Gefängnis. Sondern ein improvisiertes Gefangenenlager. Die dort eingesetzten Soldaten sind Reservisten.
Die ursprünglich kleine Militär-Basis mitten in der Negev wurde erst auf Beschluss der Knesset im Dezember 2023 zu einem Gefangenenlager umgebaut.
Die Gefangenen werden als „gesetzeswidrige Kombattanten“ (also Terroristen) eingestuft, weshalb sie keinen Anspruch auf einen Rechtsanwalt haben.

Im März berichtete die regierungskritische Haaretz, dass 27 Gefangene gestorben seien. Dies bezog sich nicht ausschließlich auf Sde Teiman und beinhaltet auch Festgenommene in den Kampfhandlungen.
Im May berichtete die New York Times, etwa 4000 Gaza-Palästinenser seien in Sde Teiman gefangen gehalten worden. Davon seien etwa 70% weiter gefangen gehalten worden, weil Ermittlungen eingeleitet wurden. 1200 Gefangene seien entlassen und in den Gazastreifen gebracht worden.

So bitter es ist, man sollte sich klar machen, dass ein solches Lager nirgendwo auf der Welt mit einem normalen Gefängnis zu vergleichen ist.

Ich kann das beurteilen, weil ich aufgrund einer Zusatzausbildung im Objektschutz auch für sechs Monate Wachhabender war. In dieser Funktion war ich mit zehn Untergebenen auch verantwortlich für die Bewachung von bis zu sechs Gefangenen, die aus dem nördlichen Schleswig-Holstein bei uns untergebracht waren. Fahnenflüchtige, Angriffe auf Vorgesetzte, Diebstahl, sowas.
Die Höchststrafe der Disziplinarstrafe der Bundeswehr beträgt drei Wochen, sie kann jedoch auch mehrere Höchststrafen nacheinander betragen. Strafrechtliche Belange müssen an eine Staatsanwaltschaft abgegeben werden, die über das weitere Vorgehen entscheidet.
Die Inhaftierten hatten eine Einzelzelle ohne Fenster, mit einer tagsüber hochgeklappten Pritsche, einem Stuhl und einem Tisch. Ihnen standen eine Bibel und eine Tageszeitung zu. Telefonate waren nicht erlaubt. Sie wurden unter bewaffneter Eskorte zur Essensausgabe geführt, und wenn sie artig waren, wurde ein Auge zugekniffen, wenn die bewachenden Soldaten mit ihnen dabei mal eine Runde um den Block spazierten.
Das war bei der Bundeswehr. Ohne Krieg. Ohne Terroristen.

Nur um das deutlich zu machen: Ich finde das nicht toll. Aber ich akzeptiere, dass das die Realitäten sind. Und die zurückkehrenden ukrainischen Kriegsgefangenen sprechen eine abgemagerte andere Sprache.

Ich selber hatte als Nachrichtenmann ab etwa 1995 eine Liste von Ländern, in die ich nicht reisen durfte. Ich habe mich damit auseinandergesetzt, mich lieber zu töten, als in Gefangenschaft zu geraten.
Man mag mir verzeihen, wenn ich etwas pragmatisch erscheine. Militär ist kein Ponyhof.

Kein Gesetz gegen Folter

In diesen Relationen muss man einordnen, wenn das UNRWA (Opens in a new window)und das Public Committee Against Torture Israel von Folter sprechen. Es muss geprüft werden, ob und in welchem Ausmaß Folter stattfindet und ob sie systematisch erfolgt.

Die Äußerung einer Sprecherin des UNRWA in dem Bericht, es gäbe kein Gesetz gegen Folter in Israel, wurde dann ebenfalls auf Social Media aufgegriffen.
Das ist richtig. Muss aber vor dem Hintergrund des Staates Israel verstanden werden.
Israel hat keine Verfassung. Das bedeutet, solche grundlegenden Entscheidungen werden in einem Verfahren durch das höchste Gericht gefällt. Das Gericht, dessen Kompetenzen die Regierung Netanjahu beschneiden wollte, was zu weiten Protesten und riesigen Demonstrationen in Israel geführt hat. In dem aber auch schon mindestens ein israelischer Araber, aka. Palästinenser, als Richter saß.
Das kann aber erst passieren, wenn ein Verfahren stattfindet. Vorher gibt es logischerweise kein Gesetz bzw. keine Prüfung.

Nur damit wir uns richtig verstehen: Selbstverständlich muss es ein solches Verbot und eine genaue Definition geben. Dinge wie der Folterskandal in Abu-Ghuraib 2004 oder das Gefangenenlager Guantanamo, das entgegen der US-amerikanischen Rechtsprechung Menschen ohne Gerichtsverfahren gefangen hält, sind eines demokratischen Staates unwürdig. Und da kann es keine zwei Meinungen geben.
Das jetzt aber mit Sde Teiman zu vergleichen, wo es bisher keine entsprechende Untersuchung gegeben hat, halte ich für schwierig. Nicht falsch, nur schwierig.
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen glaube ich dem durch die Hamas unterwanderten UNRWA kein Wort mehr.
Ich würde dem UNRWA nicht einmal soweit trauen (Opens in a new window), wie ich es werfen kann.

Diese Vorgänge um Sde Teiman sind längst in Israel bekannt.
Bereits am 05.06.24, also kurz nach dem Beitrag von Monitor, meldete das ZDF heute, dass bereits 700 Insassen verlegt wurden. Weitere 500 sollten verlegt werden. Verbleiben würden 200.
Das bedeutet, was derzeit zum Teil propagandistisch durch Social Media getrieben wird, sind die Nachrichten von gestern.
Eine Untersuchung wurde längst eingeleitet.

Proteste gegen Festnahmen

Am 29.07.24 wurden neun israelische Reservisten festgenommen. Wegen der Misshandlung von palästinensischen Gefangenen. Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit geht es um die Vorgänge in Sde Teiman.
Das alleine zeigt bereits, dass diese Misshandlung keineswegs Staatsraison ist.

Daraufhin versammelten sich am Abend 200 rechtsnationale Demonstranten und stürmten einen Militärstützpunkt.
Deutsche Medien berichteten, diese Demonstranten hätten das Lager Sde Teiman gestürmt. Doch das ist falsch. Das zeigt erneut, dass selbst Formate wie Tagesschau und ZDF heute Agenturmeldungen ungeprüft übernehmen.
Es gab zwar Proteste vor Sde Teiman, diese verliefen jedoch friedlich.

Es handelte sich um die Kaserne Beit Lid. Und die liegt im Westjordanland.
Die randalierenden Demonstranten, die sogar in das Innere des Verwaltungsgebäudes vordrangen, waren also mit hoher Wahrscheinlichkeit israelische Siedler.
Für mich persönlich unverständlich, warum die Streitkräfte nicht das Feuer eröffnet haben.

Dazu muss man verstehen, dass Ministerpräsident Netanjahu selber tatsächlich sehr rechts und nationalistisch-konservativ ist. Seine Partei der Likud aber innerhalb der 13 (!) Parteien der Knesset (israelisches Parlament) ein Bündnis mit ultraorthodoxen und Rechtsextremen eingegangen ist, um eine mehrheitsfähige Regierung bilden zu können. Und aus diesem Spektrum kommen auch die Siedler und diese Demonstranten.

Hervorzuheben ist die Mafdal, deren eindeutig rechtsextremer Vorsitzender Bezalel Smotrich zum Finanzminister ernannt wurde. Dieser hatte vor kurzem das Aushungern von Gaza-Palästinensern als moralisch gerechtfertigt in den Raum gestellt, was weltweit zu Protesten - auch der Bundesregierung und der USA - geführt hatte.
Smotrich ist natürlich ein gefundenes Fressen der Pro-Palästinenser-Propaganda.

Ganz persönlich gehe ich davon aus, dass diese Regierung den Krieg in Gaza nicht lange überleben wird.
Ein häufiger Vorwurf innerhalb Israels ist, dass die Regierung Netanjahu die Grenzüberwachung reduziert hat, um mit den freiwerdenden Kräften die illegalen Siedler im Westjordanland zu schützen.

Entgegen anderslautender Behauptungen auf Social Media wurden nur drei der neun Inhaftierten Soldaten wieder auf freien Fuß gesetzt.

Die Vergewaltigung

Nun hat der israelische Nachrichtensender Channel 12 ein Video veröffentlicht, dass mutmaßlich (!) die Vergewaltigung eines palästinensischen Gefangenen zeigen soll. Auf Social Media wurde daraus schnell ein Besenstiel. Das Video ist nicht datiert. Daher gehe ich davon aus, dass die Aufnahmen vor Juni entstanden sind.
Tatsächlich zu sehen ist lediglich eine Gruppe Soldaten, von denen einige mit Schilden etwas abschirmen.

Was genau dort passiert, geht jedoch auch aus dem Bericht von Channel 12 nicht eindeutig hervor. Auch der Nachrichtensender interpretiert und mutmaßt lediglich.
Channel 12 gehört zur Keshet Media Group, die man etwa bei RTL einordnen kann.

Das Titelbild ist übrigens ein Screenshot der Veröffentlichung von Channel 12. Die Unkenntlichmachung ist daher ebenfalls mit Vorsicht zu genießen.

Korrekt ist offenbar, dass ein Gefangener mit verschiedenen Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Darunter einer Verletzung des Rektums. Wann das passiert ist, wird nirgendwo angegeben.
Inzwischen ist auch eine andere Erklärung auf Social Media zu finden: Der Gefangene soll einen waffenähnlichen Gegenstand in seinem Darm versteckt haben. Als er ihn herausziehen wollte, sind Bewacher aufmerksam geworden und haben ihn bei einer Leibesvisitation entfernt. Wobei sie nicht sanft waren.

Sowohl das eine, als auch das andere, ist unbestätigt.

Persönliche Einordnung

Wurden in Sde Teiman Handlungen durchgeführt, die das UNRWA und Menschenrechtsorganisationen als Folter ansehen würden?
Aber ganz sicher! Laut deren Maßstäben ist bereits die Militärhaft der Bundeswehr Folter.

Wurden in Sde Teiman Handlungen durchgeführt, die nach allgemeinem Verständnis als Folter angesehen würden?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit. Und dagegen muss vorgegangen werden.

Geschieht diese Folter systematisch?
Ich sehe keine Anzeichen dafür. Meiner Ansicht nach waren dort, wie auch in Abu-Ghuraib, die dokumentierten Mechanismen des Stanford-Prison-Experiment (Opens in a new window) am Werk. Nicht zwangsläufig die von Ausschwitz-Birkenau.
Die israelische Militärführung hat es versäumt, dies zu überwachen. Man kann nicht 100 Reservisten die Kontrolle über bis zu 4000 Gefangenen überlassen und die Augen verschließen.
Das ist ebenso unverschämt, wie eine Grenze zu einem de-facto-Staat wie dem Gazastreifen derart unbewacht und die übrigen Soldaten sich selbst zu überlassen. Oder einen Krieg zu führen, ohne einen Plan für danach zu haben. Kein „westlicher“ Soldat (oder Veteran) kann so etwas gutheißen.

Ich hoffe, die Vorgänge werden aufgeklärt und beteiligte Soldaten hart zur Rechenschaft gezogen.

Erneut ist es aber so, dass auf Social Media und in der Palästinenser-Propaganda ein Fass aufgemacht wird. Unterstützt von Falschbehauptungen, basierend auf einem Medienbericht, der im Grunde auch nichts Genaues belegt.

Man kann Leid nicht aufwiegen.
Bemerkenswert ist allemal, dass diejenigen, die diese mutmaßliche Vergewaltigung nun instrumentalisieren und als allgemeines Vorgehen Israels primen, die Vorgänge des 7. Oktobers unerwähnt lassen.

Topic Krieg

2 comments

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