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Wir haben lange überlegt, wie wir diese Ausgabe angehen, nach allem, was letzte Woche passiert ist. Am Ende hat sich nichts besser angefühlt, als Euch diesen Brief zu schreiben. Spoiler: Es wird schonungslos, pathetisch und cheesy (also eigentlich wie immer).
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#82 #Brief #Zukunft #Demokratie
Nie wieder nicht handeln
Die US-Wahl ist ein Sieg der fossilen Lobby über das Pariser Klimaabkommen. So aussichtslos die Lage jetzt scheint, so wenig dürfen wir den Kopf in den Sand stecken. Ein persönlicher Brief darüber, wie wir unseren Mut behalten. ~ 7 Minuten Lesezeit
Weißt Du noch, was Du am 6. November gemacht hast? Wie Du den Tag erlebt hast, als Trump die Wahl gewann und die Ampel zerbrach?
Wahrscheinlich wirst Du es sogar in fünf Jahren noch wissen. Es war so ein Tag, der sich tief ins Gedächtnis einbrennt – und in die Gefühlswelt. Mit unserer hat er ungefähr das angestellt, was in Berlin zu dieser Jahreszeit abgeht: Es ist arschkalt und so grau, dass man den Beton nicht mehr vom Himmel unterscheiden kann.
In diesen Tagen ist es deutlicher denn je: Die Klimakrise ist nicht nur eine Frage der Physik, sie nistet sich auch in unseren Psychen und in unserem Miteinander ein. Das müssen wir ernst nehmen. So herausfordernd es auch ist, es führt kein Weg daran vorbei, die schwierigen Gefühle, die wir gerade spüren, zuzulassen und zu verarbeiten, um dunkle Zeiten wie diese durchzustehen.
Dich nehmen die Ereignisse von letzter Woche wahrscheinlich ebenso und immer noch mit. Lass uns darüber sprechen und vor allem: herausfinden, wie wir zuversichtlich bleiben können.
Was bleibt nach dem ersten Schock?
Trumps Sieg war zwar vorher schon ein realistisches Szenario, so richtig emotional begreifen konnten wir das aber nicht. Als Trump, Vance und der obszön-zombiesk jubelnde Musk über unsere Bildschirme flirrten, hat uns das eiskalt erwischt.
Du hast sicher schon vom Project 2025 (Opens in a new window) gehört, ein von der fossil-nationalistischen Denkfabrik „Heritage Foundation“ entworfener Plan für den Fall, dass Trump Präsident wird. Er liest sich wie ein rechtsextremer Fahrplan des Grauens. Der Regierungsapparat soll radikal umgebaut und die Macht beim Präsidenten gebündelt werden.
Hoffen wir, dass die US-Verfassung gegen diesen Faschismus resilient genug ist. Fest steht aber, dass Trump und seine rechtsextremen Buddies versuchen werden, die Demokratie zu zerlegen. Wie sagte noch Trump im Wahlkampf sinngemäß?
Geht wählen, nur noch dieses eine Mal, danach müsst ihr es nie wieder tun.
Der 6. November war ein Kipppunkt
Inzwischen ist der erste Schock vorüber. Übrig bleibt die bittere Gewissheit über die Konsequenzen. Die USA, China und Russland werden nun alle von „Strongmen“ regiert. Ausbeutung, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Hyperkapitalismus sind damit spätestens jetzt global-gesellschaftlicher Mainstream.
Was das heißt, sehen wir direkt vor unserer eigenen Haustür. Nach dem Ampel-Aus (über das wir hier nur diesen Satz schreiben werden) hat Friedrich Merz beste Chancen, Kanzler zu werden – jemand, der sich all die oben genannten Attribute immer wieder mehr oder weniger explizit auf die Fahnen schreibt und selbst der CDU bis vor kurzem noch zu rechts war.
Die Wahl von Trump hat uns aber auch aus einem anderen Grund erschrocken. Spätestens jetzt ist die Klimakatastrophe unwiderruflich eingeloggt. An den Kipppunkten führt nun kein Weg mehr vorbei. Wir haben in der Treibhauspost schon darüber geschrieben, warum 1,5 Grad tot sind (Opens in a new window) (und auch, warum das nicht heißt, dass der Gerechtigkeits-Kampf (Opens in a new window) zu Ende ist).
Das Ende des Grönland-Eisschilds, des westantarktischen Eisschilds, der Korallenriffe und des Permafrosts könnten heute schon besiegelt sein. Wenn wir zwei Grad überschreiten – und das ist mit der Wahl von Trump abgemachte Sache, so bitter es auch klingt – wären ganze dreizehn Kipppunkte im Hochrisikobereich. Dreizehn Kipppunkte.
Trotzdem steigen die CO₂-Emissionen bis heute weiter an. Selbst unter der Biden-Harris-Administration wurde so viel Erdöl gefördert wie nie zuvor in der Geschichte der USA. Und jetzt – Trump! Ein triumphaler Sieg der fossilen Lobby über das Pariser Klimaabkommen. Trump will nicht nur aus dem Paris-Abkommen aussteigen, sondern aus der ganzen Klimarahmenkonvention (der UNFCCC). Das wieder rückgängig zu machen, wäre für die nächste US-Regierung (wenn es denn eine geben wird) extrem schwierig (Opens in a new window).
Okay, stopp
Die große Frage lautet jetzt: Wie machen wir weiter in einer solchen Situation? Wie können wir trotz allem hoffen?
Zu hoffen heißt nicht, an Wunder zu glauben. Es heißt nicht, sich an die Vorstellung zu klammern, dass alles doch noch irgendwie gut geht, weil uns vielleicht eine supergünstige Last-Minute-Technologie oder irgendeine göttliche Tat rettet. Das wäre nicht gesund und sogar das Gegenteil von Hoffnung. An Wunder zu glauben, lenkt uns ab und füttert unsere Verdrängung.
Genau deshalb war die erste Hälfte dieses Briefs so wichtig. Wir dürfen nicht die Augen verschließen. Wie viele Menschen würden ganz anders mit ihrer Zeit umgehen, wenn sie die Erkenntnis über die eingeloggte Klimakatastrophe wirklich zuließen?
Dieses Realisieren kann einen schwer treffen, aber daraus kann auch Kraftvolles erwachsen. Für Klimaaktivist Tadzio Müller etwa bedeutete es persönliche Trauerarbeit, die ihn bis in eine Depression führte. An deren Ende stand das Akzeptieren von unwiderruflichen planetaren Umbrüchen. Er nennt das in seinem neuen Buch „Kollapsakzeptanz“. Ganz wichtig dabei: Es geht ums Akzeptieren, nicht ums Aufgeben. Es geht darum, anzunehmen, was ist, um daraus Mut und neue Hoffnung zu schöpfen.
Der entscheidende Anstoß
Wir können verstehen, dass man sich – wie wenn der Berliner Winter einbricht – in seiner Wohnung verkriechen und von der Welt abschotten möchte. Das war auch unser erster Impuls am 6. November. Für den ersten Moment ist das sicher wichtig, um alles wirken zu lassen.
Aber es war noch nie eine gute Idee, sich dauerhaft ins Private zurückzuziehen, und so politisch wie die Zeiten geworden sind, ist es heute eine besonders schlechte. Wir können uns nicht mehr leisten, nicht politisch, nicht aktiv, nicht engagiert zu sein.
Vielleicht ist der 6. November der entscheidende Anstoß für alle, die noch überzeugt werden mussten, vom Sofa aufzustehen. Dann kann dieser historische Tag noch viel mehr Kipppunkte auslösen. Nicht nur die der Klimasysteme, sondern Kipppunkte des Handelns, für jede*n von uns persönlich. Ab jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Ab jetzt heißt es: nie wieder nicht handeln.
Wer vom Sofa aufsteht, muss für Rückschläge und Niederlagen bereit sein. Luisa Neubauer (Opens in a new window) hat das in ihrer Reaktion auf die US-Wahl mal wieder treffend ausgedrückt: „Wer keine Niederlagen erleben möchte, keine Enttäuschungen, der darf nicht mutig sein, der darf nicht hoffen, sich nicht reinhängen, nichts riskieren. All das geht nur, wenn wir auch in Kauf nehmen, dass es komplett nach hinten losgehen kann.“
Wenn das passiert, solle man nicht aus Reflex wild losrennen und Schuldige suchen, sondern fragen: Wie geht es mir eigentlich gerade?
Gesellschaftlicher Wandel ist kein linearer Fortschritt, er ist ein zähes Ringen um die Zukunft, ein Hin und Her mit Höhen und Tiefen. In einem Tief wie gerade ist es okay, sich verzweifelt zu fühlen, und es ist wichtig, dieses Gefühl nicht beiseite zu schieben, solange man sich nicht überwältigen lässt.
Wie Britt Wray in ihrem Newsletter Gen Dread (Opens in a new window) schreibt: „If our despair is validated and understood, it can loosen its vice grip and graciously move over to share its seat, making space for more generative co-occurring responses like creativity, love, anger, and that unmistakable feeling of aliveness.“ Erst wenn wir unsere Verzweiflung anerkennen, können wir Raum schaffen für Kreativität, Liebe, Wut und das unverwechselbare Gefühl der Lebendigkeit.
Konstruktives Chaos entfachen
Wandel ist nicht linear, weder gesellschaftlich noch in uns selbst. Wandel ist ein konstruktives Chaos. Ein unübersichtliches Wirrwarr aus Ideen, Gesprächen, Zeilen und ersten Spatenstichen. Wir sollten, wann immer es uns möglich ist, dieses konstruktive Chaos befeuern mit unseren Worten, Handlungen und einem offenen Ohr.
Wir können niemals wissen, was aus diesen kreativen Funken in anderen entsteht. Und welche Wendepunkte jede*r Einzelne von uns über zwei, drei oder vier Ecken auslösen kann, bei Menschen, die wir vielleicht noch nie getroffen haben (und auch nie treffen werden). Stell Dir vor, bei Deinem nächsten Gespräch sind Deine Worte (oder sogar Dein Zuhören) genau der Funken, der in Deinem Gegenüber das konstruktive Chaos entfacht.
Dabei müssen wir gar nicht die ganz großen Würfe anvisieren. Es reicht erstmal, wenn Du und alle anderen, die diesen Brief lesen, mit ihren Funken um sich werfen. Es könnten so viele wunderbare Ideen, Gedanken, Handlungen und Verbündete dabei entstehen, wie wir es jetzt noch gar nicht erahnen können.
Und ist das nicht der Inbegriff von Hoffnung?
Wie geht es Dir in diesen Zeiten? Was macht dir Hoffnung? Schreib uns gerne zurück!
Nie wieder nicht handeln, heißt für uns auch: Kein Trump und kein Kohlekonzern dieser Welt bringen uns davon ab, diesen Newsletter zu schreiben. Wenn Du unsere Arbeit mit ein paar Euro im Monat unterstützen kannst, hilft uns das enorm. Der Button führt Dich auf unsere Steady-Seite mit allen weiteren Infos. Vielen Dank!
Wie vor zwei Wochen angekündigt, featuren wir am Ende jeder Ausgabe jetzt immer einen Song. Wir finden, es könnte dieses Mal eigentlich keinen passenderen geben als Land of Confusion von Genesis (Opens in a new window), der 1986 genauso aktuell war wie heute:
Oh Superman where are you now
When everything's gone wrong somehow
The men of steel, the men of power
Are losing control by the hour.
Well, this is the world we live in
And these are the hands we′re given
Use them and let's start trying
To make it a place worth living in
Die nächste Ausgabe bekommst Du am 30. November. Bis dahin!
Herzliche Grüße
Manuel & Julien
👨🏻🎨 Alle Illustrationen wie immer in Handarbeit von Manuel Kronenberg.
📖 Zu unserem Buch „Unlearn CO₂ (Opens in a new window)“ (Ullstein).
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Bürgerwerke (Opens in a new window), Ökostromversorger
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